brachte um, was Widerstand zu leisten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerstörte die Pflanzungen und schleppte Greise, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Ge- fangenen wurden sofort in die Missionen am Meta, Rio Negro und oberen Orinoko verteilt. Man wählte die ent- legensten Orte, damit sie nicht in Versuchung kämen, wieder in ihr Heimatland zu entlaufen. Dieses gewaltsame Mittel, Seelen zu erobern, war zwar nach spanischem Gesetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Oberen der Gesellschaft, als der Religion und dem Aufkommen der Missionen förderlich, höchlich ge- priesen. "Die Stimme des Evangeliums," sagt ein Jesuit vom Orinoko in den ,erbaulichen Briefen' 1 äußerst naiv, "wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören (el eco de la polvora). Sanftmut ist ein gar lang- sames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man sich die Be- kehrung der Eingeborenen." Dergleichen die Menschheit schän- dende Grundsätze wurden sicher nicht von allen Gliedern einer Gesellschaft geteilt, die in der Neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausschließlich in den Händen von Mönchen geblieben ist, der Wissenschaft und der Kultur Dienste geleistet hat. Aber die Entradas, die geistlichen Eroberungen mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf rasche Ausbreitung der Missionen ankam, unzertrennlicher Greuel. Es thut dem Gemüte wohl, daß die Franziskaner, Dominikaner und Augustiner, welche gegenwärtig einen großen Teil von Südamerika regieren und, je nachdem sie von milder oder roher Sinnesart sind, auf das Geschick von vielen Tausenden von Eingeborenen den mächtigsten Ein- fluß üben, nicht nach jenem System verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand sind fast ganz abgestellt, und wo sie noch vorkommen, werden sie von den Ordensoberen mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob diese Wendung des Mönchregimentes zum Besseren daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erschlafft ist und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man so gern thäte, einen Beweis sehen soll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geiste des Christentums entsprechen- dere Gesinnung Platz greift.
1Cartas edificantes de la Compannia de Jesus 1757.
brachte um, was Widerſtand zu leiſten wagte, man brannte die Hütten nieder, zerſtörte die Pflanzungen und ſchleppte Greiſe, Weiber und Kinder als Gefangene fort. Die Ge- fangenen wurden ſofort in die Miſſionen am Meta, Rio Negro und oberen Orinoko verteilt. Man wählte die ent- legenſten Orte, damit ſie nicht in Verſuchung kämen, wieder in ihr Heimatland zu entlaufen. Dieſes gewaltſame Mittel, Seelen zu erobern, war zwar nach ſpaniſchem Geſetz verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet und von den Oberen der Geſellſchaft, als der Religion und dem Aufkommen der Miſſionen förderlich, höchlich ge- prieſen. „Die Stimme des Evangeliums,“ ſagt ein Jeſuit vom Orinoko in den ‚erbaulichen Briefen‘ 1 äußerſt naiv, „wird nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen hören (el eco de la polvora). Sanftmut iſt ein gar lang- ſames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man ſich die Be- kehrung der Eingeborenen.“ Dergleichen die Menſchheit ſchän- dende Grundſätze wurden ſicher nicht von allen Gliedern einer Geſellſchaft geteilt, die in der Neuen Welt und überall, wo die Erziehung ausſchließlich in den Händen von Mönchen geblieben iſt, der Wiſſenſchaft und der Kultur Dienſte geleiſtet hat. Aber die Entradas, die geiſtlichen Eroberungen mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment, bei dem es nur auf raſche Ausbreitung der Miſſionen ankam, unzertrennlicher Greuel. Es thut dem Gemüte wohl, daß die Franziskaner, Dominikaner und Auguſtiner, welche gegenwärtig einen großen Teil von Südamerika regieren und, je nachdem ſie von milder oder roher Sinnesart ſind, auf das Geſchick von vielen Tauſenden von Eingeborenen den mächtigſten Ein- fluß üben, nicht nach jenem Syſtem verfahren. Die Einfälle mit bewaffneter Hand ſind faſt ganz abgeſtellt, und wo ſie noch vorkommen, werden ſie von den Ordensoberen mißbilligt. Wir wollen hier nicht ausmachen, ob dieſe Wendung des Mönchregimentes zum Beſſeren daher rührt, daß die frühere Thätigkeit erſchlafft iſt und der Lauheit und Indolenz Platz gemacht hat, oder ob man darin, was man ſo gern thäte, einen Beweis ſehen ſoll, daß die Aufklärung zunimmt und eine höhere, dem wahren Geiſte des Chriſtentums entſprechen- dere Geſinnung Platz greift.
1Cartas edificantes de la Compañia de Jesus 1757.
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fangenen wurden ſofort in die Miſſionen am Meta, Rio
Negro und oberen Orinoko verteilt. Man wählte die ent-
legenſten Orte, damit ſie nicht in Verſuchung kämen, wieder
in ihr Heimatland zu entlaufen. Dieſes gewaltſame Mittel,
Seelen zu erobern, war zwar nach ſpaniſchem Geſetz
verboten, wurde aber von den bürgerlichen Behörden geduldet
und von den Oberen der Geſellſchaft, als der Religion
und dem Aufkommen der Miſſionen förderlich, höchlich ge-
prieſen. „Die Stimme des Evangeliums,“ ſagt ein Jeſuit
vom Orinoko in den ‚erbaulichen Briefen‘ 1 äußerſt naiv, „wird
nur da vernommen, wo die Indianer Pulver haben knallen
hören (el eco de la polvora). Sanftmut iſt ein gar lang-
ſames Mittel. Durch Züchtigung erleichtert man ſich die Be-
kehrung der Eingeborenen.“ Dergleichen die Menſchheit ſchän-
dende Grundſätze wurden ſicher nicht von allen Gliedern
einer Geſellſchaft geteilt, die in der Neuen Welt und überall,
wo die Erziehung ausſchließlich in den Händen von Mönchen
geblieben iſt, der Wiſſenſchaft und der Kultur Dienſte geleiſtet
hat. Aber die Entradas, die geiſtlichen Eroberungen
mit dem Bajonett waren einmal ein von einem Regiment,
bei dem es nur auf raſche Ausbreitung der Miſſionen ankam,
unzertrennlicher Greuel. Es thut dem Gemüte wohl, daß die
Franziskaner, Dominikaner und Auguſtiner, welche gegenwärtig
einen großen Teil von Südamerika regieren und, je nachdem
ſie von milder oder roher Sinnesart ſind, auf das Geſchick
von vielen Tauſenden von Eingeborenen den mächtigſten Ein-
fluß üben, nicht nach jenem Syſtem verfahren. Die Einfälle
mit bewaffneter Hand ſind faſt ganz abgeſtellt, und wo ſie
noch vorkommen, werden ſie von den Ordensoberen mißbilligt.
Wir wollen hier nicht ausmachen, ob dieſe Wendung des
Mönchregimentes zum Beſſeren daher rührt, daß die frühere
Thätigkeit erſchlafft iſt und der Lauheit und Indolenz Platz
gemacht hat, oder ob man darin, was man ſo gern thäte,
einen Beweis ſehen ſoll, daß die Aufklärung zunimmt und
eine höhere, dem wahren Geiſte des Chriſtentums entſprechen-
dere Geſinnung Platz greift.
1 Cartas edificantes de la Compañia de Jesus 1757.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/91>, abgerufen am 16.02.2025.
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