genießen, nach der die anderen sich sehnen, hat etwas Weh- mütiges, Rührendes.
Auf der überfüllten, keinen Meter breiten Piroge blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inklinationskompaß und die meteorologischen Instrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Teil des Tages ausgestreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Instrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und aussteigen. Zu diesen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskiten, die unter einem so niedrigen Dache in Scharen hausen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausstrahlen, deren obere Fläche beständig der Sonnenglut ausgesetzt ist. Jeden Augenblick suchten wir uns unsere Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine sich unter ein Tuch steckte, um sich vor den Insekten zu schützen, verlangte der andere, man solle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erstickenden Hitze war das eine Mittel so wenig an- wendbar als das andere. Aber mit einem munteren Geiste, bei gegenseitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieser weiten Stromthäler fällt es den Reisenden nicht schwer, Beschwerden zu ertragen, die zur Ge- wohnheit werden. Wenn ich mich hier auf diese Kleinigkeiten eingelassen habe, geschah es nur, um die Schiffahrt auf dem Orinoko zu schildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf diesem Stück unserer Reise beim besten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wissenschaftlicher Ausbeute so reiche Naturum- gebung aufforderte.
Unsere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jesuiten gegründete Mission Pararuma gestanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivasindianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Mission einging. Die wenigen Ein- wohner, welche die schreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald besuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aus- sage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem starken Gewitter Hagel fiel. Dies ist so ziemlich der einzige Fall, der meines Wissens in einer fast im Niveau des Meeres
genießen, nach der die anderen ſich ſehnen, hat etwas Weh- mütiges, Rührendes.
Auf der überfüllten, keinen Meter breiten Piroge blieb für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten, den Inklinationskompaß und die meteorologiſchen Inſtrumente kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf dem wir den größten Teil des Tages ausgeſtreckt liegen mußten. Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein Inſtrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und ausſteigen. Zu dieſen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage der Moskiten, die unter einem ſo niedrigen Dache in Scharen hauſen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausſtrahlen, deren obere Fläche beſtändig der Sonnenglut ausgeſetzt iſt. Jeden Augenblick ſuchten wir uns unſere Lage erträglicher zu machen, und immer vergeblich. Während der eine ſich unter ein Tuch ſteckte, um ſich vor den Inſekten zu ſchützen, verlangte der andere, man ſolle grünes Holz unter dem Toldo anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben. Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der ohnehin erſtickenden Hitze war das eine Mittel ſo wenig an- wendbar als das andere. Aber mit einem munteren Geiſte, bei gegenſeitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für die großartige Natur dieſer weiten Stromthäler fällt es den Reiſenden nicht ſchwer, Beſchwerden zu ertragen, die zur Ge- wohnheit werden. Wenn ich mich hier auf dieſe Kleinigkeiten eingelaſſen habe, geſchah es nur, um die Schiffahrt auf dem Orinoko zu ſchildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland und ich auf dieſem Stück unſerer Reiſe beim beſten Willen lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen uns die an wiſſenſchaftlicher Ausbeute ſo reiche Naturum- gebung aufforderte.
Unſere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort, wo früher die ums Jahr 1733 von den Jeſuiten gegründete Miſſion Pararuma geſtanden. Eine Pockenepidemie, die unter den Salivasindianern große Verheerungen anrichtete, war der Hauptgrund, warum die Miſſion einging. Die wenigen Ein- wohner, welche die ſchreckliche Seuche überlebten, wurden im Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald beſuchen werden. Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aus- ſage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem ſtarken Gewitter Hagel fiel. Dies iſt ſo ziemlich der einzige Fall, der meines Wiſſens in einer faſt im Niveau des Meeres
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[80/0088]
genießen, nach der die anderen ſich ſehnen, hat etwas Weh-
mütiges, Rührendes.
Auf der überfüllten, keinen Meter breiten Piroge blieb
für die getrockneten Pflanzen, die Koffer, einen Sextanten,
den Inklinationskompaß und die meteorologiſchen Inſtrumente
kein Platz als der Raum unter dem Gitter aus Zweigen, auf
dem wir den größten Teil des Tages ausgeſtreckt liegen mußten.
Wollte man irgend etwas aus einem Koffer holen oder ein
Inſtrument gebrauchen, mußte man ans Ufer fahren und
ausſteigen. Zu dieſen Unbequemlichkeiten kam noch die Plage
der Moskiten, die unter einem ſo niedrigen Dache in Scharen
hauſen, und die Hitze, welche die Palmblätter ausſtrahlen,
deren obere Fläche beſtändig der Sonnenglut ausgeſetzt iſt.
Jeden Augenblick ſuchten wir uns unſere Lage erträglicher
zu machen, und immer vergeblich. Während der eine ſich
unter ein Tuch ſteckte, um ſich vor den Inſekten zu ſchützen,
verlangte der andere, man ſolle grünes Holz unter dem Toldo
anzünden, um die Mücken durch den Rauch zu vertreiben.
Wegen des Brennens der Augen und der Steigerung der
ohnehin erſtickenden Hitze war das eine Mittel ſo wenig an-
wendbar als das andere. Aber mit einem munteren Geiſte,
bei gegenſeitiger Herzlichkeit, bei offenem Sinn und Auge für
die großartige Natur dieſer weiten Stromthäler fällt es den
Reiſenden nicht ſchwer, Beſchwerden zu ertragen, die zur Ge-
wohnheit werden. Wenn ich mich hier auf dieſe Kleinigkeiten
eingelaſſen habe, geſchah es nur, um die Schiffahrt auf dem
Orinoko zu ſchildern und begreiflich zu machen, daß Bonpland
und ich auf dieſem Stück unſerer Reiſe beim beſten Willen
lange nicht alle die Beobachtungen machen konnten, zu denen
uns die an wiſſenſchaftlicher Ausbeute ſo reiche Naturum-
gebung aufforderte.
Unſere Indianer zeigten uns am rechten Ufer den Ort,
wo früher die ums Jahr 1733 von den Jeſuiten gegründete
Miſſion Pararuma geſtanden. Eine Pockenepidemie, die unter
den Salivasindianern große Verheerungen anrichtete, war der
Hauptgrund, warum die Miſſion einging. Die wenigen Ein-
wohner, welche die ſchreckliche Seuche überlebten, wurden im
Dorfe Carichana aufgenommen, das wir bald beſuchen werden.
Hier bei Pararuma war es, wo, nach Pater Romans Aus-
ſage, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts bei einem
ſtarken Gewitter Hagel fiel. Dies iſt ſo ziemlich der einzige
Fall, der meines Wiſſens in einer faſt im Niveau des Meeres
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/88>, abgerufen am 16.02.2025.
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