Abkunft brauchen den Farbstoff, mit Wasser angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel.
Der Brauch, den Körper zu bemalen, ist nicht bei allen Völkern am Orinoko gleich alt. Erst seit den häufigen Ein- fällen der mächtigen Nation der Kariben in diese Länder ist derselbe allgemeiner geworden. Sieger und Besiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu sein, mußte man sich bemalen wie er und seine Farbe tragen. Jetzt ist es mit der Macht der Kariben vorbei, sie sind auf das Gebiet zwi- schen den Flüssen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beschränkt, aber die karibische Mode, den ganzen Körper zu färben, hat sich erhalten; der Brauch ist dauernder als die Eroberung.
Ist nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern so häufigen Gefallsucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er sich vielleicht auf die Beob- achtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligen Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskiten schützt? In den Missionen am Orinoko und überall, wo die Luft von giftigen Insekten wimmelt, habe ich diese Frage sehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Karibe und der Saliva, die rot bemalt sind, von Moskiten und Zancudos so arg ge- plagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Insektes keine Ge- schwulst zur Folge; fast nie bilden sich die Blasen oder kleinen Beulen, die frisch angekommenen Europäern ein so unerträg- liches Jucken verursachen. Solange aber das Insekt den Saugrüssel nicht aus der Haut gezogen hat, schmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich sehr. Nach tausend anderen nutzlosen Versuchen haben Bonpland und ich uns selbst Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröten- eieröl eingerieben und davon nie die geringste Erleichterung gespürt; wir wurden gestochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirksamsten Schutz- mittel gerühmt werden, aber die skandinavischen Insekten und die am Orinoko sind nicht von derselben Art. Der Tabaks- rauch verscheucht unsere Schnaken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung von fetten und adstringieren- den Stoffen 1 die unglücklichen Landeseinwohner vor der In- sektenplage schützte, wie Pater Gumilla behauptet, warum
1 Das Fleisch des Rocou und auch der Chica sind adstrin- gierend und leicht abführend.
Abkunft brauchen den Farbſtoff, mit Waſſer angerührt, als ein vorzügliches harntreibendes Mittel.
Der Brauch, den Körper zu bemalen, iſt nicht bei allen Völkern am Orinoko gleich alt. Erſt ſeit den häufigen Ein- fällen der mächtigen Nation der Kariben in dieſe Länder iſt derſelbe allgemeiner geworden. Sieger und Beſiegte waren gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu ſein, mußte man ſich bemalen wie er und ſeine Farbe tragen. Jetzt iſt es mit der Macht der Kariben vorbei, ſie ſind auf das Gebiet zwi- ſchen den Flüſſen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beſchränkt, aber die karibiſche Mode, den ganzen Körper zu färben, hat ſich erhalten; der Brauch iſt dauernder als die Eroberung.
Iſt nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind der bei wilden Völkern ſo häufigen Gefallſucht und ihrer Liebe zum Putz, oder gründet er ſich vielleicht auf die Beob- achtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligen Stoffen die Haut gegen den Stich der Moskiten ſchützt? In den Miſſionen am Orinoko und überall, wo die Luft von giftigen Inſekten wimmelt, habe ich dieſe Frage ſehr oft erörtern hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Karibe und der Saliva, die rot bemalt ſind, von Moskiten und Zancudos ſo arg ge- plagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen haben. Bei beiden hat der Stich des Inſektes keine Ge- ſchwulſt zur Folge; faſt nie bilden ſich die Blaſen oder kleinen Beulen, die friſch angekommenen Europäern ein ſo unerträg- liches Jucken verurſachen. Solange aber das Inſekt den Saugrüſſel nicht aus der Haut gezogen hat, ſchmerzt der Stich den Eingeborenen und den Weißen gleich ſehr. Nach tauſend anderen nutzloſen Verſuchen haben Bonpland und ich uns ſelbſt Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröten- eieröl eingerieben und davon nie die geringſte Erleichterung geſpürt; wir wurden geſtochen nach wie vor. Ich weiß wohl, daß Oel und Fett von den Lappen als die wirkſamſten Schutz- mittel gerühmt werden, aber die ſkandinaviſchen Inſekten und die am Orinoko ſind nicht von derſelben Art. Der Tabaks- rauch verſcheucht unſere Schnaken, gegen die Zancudos hilft er nichts. Wenn die Anwendung von fetten und adſtringieren- den Stoffen 1 die unglücklichen Landeseinwohner vor der In- ſektenplage ſchützte, wie Pater Gumilla behauptet, warum
1 Das Fleiſch des Rocou und auch der Chica ſind adſtrin- gierend und leicht abführend.
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Abkunft brauchen den Farbſtoff, mit Waſſer angerührt, als
ein vorzügliches harntreibendes Mittel.
Der Brauch, den Körper zu bemalen, iſt nicht bei allen
Völkern am Orinoko gleich alt. Erſt ſeit den häufigen Ein-
fällen der mächtigen Nation der Kariben in dieſe Länder iſt
derſelbe allgemeiner geworden. Sieger und Beſiegte waren
gleich nackt, und um dem Sieger gefällig zu ſein, mußte man
ſich bemalen wie er und ſeine Farbe tragen. Jetzt iſt es mit
der Macht der Kariben vorbei, ſie ſind auf das Gebiet zwi-
ſchen den Flüſſen Carony, Cuyuni und Paraguamuzi beſchränkt,
aber die karibiſche Mode, den ganzen Körper zu färben, hat
ſich erhalten; der Brauch iſt dauernder als die Eroberung.
Iſt nun der Gebrauch des Onoto und des Chica ein Kind
der bei wilden Völkern ſo häufigen Gefallſucht und ihrer
Liebe zum Putz, oder gründet er ſich vielleicht auf die Beob-
achtung, daß ein Ueberzug von färbenden und öligen Stoffen
die Haut gegen den Stich der Moskiten ſchützt? In den
Miſſionen am Orinoko und überall, wo die Luft von giftigen
Inſekten wimmelt, habe ich dieſe Frage ſehr oft erörtern
hören. Die Erfahrung zeigt, daß der Karibe und der Saliva,
die rot bemalt ſind, von Moskiten und Zancudos ſo arg ge-
plagt werden als die Indianer, die keine Farbe aufgetragen
haben. Bei beiden hat der Stich des Inſektes keine Ge-
ſchwulſt zur Folge; faſt nie bilden ſich die Blaſen oder kleinen
Beulen, die friſch angekommenen Europäern ein ſo unerträg-
liches Jucken verurſachen. Solange aber das Inſekt den
Saugrüſſel nicht aus der Haut gezogen hat, ſchmerzt der Stich
den Eingeborenen und den Weißen gleich ſehr. Nach tauſend
anderen nutzloſen Verſuchen haben Bonpland und ich uns
ſelbſt Hände und Arme mit Krokodilfett und Schildkröten-
eieröl eingerieben und davon nie die geringſte Erleichterung
geſpürt; wir wurden geſtochen nach wie vor. Ich weiß wohl,
daß Oel und Fett von den Lappen als die wirkſamſten Schutz-
mittel gerühmt werden, aber die ſkandinaviſchen Inſekten und
die am Orinoko ſind nicht von derſelben Art. Der Tabaks-
rauch verſcheucht unſere Schnaken, gegen die Zancudos hilft er
nichts. Wenn die Anwendung von fetten und adſtringieren-
den Stoffen 1 die unglücklichen Landeseinwohner vor der In-
ſektenplage ſchützte, wie Pater Gumilla behauptet, warum
1 Das Fleiſch des Rocou und auch der Chica ſind adſtrin-
gierend und leicht abführend.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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