eine hübsche Piroge abzutreten; ja der Missionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot sich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Brasilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen über die Raudales hinaufschaffen helfen, sind so wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an diesem feuchten, ungesunden Orte liegen bleiben zu müssen. An den Ufern des Orinoko gelten die Wälder am Rio Negro für ein köstliches Land. Wirklich ist auch die Luft dort frischer und gesünder, und es gibt im Flusse fast keine Krokodile; man kann unbesorgt baden und ist bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom Insektenstich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Missionen am Rio Negro besuchte, seine Gesundheit wieder herzustellen. Er sprach von der dortigen Gegend mit der Begeisterung, mit der man in den Kolonieen auf dem Festlande alles ansieht, was in weiter Ferne liegt.
Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauspiel, wie es den Kulturmenschen immer dazu anregt, den wilden Menschen und die allmähliche Entwicke- lung unserer Geisteskräfte zu beobachten. Man sträubt sich gegen die Vorstellung, daß wir in diesem gesellschaftlichen Kindheitszustande, in diesem Haufen trübseliger, schweigsamer, teilnahmloser Indianer das ursprüngliche Wesen unseres Ge- schlechtes vor uns haben sollen. Die Menschennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie sie die Poesie in allen Sprachen so hinreißend schildert. Der Wilde am Orinoko schien uns so widrig abstoßend als der Wilde am Mississippi, wie ihn der reisende Philosoph, 1 der größte Meister in der Schilderung des Menschen in verschie- denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man sich ein, diese Eingeborenen, wie sie da, den Leib mit Erde und Fett beschmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild- krötenpanzern sitzen und stundenlang mit dummen Gesichtern auf das Getränk glotzen, das sie bereiten, seien keineswegs der ursprüngliche Typus unserer Gattung, vielmehr ein ent- artetes Geschlecht, die schwachen Ueberreste von Völkern, die versprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar- barei zurückgesunken.
Die rote Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung
1 Volney
eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo Zea, erbot ſich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze von Braſilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen über die Raudales hinaufſchaffen helfen, ſind ſo wenige, daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr gelaufen wären, wochenlang an dieſem feuchten, ungeſunden Orte liegen bleiben zu müſſen. An den Ufern des Orinoko gelten die Wälder am Rio Negro für ein köſtliches Land. Wirklich iſt auch die Luft dort friſcher und geſünder, und es gibt im Fluſſe faſt keine Krokodile; man kann unbeſorgt baden und iſt bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom Inſektenſtich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Miſſionen am Rio Negro beſuchte, ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen. Er ſprach von der dortigen Gegend mit der Begeiſterung, mit der man in den Kolonieen auf dem Feſtlande alles anſieht, was in weiter Ferne liegt.
Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns wieder ein Schauſpiel, wie es den Kulturmenſchen immer dazu anregt, den wilden Menſchen und die allmähliche Entwicke- lung unſerer Geiſteskräfte zu beobachten. Man ſträubt ſich gegen die Vorſtellung, daß wir in dieſem geſellſchaftlichen Kindheitszuſtande, in dieſem Haufen trübſeliger, ſchweigſamer, teilnahmloſer Indianer das urſprüngliche Weſen unſeres Ge- ſchlechtes vor uns haben ſollen. Die Menſchennatur tritt uns hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie ſie die Poeſie in allen Sprachen ſo hinreißend ſchildert. Der Wilde am Orinoko ſchien uns ſo widrig abſtoßend als der Wilde am Miſſiſſippi, wie ihn der reiſende Philoſoph, 1 der größte Meiſter in der Schilderung des Menſchen in verſchie- denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man ſich ein, dieſe Eingeborenen, wie ſie da, den Leib mit Erde und Fett beſchmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild- krötenpanzern ſitzen und ſtundenlang mit dummen Geſichtern auf das Getränk glotzen, das ſie bereiten, ſeien keineswegs der urſprüngliche Typus unſerer Gattung, vielmehr ein ent- artetes Geſchlecht, die ſchwachen Ueberreſte von Völkern, die verſprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar- barei zurückgeſunken.
Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung
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eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures
und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo
Zea, erbot ſich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze
von Braſilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen
über die Raudales hinaufſchaffen helfen, ſind ſo wenige,
daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr
gelaufen wären, wochenlang an dieſem feuchten, ungeſunden
Orte liegen bleiben zu müſſen. An den Ufern des Orinoko
gelten die Wälder am Rio Negro für ein köſtliches Land.
Wirklich iſt auch die Luft dort friſcher und geſünder, und es
gibt im Fluſſe faſt keine Krokodile; man kann unbeſorgt baden
und iſt bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom
Inſektenſtich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Miſſionen
am Rio Negro beſuchte, ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen.
Er ſprach von der dortigen Gegend mit der Begeiſterung, mit
der man in den Kolonieen auf dem Feſtlande alles anſieht,
was in weiter Ferne liegt.
Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns
wieder ein Schauſpiel, wie es den Kulturmenſchen immer dazu
anregt, den wilden Menſchen und die allmähliche Entwicke-
lung unſerer Geiſteskräfte zu beobachten. Man ſträubt ſich
gegen die Vorſtellung, daß wir in dieſem geſellſchaftlichen
Kindheitszuſtande, in dieſem Haufen trübſeliger, ſchweigſamer,
teilnahmloſer Indianer das urſprüngliche Weſen unſeres Ge-
ſchlechtes vor uns haben ſollen. Die Menſchennatur tritt uns
hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie
ſie die Poeſie in allen Sprachen ſo hinreißend ſchildert. Der
Wilde am Orinoko ſchien uns ſo widrig abſtoßend als der
Wilde am Miſſiſſippi, wie ihn der reiſende Philoſoph, 1 der
größte Meiſter in der Schilderung des Menſchen in verſchie-
denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man ſich
ein, dieſe Eingeborenen, wie ſie da, den Leib mit Erde und
Fett beſchmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild-
krötenpanzern ſitzen und ſtundenlang mit dummen Geſichtern
auf das Getränk glotzen, das ſie bereiten, ſeien keineswegs
der urſprüngliche Typus unſerer Gattung, vielmehr ein ent-
artetes Geſchlecht, die ſchwachen Ueberreſte von Völkern, die
verſprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar-
barei zurückgeſunken.
Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/74>, abgerufen am 16.02.2025.
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