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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den
nördlichsten Zug eines Bergstockes, welcher sich am rechten Ufer
des Orinoko zwischen dem 5. und 71/2 Grad der Breite, vom
Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht.
Zwischen den verschiedenen Zügen dieses Bergstockes liegen
kleine grasbewachsene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz
parallel, denn die nördlichsten ziehen sich von West nach Ost,
die südlichsten von Nordwest nach Südost. Aus dieser ver-
schiedenen Richtung erklärt sich vollkommen, warum die Kor-
dillere der Parime gegen Ost, zwischen den Quellen des Ori-
noko und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir ein-
mal über die großen Katarakte von Atures und Maypures
hinauf gelangt sind, werden wir hintereinander 7 Hauptketten
erscheinen sehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Cha-
viripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo.
Diese Uebersicht mag einen allgemeinen Begriff von der geo-
logischen Beschaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem
Erdball zeigen die Gebirge, wenn sie noch so unregelmäßig
gruppiert scheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen.
Jede Kette erscheint einem, wenn man auf dem Orinoko fährt,
im Querschnitt als ein einzelner Berg, aber die Isolierung
ist nur scheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem
Auseinandertreten der Ketten scheint geringer zu werden, je
weiter man gegen Osten kommt. Die Berge der Encaramada
hängen mit denen des Mato zusammen, in welchen der Rio
Asiveru oder Cuchivero entspringt; die Berge von Chaviripe er-
strecken sich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Corosal, Amoco
und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari.

Ueber diese Berge, die von sanftmütigen, ackerbauenden
Indianern bewohnt sind, ließ bei der Expedition an die Grenze
General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue
Stadt San Fernando de Atabapo versorgt werden sollte. Die
Einwohner der Encaramada zeigten da den spanischen Sol-
daten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari
mündet. Fährt man diese beiden Flüsse hinab, so gelangt
man in den Orinoko und Atabapo, ohne über die großen
Katarakte zu kommen, über welche Vieh hinaufzuschaffen so
gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeist, der den
Kastilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in so vor-
züglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des 18. Jahr-
hunderts auf kurze Frist noch einmal auf, als König Fer-
dinand IV. die wahren Grenzen seiner ungeheuren Besitzungen

bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den
nördlichſten Zug eines Bergſtockes, welcher ſich am rechten Ufer
des Orinoko zwiſchen dem 5. und 7½ Grad der Breite, vom
Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht.
Zwiſchen den verſchiedenen Zügen dieſes Bergſtockes liegen
kleine grasbewachſene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz
parallel, denn die nördlichſten ziehen ſich von Weſt nach Oſt,
die ſüdlichſten von Nordweſt nach Südoſt. Aus dieſer ver-
ſchiedenen Richtung erklärt ſich vollkommen, warum die Kor-
dillere der Parime gegen Oſt, zwiſchen den Quellen des Ori-
noko und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir ein-
mal über die großen Katarakte von Atures und Maypures
hinauf gelangt ſind, werden wir hintereinander 7 Hauptketten
erſcheinen ſehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Cha-
viripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo.
Dieſe Ueberſicht mag einen allgemeinen Begriff von der geo-
logiſchen Beſchaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem
Erdball zeigen die Gebirge, wenn ſie noch ſo unregelmäßig
gruppiert ſcheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen.
Jede Kette erſcheint einem, wenn man auf dem Orinoko fährt,
im Querſchnitt als ein einzelner Berg, aber die Iſolierung
iſt nur ſcheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem
Auseinandertreten der Ketten ſcheint geringer zu werden, je
weiter man gegen Oſten kommt. Die Berge der Encaramada
hängen mit denen des Mato zuſammen, in welchen der Rio
Aſiveru oder Cuchivero entſpringt; die Berge von Chaviripe er-
ſtrecken ſich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Coroſal, Amoco
und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari.

Ueber dieſe Berge, die von ſanftmütigen, ackerbauenden
Indianern bewohnt ſind, ließ bei der Expedition an die Grenze
General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue
Stadt San Fernando de Atabapo verſorgt werden ſollte. Die
Einwohner der Encaramada zeigten da den ſpaniſchen Sol-
daten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari
mündet. Fährt man dieſe beiden Flüſſe hinab, ſo gelangt
man in den Orinoko und Atabapo, ohne über die großen
Katarakte zu kommen, über welche Vieh hinaufzuſchaffen ſo
gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeiſt, der den
Kaſtilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in ſo vor-
züglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des 18. Jahr-
hunderts auf kurze Friſt noch einmal auf, als König Fer-
dinand IV. die wahren Grenzen ſeiner ungeheuren Beſitzungen

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[45/0053] bedeutend breiter. Die Gipfel der Encaramada bilden den nördlichſten Zug eines Bergſtockes, welcher ſich am rechten Ufer des Orinoko zwiſchen dem 5. und 7½ Grad der Breite, vom Einfluß des Rio Zama bis zu dem des Cabullare hinzieht. Zwiſchen den verſchiedenen Zügen dieſes Bergſtockes liegen kleine grasbewachſene Ebenen. Sie laufen einander nicht ganz parallel, denn die nördlichſten ziehen ſich von Weſt nach Oſt, die ſüdlichſten von Nordweſt nach Südoſt. Aus dieſer ver- ſchiedenen Richtung erklärt ſich vollkommen, warum die Kor- dillere der Parime gegen Oſt, zwiſchen den Quellen des Ori- noko und des Rio Paruspa, breiter wird. Wenn wir ein- mal über die großen Katarakte von Atures und Maypures hinauf gelangt ſind, werden wir hintereinander 7 Hauptketten erſcheinen ſehen, die Berge Encaramada oder Sacuina, Cha- viripa, Baraguan, Carichana, Uniama, Calitamini und Sipapo. Dieſe Ueberſicht mag einen allgemeinen Begriff von der geo- logiſchen Beſchaffenheit des Bodens geben. Ueberall auf dem Erdball zeigen die Gebirge, wenn ſie noch ſo unregelmäßig gruppiert ſcheinen, eine Neigung zu regelmäßigen Formen. Jede Kette erſcheint einem, wenn man auf dem Orinoko fährt, im Querſchnitt als ein einzelner Berg, aber die Iſolierung iſt nur ſcheinbar. Die Regelmäßigkeit im Streichen und dem Auseinandertreten der Ketten ſcheint geringer zu werden, je weiter man gegen Oſten kommt. Die Berge der Encaramada hängen mit denen des Mato zuſammen, in welchen der Rio Aſiveru oder Cuchivero entſpringt; die Berge von Chaviripe er- ſtrecken ſich durch ihre Ausläufer, die Granitberge Coroſal, Amoco und Murcielago, bis zu den Quellen des Erevato und Ventuari. Ueber dieſe Berge, die von ſanftmütigen, ackerbauenden Indianern bewohnt ſind, ließ bei der Expedition an die Grenze General Iturriaga das Hornvieh gehen, mit dem die neue Stadt San Fernando de Atabapo verſorgt werden ſollte. Die Einwohner der Encaramada zeigten da den ſpaniſchen Sol- daten den Weg zum Rio Manapiari, der in den Ventuari mündet. Fährt man dieſe beiden Flüſſe hinab, ſo gelangt man in den Orinoko und Atabapo, ohne über die großen Katarakte zu kommen, über welche Vieh hinaufzuſchaffen ſo gut wie unmöglich wäre. Der Unternehmungsgeiſt, der den Kaſtilianern zur Zeit der Entdeckung von Amerika in ſo vor- züglichem Grade eigen war, lebte in der Mitte des 18. Jahr- hunderts auf kurze Friſt noch einmal auf, als König Fer- dinand IV. die wahren Grenzen ſeiner ungeheuren Beſitzungen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/53>, abgerufen am 24.11.2024.