das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jesuitenpater Gili, dem Verfasser der in Rom gedruckten Storia dell' Orinoco, gegründet wurde. Dieser in den Indianersprachen sehr be- wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einsamkeit bis zur Vertreibung der Jesuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde diese Landstriche sind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte spricht, und daß er nie bis zu dem ersten Katarakt des Stromes gekommen ist, an dessen Beschreibung er sich gewagt hat.
Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus Panapana. Es war ein Kazike, der in seiner Piroge zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit sich. Er saß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern bestand. Sein kalter, einsilbiger Ernst, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor sich hatte. Der Kazike trug sich übrigens ganz wie seine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbe- stoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerschaft, Geräte, Fahrzeug, Segel, alles war rot angestrichen. Diese Kariben sind Menschen von fast athletischem Wuchs; sie schienen uns weit höher gewachsen als die Indianer, die wir bisher ge- sehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verschnittenen Haare, ihre schwarz gefärbten Augen- brauen, ihr finsterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Gesichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenschädel von den Antillen gesehen und waren daher überrascht, daß bei diesen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man sie uns beschrieben. Die sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterschenkel der Kinder waren in gewissen Abständen mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeschnürt. Das Fleisch unter den Binden wird stark zu- sammengepreßt und quillt in den Zwischenräumen heraus. Die Kariben verwenden meist auf ihr Aeußeres und ihren Putz so viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menschen nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewisse Körperformen, und eine Mutter würde gewissenloser Gleich-
das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili, dem Verfaſſer der in Rom gedruckten Storia dell’ Orinoco, gegründet wurde. Dieſer in den Indianerſprachen ſehr be- wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einſamkeit bis zur Vertreibung der Jeſuiten. Man bekommt einen Begriff davon, wie öde dieſe Landſtriche ſind, wenn man hört, daß Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt, wie von einem weit entlegenen Orte ſpricht, und daß er nie bis zu dem erſten Katarakt des Stromes gekommen iſt, an deſſen Beſchreibung er ſich gewagt hat.
Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus Panapana. Es war ein Kazike, der in ſeiner Piroge zum berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit ſich. Er ſaß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel, aus Palmblättern beſtand. Sein kalter, einſilbiger Ernſt, die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte, daß man einen großen Herrn vor ſich hatte. Der Kazike trug ſich übrigens ganz wie ſeine Indianer; alle waren nackt, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbe- ſtoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerſchaft, Geräte, Fahrzeug, Segel, alles war rot angeſtrichen. Dieſe Kariben ſind Menſchen von faſt athletiſchem Wuchs; ſie ſchienen uns weit höher gewachſen als die Indianer, die wir bisher ge- ſehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den Chorknaben verſchnittenen Haare, ihre ſchwarz gefärbten Augen- brauen, ihr finſterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem Geſichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenſchädel von den Antillen geſehen und waren daher überraſcht, daß bei dieſen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter war, als man ſie uns beſchrieben. Die ſehr großen, aber ekelhaft ſchmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Die Ober- und Unterſchenkel der Kinder waren in gewiſſen Abſtänden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug eingeſchnürt. Das Fleiſch unter den Binden wird ſtark zu- ſammengepreßt und quillt in den Zwiſchenräumen heraus. Die Kariben verwenden meiſt auf ihr Aeußeres und ihren Putz ſo viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menſchen nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewiſſe Körperformen, und eine Mutter würde gewiſſenloſer Gleich-
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[43/0051]
das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili,
dem Verfaſſer der in Rom gedruckten Storia dell’ Orinoco,
gegründet wurde. Dieſer in den Indianerſprachen ſehr be-
wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einſamkeit bis
zur Vertreibung der Jeſuiten. Man bekommt einen Begriff
davon, wie öde dieſe Landſtriche ſind, wenn man hört, daß
Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt,
wie von einem weit entlegenen Orte ſpricht, und daß er nie
bis zu dem erſten Katarakt des Stromes gekommen iſt, an
deſſen Beſchreibung er ſich gewagt hat.
Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus
Panapana. Es war ein Kazike, der in ſeiner Piroge zum
berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine
Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo
und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit ſich.
Er ſaß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel,
aus Palmblättern beſtand. Sein kalter, einſilbiger Ernſt,
die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte,
daß man einen großen Herrn vor ſich hatte. Der Kazike trug
ſich übrigens ganz wie ſeine Indianer; alle waren nackt, mit
Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbe-
ſtoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerſchaft, Geräte,
Fahrzeug, Segel, alles war rot angeſtrichen. Dieſe Kariben
ſind Menſchen von faſt athletiſchem Wuchs; ſie ſchienen uns
weit höher gewachſen als die Indianer, die wir bisher ge-
ſehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den
Chorknaben verſchnittenen Haare, ihre ſchwarz gefärbten Augen-
brauen, ihr finſterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem
Geſichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt
nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenſchädel von
den Antillen geſehen und waren daher überraſcht, daß bei
dieſen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter
war, als man ſie uns beſchrieben. Die ſehr großen, aber
ekelhaft ſchmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem
Rücken. Die Ober- und Unterſchenkel der Kinder waren in
gewiſſen Abſtänden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug
eingeſchnürt. Das Fleiſch unter den Binden wird ſtark zu-
ſammengepreßt und quillt in den Zwiſchenräumen heraus.
Die Kariben verwenden meiſt auf ihr Aeußeres und ihren
Putz ſo viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menſchen
nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewiſſe
Körperformen, und eine Mutter würde gewiſſenloſer Gleich-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/51>, abgerufen am 16.07.2024.
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