Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jesuitenpater Gili, Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili, Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0051" n="43"/> das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili,<lb/> dem Verfaſſer der in Rom gedruckten <hi rendition="#aq">Storia dell’ Orinoco,</hi><lb/> gegründet wurde. Dieſer in den Indianerſprachen ſehr be-<lb/> wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einſamkeit bis<lb/> zur Vertreibung der Jeſuiten. Man bekommt einen Begriff<lb/> davon, wie öde dieſe Landſtriche ſind, wenn man hört, daß<lb/> Pater Gili von Carichana, das 180 <hi rendition="#aq">km</hi> von Encaramada liegt,<lb/> wie von einem weit entlegenen Orte ſpricht, und daß er nie<lb/> bis zu dem erſten Katarakt des Stromes gekommen iſt, an<lb/> deſſen Beſchreibung er ſich gewagt hat.</p><lb/> <p>Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus<lb/> Panapana. Es war ein Kazike, der in ſeiner Piroge zum<lb/> berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine<lb/> Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein <hi rendition="#g">Bongo</hi><lb/> und führte ein kleineres Kanoe, <hi rendition="#g">Curiara</hi> genannt, mit ſich.<lb/> Er ſaß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel,<lb/> aus Palmblättern beſtand. Sein kalter, einſilbiger Ernſt,<lb/> die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte,<lb/> daß man einen großen Herrn vor ſich hatte. Der Kazike trug<lb/> ſich übrigens ganz wie ſeine Indianer; alle waren nackt, mit<lb/> Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit <hi rendition="#g">Onoto</hi>, dem Farbe-<lb/> ſtoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerſchaft, Geräte,<lb/> Fahrzeug, Segel, alles war rot angeſtrichen. Dieſe Kariben<lb/> ſind Menſchen von faſt athletiſchem Wuchs; ſie ſchienen uns<lb/> weit höher gewachſen als die Indianer, die wir bisher ge-<lb/> ſehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den<lb/> Chorknaben verſchnittenen Haare, ihre ſchwarz gefärbten Augen-<lb/> brauen, ihr finſterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem<lb/> Geſichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt<lb/> nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenſchädel von<lb/> den Antillen geſehen und waren daher überraſcht, daß bei<lb/> dieſen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter<lb/> war, als man ſie uns beſchrieben. Die ſehr großen, aber<lb/> ekelhaft ſchmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem<lb/> Rücken. Die Ober- und Unterſchenkel der Kinder waren in<lb/> gewiſſen Abſtänden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug<lb/> eingeſchnürt. Das Fleiſch unter den Binden wird ſtark zu-<lb/> ſammengepreßt und quillt in den Zwiſchenräumen heraus.<lb/> Die Kariben verwenden meiſt auf ihr Aeußeres und ihren<lb/> Putz ſo viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menſchen<lb/> nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewiſſe<lb/> Körperformen, und eine Mutter würde gewiſſenloſer Gleich-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0051]
das kleine Dorf, das im Jahre 1749 vom Jeſuitenpater Gili,
dem Verfaſſer der in Rom gedruckten Storia dell’ Orinoco,
gegründet wurde. Dieſer in den Indianerſprachen ſehr be-
wanderte Mann lebte hier 18 Jahre in der Einſamkeit bis
zur Vertreibung der Jeſuiten. Man bekommt einen Begriff
davon, wie öde dieſe Landſtriche ſind, wenn man hört, daß
Pater Gili von Carichana, das 180 km von Encaramada liegt,
wie von einem weit entlegenen Orte ſpricht, und daß er nie
bis zu dem erſten Katarakt des Stromes gekommen iſt, an
deſſen Beſchreibung er ſich gewagt hat.
Im Hafen von Encaramada trafen wir Kariben aus
Panapana. Es war ein Kazike, der in ſeiner Piroge zum
berühmten Schildkröteneierfang den Fluß hinaufging. Seine
Piroge war gegen den Boden zugerundet wie ein Bongo
und führte ein kleineres Kanoe, Curiara genannt, mit ſich.
Er ſaß unter einer Art Zelt (Toldo), das, gleich dem Segel,
aus Palmblättern beſtand. Sein kalter, einſilbiger Ernſt,
die Ehrerbietung, die die Seinigen ihm bezeigten, alles zeigte,
daß man einen großen Herrn vor ſich hatte. Der Kazike trug
ſich übrigens ganz wie ſeine Indianer; alle waren nackt, mit
Bogen und Pfeilen bewaffnet und mit Onoto, dem Farbe-
ſtoff des Rocou, bemalt. Häuptling, Dienerſchaft, Geräte,
Fahrzeug, Segel, alles war rot angeſtrichen. Dieſe Kariben
ſind Menſchen von faſt athletiſchem Wuchs; ſie ſchienen uns
weit höher gewachſen als die Indianer, die wir bisher ge-
ſehen. Ihre glatten, dichten, auf der Stirne wie bei den
Chorknaben verſchnittenen Haare, ihre ſchwarz gefärbten Augen-
brauen, ihr finſterer und doch lebhafter Blick gaben ihrem
Geſichtsausdruck etwas ungemein Hartes. Wir hatten bis jetzt
nur in den Kabinetten in Europa ein paar Karibenſchädel von
den Antillen geſehen und waren daher überraſcht, daß bei
dieſen Indianern von reinem Blute die Stirne weit gewölbter
war, als man ſie uns beſchrieben. Die ſehr großen, aber
ekelhaft ſchmutzigen Weiber trugen ihre kleinen Kinder auf dem
Rücken. Die Ober- und Unterſchenkel der Kinder waren in
gewiſſen Abſtänden mit breiten Binden aus Baumwollenzeug
eingeſchnürt. Das Fleiſch unter den Binden wird ſtark zu-
ſammengepreßt und quillt in den Zwiſchenräumen heraus.
Die Kariben verwenden meiſt auf ihr Aeußeres und ihren
Putz ſo viel Sorgfalt, als nackte und rot bemalte Menſchen
nur immer können. Sie legen bedeutenden Wert auf gewiſſe
Körperformen, und eine Mutter würde gewiſſenloſer Gleich-
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