Manati vorüber, so genannt wegen der ungeheuren Menge Manati oder Lamantine, die jährlich hier gefangen werden. Dieses grasfressende Wassersäugetier, das die Indianer Apcia und Avia nennen, wird hier meist 3,25 bis 4 m lang und 250 bis 400 kg schwer. Wir sahen das Wasser mit dem Kot desselben bedeckt, der sehr stinkend ist, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es ist im Orinoko unterhalb der Ka- tarakte, im Meta und im Apure zwischen den beiden Inseln Carizales und Conserva sehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußeren Fläche und am Rande der Schwimm- flossen, die ganz glatt sind; zieht man aber die Haut der Flosse ab, so zeigen sich an der dritten Phalange kleine Nägel- rudimente. Bei einem 3 m langen Tier, das wir in Cari- chana, einer Mission am Orinoko, zergliederten, sprang die Oberlippe 10 cm über die untere vor. Jene ist mit einer sehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüssel oder Fühler zum Betasten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim frisch getöteten Tier auffallend warm ist, zeigt einen ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge ist fast unbeweglich; aber vor derselben befindet sich in jeder Kinnlade ein fleischiger Knopf und eine mit sehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die ineinander passen. Der Lamantin verschluckt so viel Gras, daß wir sowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen als den 35 m langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Tier am Rücken auf, so erstaunt man über die Größe, Gestalt und Lage seiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblasen; sie ist 1 m lang. Mit Luft gefüllt hat sie ein Volumen von mehr als 1000 Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit so ansehnlichen Luftbehältern so oft an die Wasserfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleisch, das aus irgend einem Vorurteil, für ungesund und calenturioso (fiebererzeugend) gilt, ist sehr schmackhaft; es schien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleisch als mit Rindfleisch zu haben. Die Guamos und Otomaken essen es am liebsten, daher geben sich auch diese zwei Stämme vorzugsweise mit dem Seekuh- fang ab. Das eingesalzene und an der Sonne gedörrte Fleisch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieses Säugetier bei der Klerisei für einen Fisch gilt, so ist es in den Fasten sehr gesucht. Der Lamantin hat ein äußerst zähes Leben; man harpuniert ihn und bindet ihn sodann, schlachtet ihn aber erst, nachdem er in die Piroge geschafft worden. Dies
Manati vorüber, ſo genannt wegen der ungeheuren Menge Manati oder Lamantine, die jährlich hier gefangen werden. Dieſes grasfreſſende Waſſerſäugetier, das die Indianer Apcia und Avia nennen, wird hier meiſt 3,25 bis 4 m lang und 250 bis 400 kg ſchwer. Wir ſahen das Waſſer mit dem Kot desſelben bedeckt, der ſehr ſtinkend iſt, aber ganz dem des Rindviehs gleicht. Es iſt im Orinoko unterhalb der Ka- tarakte, im Meta und im Apure zwiſchen den beiden Inſeln Carizales und Conſerva ſehr häufig. Wir fanden keine Spur von Nägeln auf der äußeren Fläche und am Rande der Schwimm- floſſen, die ganz glatt ſind; zieht man aber die Haut der Floſſe ab, ſo zeigen ſich an der dritten Phalange kleine Nägel- rudimente. Bei einem 3 m langen Tier, das wir in Cari- chana, einer Miſſion am Orinoko, zergliederten, ſprang die Oberlippe 10 cm über die untere vor. Jene iſt mit einer ſehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüſſel oder Fühler zum Betaſten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die beim friſch getöteten Tier auffallend warm iſt, zeigt einen ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge iſt faſt unbeweglich; aber vor derſelben befindet ſich in jeder Kinnlade ein fleiſchiger Knopf und eine mit ſehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, die ineinander paſſen. Der Lamantin verſchluckt ſo viel Gras, daß wir ſowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen als den 35 m langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet man das Tier am Rücken auf, ſo erſtaunt man über die Größe, Geſtalt und Lage ſeiner Lunge. Sie hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblaſen; ſie iſt 1 m lang. Mit Luft gefüllt hat ſie ein Volumen von mehr als 1000 Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß der Lamantin mit ſo anſehnlichen Luftbehältern ſo oft an die Waſſerfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleiſch, das aus irgend einem Vorurteil, für ungeſund und calenturioso (fiebererzeugend) gilt, iſt ſehr ſchmackhaft; es ſchien mir mehr Aehnlichkeit mit Schweinefleiſch als mit Rindfleiſch zu haben. Die Guamos und Otomaken eſſen es am liebſten, daher geben ſich auch dieſe zwei Stämme vorzugsweiſe mit dem Seekuh- fang ab. Das eingeſalzene und an der Sonne gedörrte Fleiſch wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieſes Säugetier bei der Kleriſei für einen Fiſch gilt, ſo iſt es in den Faſten ſehr geſucht. Der Lamantin hat ein äußerſt zähes Leben; man harpuniert ihn und bindet ihn ſodann, ſchlachtet ihn aber erſt, nachdem er in die Piroge geſchafft worden. Dies
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Manati vorüber, ſo genannt wegen der ungeheuren Menge
Manati oder Lamantine, die jährlich hier gefangen werden.
Dieſes grasfreſſende Waſſerſäugetier, das die Indianer Apcia
und Avia nennen, wird hier meiſt 3,25 bis 4 m lang und
250 bis 400 kg ſchwer. Wir ſahen das Waſſer mit dem
Kot desſelben bedeckt, der ſehr ſtinkend iſt, aber ganz dem
des Rindviehs gleicht. Es iſt im Orinoko unterhalb der Ka-
tarakte, im Meta und im Apure zwiſchen den beiden Inſeln
Carizales und Conſerva ſehr häufig. Wir fanden keine Spur
von Nägeln auf der äußeren Fläche und am Rande der Schwimm-
floſſen, die ganz glatt ſind; zieht man aber die Haut der
Floſſe ab, ſo zeigen ſich an der dritten Phalange kleine Nägel-
rudimente. Bei einem 3 m langen Tier, das wir in Cari-
chana, einer Miſſion am Orinoko, zergliederten, ſprang die
Oberlippe 10 cm über die untere vor. Jene iſt mit einer
ſehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüſſel oder Fühler
zum Betaſten der vorliegenden Körper. Die Mundhöhle, die
beim friſch getöteten Tier auffallend warm iſt, zeigt einen
ganz eigentümlichen Bau. Die Zunge iſt faſt unbeweglich;
aber vor derſelben befindet ſich in jeder Kinnlade ein fleiſchiger
Knopf und eine mit ſehr harter Haut ausgekleidete Höhlung,
die ineinander paſſen. Der Lamantin verſchluckt ſo viel Gras,
daß wir ſowohl den in mehrere Fächer geteilten Magen als
den 35 m langen Darm ganz damit angefüllt fanden. Schneidet
man das Tier am Rücken auf, ſo erſtaunt man über die
Größe, Geſtalt und Lage ſeiner Lunge. Sie hat ungemein
große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblaſen; ſie iſt
1 m lang. Mit Luft gefüllt hat ſie ein Volumen von mehr
als 1000 Kubikzoll. Ich mußte mich nur wundern, daß
der Lamantin mit ſo anſehnlichen Luftbehältern ſo oft an die
Waſſerfläche heraufkommt, um zu atmen. Sein Fleiſch, das
aus irgend einem Vorurteil, für ungeſund und calenturioso
(fiebererzeugend) gilt, iſt ſehr ſchmackhaft; es ſchien mir mehr
Aehnlichkeit mit Schweinefleiſch als mit Rindfleiſch zu haben.
Die Guamos und Otomaken eſſen es am liebſten, daher geben
ſich auch dieſe zwei Stämme vorzugsweiſe mit dem Seekuh-
fang ab. Das eingeſalzene und an der Sonne gedörrte Fleiſch
wird das ganze Jahr aufbewahrt, und da dieſes Säugetier
bei der Kleriſei für einen Fiſch gilt, ſo iſt es in den Faſten
ſehr geſucht. Der Lamantin hat ein äußerſt zähes Leben;
man harpuniert ihn und bindet ihn ſodann, ſchlachtet ihn
aber erſt, nachdem er in die Piroge geſchafft worden. Dies
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/42>, abgerufen am 17.02.2025.
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