narbte, sehr tiefe Wunden, die von diesen kleinen Tieren her- rührten, die bei den Maypures Umati heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüsse, gießt man aber ein paar Tropfen Blut ins Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf. Be- denkt man, wie zahlreich diese Fische sind, von denen die ge- fräßigsten und blutgierigsten nur 8 bis 10 cm lang werden, betrachtet man ihre dreiseitigen schneidenden, spitzen Zähne und weites retraktiles Maul, so wundert man sich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoko den Karibe so sehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fisch zu sehen war, warfen wir kleine blutige Fleischstücke ins Wasser. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Karibenfischen da und stritt sich um den Fraß. Der Fisch hat einen kantigen, sägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen, den My- leten und den Pristigastern zukommt. Nach dem Vor- handensein einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinanderstehenden, in der unteren Kinnlade größeren Zähne gehört der Karibe zu den Serra- Salmen. Er hat ein viel weiter gespaltenes Maul als Cu- viers Myleten. Der Körper ist am Rücken aschgrau, ins Grünliche spielend; aber Bauch, Kiemen, Brust-, Bauch- und Afterfloßen sind schön orangegelb. Im Orinoko kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unter- scheidet. Die mittlere scheint identisch mit Marcgravs mitt- lerer Art des Piraya oder Piranha (Salmo rhombeus, Linne). Ich habe sie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen sehr angenehmen Geschmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, ist er als eine der größten Plagen dieser Landstriche zu betrachten, wo der Stich der Moskiten und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Bedürfnis machen.
Wir hielten gegen mittag an einem unbewohnten Ort, Algodonal genannt. Ich trennte mich von meinen Ge- fährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittagessen rüstete. Ich ging am Gestade hin, um in der Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne schliefen, wobei sie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze aufeinanderlegten. Kleine Schneeweiße Reiher 1 liefen ihnen
1Garzon Chico. In Oberägypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil sie sich beim Fischfang
narbte, ſehr tiefe Wunden, die von dieſen kleinen Tieren her- rührten, die bei den Maypures Umati heißen. Sie leben auf dem Boden der Flüſſe, gießt man aber ein paar Tropfen Blut ins Waſſer, ſo kommen ſie zu Tauſenden herauf. Be- denkt man, wie zahlreich dieſe Fiſche ſind, von denen die ge- fräßigſten und blutgierigſten nur 8 bis 10 cm lang werden, betrachtet man ihre dreiſeitigen ſchneidenden, ſpitzen Zähne und weites retraktiles Maul, ſo wundert man ſich nicht, daß die Anwohner des Apure und des Orinoko den Karibe ſo ſehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fiſch zu ſehen war, warfen wir kleine blutige Fleiſchſtücke ins Waſſer. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von Karibenfiſchen da und ſtritt ſich um den Fraß. Der Fiſch hat einen kantigen, ſägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal, das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen, den My- leten und den Priſtigaſtern zukommt. Nach dem Vor- handenſein einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der von den Lippen bedeckten, auseinanderſtehenden, in der unteren Kinnlade größeren Zähne gehört der Karibe zu den Serra- Salmen. Er hat ein viel weiter geſpaltenes Maul als Cu- viers Myleten. Der Körper iſt am Rücken aſchgrau, ins Grünliche ſpielend; aber Bauch, Kiemen, Bruſt-, Bauch- und Afterfloßen ſind ſchön orangegelb. Im Orinoko kommen drei Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unter- ſcheidet. Die mittlere ſcheint identiſch mit Marcgravs mitt- lerer Art des Piraya oder Piranha (Salmo rhombeus, Linné). Ich habe ſie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat einen ſehr angenehmen Geſchmack. Weil man nirgends zu baden wagt, wo er vorkommt, iſt er als eine der größten Plagen dieſer Landſtriche zu betrachten, wo der Stich der Moskiten und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem dringenden Bedürfnis machen.
Wir hielten gegen mittag an einem unbewohnten Ort, Algodonal genannt. Ich trennte mich von meinen Ge- fährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das Mittageſſen rüſtete. Ich ging am Geſtade hin, um in der Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne ſchliefen, wobei ſie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze aufeinanderlegten. Kleine Schneeweiße Reiher 1 liefen ihnen
1Garzon Chico. In Oberägypten glaubt man, die Reiher haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil ſie ſich beim Fiſchfang
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auf dem Boden der Flüſſe, gießt man aber ein paar Tropfen
Blut ins Waſſer, ſo kommen ſie zu Tauſenden herauf. Be-
denkt man, wie zahlreich dieſe Fiſche ſind, von denen die ge-
fräßigſten und blutgierigſten nur 8 bis 10 cm lang werden,
betrachtet man ihre dreiſeitigen ſchneidenden, ſpitzen Zähne
und weites retraktiles Maul, ſo wundert man ſich nicht, daß
die Anwohner des Apure und des Orinoko den Karibe ſo
ſehr fürchten. An Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein
Fiſch zu ſehen war, warfen wir kleine blutige Fleiſchſtücke ins
Waſſer. In wenigen Minuten war ein ganzer Schwarm von
Karibenfiſchen da und ſtritt ſich um den Fraß. Der Fiſch
hat einen kantigen, ſägenförmig gekerbten Bauch, ein Merkmal,
das mehreren Gattungen, den Serra-Salmen, den My-
leten und den Priſtigaſtern zukommt. Nach dem Vor-
handenſein einer zweiten fetten Rückenfloße und der Form der
von den Lippen bedeckten, auseinanderſtehenden, in der unteren
Kinnlade größeren Zähne gehört der Karibe zu den Serra-
Salmen. Er hat ein viel weiter geſpaltenes Maul als Cu-
viers Myleten. Der Körper iſt am Rücken aſchgrau, ins
Grünliche ſpielend; aber Bauch, Kiemen, Bruſt-, Bauch- und
Afterfloßen ſind ſchön orangegelb. Im Orinoko kommen drei
Arten (oder Spielarten?) vor, die man nach der Größe unter-
ſcheidet. Die mittlere ſcheint identiſch mit Marcgravs mitt-
lerer Art des Piraya oder Piranha (Salmo rhombeus, Linné).
Ich habe ſie an Ort und Stelle gezeichnet. Der Caribito hat
einen ſehr angenehmen Geſchmack. Weil man nirgends zu
baden wagt, wo er vorkommt, iſt er als eine der größten
Plagen dieſer Landſtriche zu betrachten, wo der Stich der
Moskiten und der Ueberreiz der Haut das Baden zu einem
dringenden Bedürfnis machen.
Wir hielten gegen mittag an einem unbewohnten Ort,
Algodonal genannt. Ich trennte mich von meinen Ge-
fährten, während man das Fahrzeug ans Land zog und das
Mittageſſen rüſtete. Ich ging am Geſtade hin, um in der
Nähe einen Trupp Krokodile zu beobachten, die in der Sonne
ſchliefen, wobei ſie ihre mit breiten Platten belegten Schwänze
aufeinanderlegten. Kleine Schneeweiße Reiher 1 liefen ihnen
1 Garzon Chico. In Oberägypten glaubt man, die Reiher
haben eine Zuneigung zum Krokodil, weil ſie ſich beim Fiſchfang
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/40>, abgerufen am 16.07.2024.
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