den Achagua, Guahibos und Otomaken gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachsucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig voneinander ab. Diese vier Stämme leben größtenteils von Fischfang und Jagd auf den häufig überschwemmten Ebenen zwischen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben scheint hier durch die Beschaffenheit des Landes selbst bedingt. Wir werden bald sehen, daß man, sobald man die Berge an den Katarakten des Orinoko betritt, bei den Piraoa, Macos und Maquiritares sanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Ge- birge, in undurchdringlichen Wäldern sieht sich der Mensch genötigt, sich fest niederzulassen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anstrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine anderen Wege führen als die Flüsse, ein hartes, mühseliges Leben führt. Die Guamos in der Mission Santa Barbara konnten uns die Mundvorräte, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern; sie bauten nur etwas Maniok. Sie schienen indessen gastfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten sie uns getrocknete Fische und Wasser (in ihrer Sprache Cub) an. Das Wasser war in porösen Gefäßen abgekühlt.
Unterhalb der Vuelta del Cochino roto, an einer Stelle, wo sich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, sehr breiten Gestade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und so brachten wir nur mit Not trockenes Holz zusammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indianer glauben, vor dem nächtlichen An- griffe des Tigers sicher ist. Unsere eigene Erfahrung scheint diesen Glauben zu bestätigen; dagegen versichert Azarro, zu seiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savanne weggeholt.
Die Nacht war still und heiter und der Mond schien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; sie hatten sich so gelegt, daß sie das Feuer sehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desselben sie herlockt, wie die Fische, die Krebse und andere Wassertiere. Die Indianer zeigten uns im Sande die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen seine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, steckten wir die Ruder in den Boden und be- festigsten unsere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich
den Achagua, Guahibos und Otomaken gemein, namentlich die Unreinlichkeit, die Rachſucht und die Liebe zum wandernden Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig voneinander ab. Dieſe vier Stämme leben größtenteils von Fiſchfang und Jagd auf den häufig überſchwemmten Ebenen zwiſchen dem Apure, dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben ſcheint hier durch die Beſchaffenheit des Landes ſelbſt bedingt. Wir werden bald ſehen, daß man, ſobald man die Berge an den Katarakten des Orinoko betritt, bei den Piraoa, Macos und Maquiritares ſanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Ge- birge, in undurchdringlichen Wäldern ſieht ſich der Menſch genötigt, ſich feſt niederzulaſſen und einen kleinen Fleck Erde zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anſtrengung, wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine anderen Wege führen als die Flüſſe, ein hartes, mühſeliges Leben führt. Die Guamos in der Miſſion Santa Barbara konnten uns die Mundvorräte, die wir gerne gehabt hätten, nicht liefern; ſie bauten nur etwas Maniok. Sie ſchienen indeſſen gaſtfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten ſie uns getrocknete Fiſche und Waſſer (in ihrer Sprache Cub) an. Das Waſſer war in poröſen Gefäßen abgekühlt.
Unterhalb der Vuelta del Cochino roto, an einer Stelle, wo ſich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten wir auf einem dürren, ſehr breiten Geſtade. In den dichten Wald war nicht zu kommen, und ſo brachten wir nur mit Not trockenes Holz zuſammen, um Feuer anmachen zu können, wobei man, wie die Indianer glauben, vor dem nächtlichen An- griffe des Tigers ſicher iſt. Unſere eigene Erfahrung ſcheint dieſen Glauben zu beſtätigen; dagegen verſichert Azarro, zu ſeiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von einem Feuer in der Savanne weggeholt.
Die Nacht war ſtill und heiter und der Mond ſchien herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; ſie hatten ſich ſo gelegt, daß ſie das Feuer ſehen konnten. Wir glauben bemerkt zu haben, daß der Glanz desſelben ſie herlockt, wie die Fiſche, die Krebſe und andere Waſſertiere. Die Indianer zeigten uns im Sande die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen ſeine Jungen zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen Baum fanden, ſteckten wir die Ruder in den Boden und be- feſtigſten unſere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich
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[27/0035]
den Achagua, Guahibos und Otomaken gemein, namentlich
die Unreinlichkeit, die Rachſucht und die Liebe zum wandernden
Leben; aber ihre Sprachen weichen völlig voneinander ab.
Dieſe vier Stämme leben größtenteils von Fiſchfang und Jagd
auf den häufig überſchwemmten Ebenen zwiſchen dem Apure,
dem Meta und dem Guaviare. Das Wanderleben ſcheint
hier durch die Beſchaffenheit des Landes ſelbſt bedingt. Wir
werden bald ſehen, daß man, ſobald man die Berge an den
Katarakten des Orinoko betritt, bei den Piraoa, Macos und
Maquiritares ſanftere Sitten, Liebe zum Ackerbau und in den
Hütten große Reinlichkeit findet. Auf dem Rücken der Ge-
birge, in undurchdringlichen Wäldern ſieht ſich der Menſch
genötigt, ſich feſt niederzulaſſen und einen kleinen Fleck Erde
zu bebauen. Dazu bedarf es keiner großen Anſtrengung,
wogegen der Jäger in einem Lande, durch das keine anderen
Wege führen als die Flüſſe, ein hartes, mühſeliges Leben
führt. Die Guamos in der Miſſion Santa Barbara konnten
uns die Mundvorräte, die wir gerne gehabt hätten, nicht
liefern; ſie bauten nur etwas Maniok. Sie ſchienen indeſſen
gaſtfreundlich, und als wir in ihre Hütten traten, boten ſie
uns getrocknete Fiſche und Waſſer (in ihrer Sprache Cub) an.
Das Waſſer war in poröſen Gefäßen abgekühlt.
Unterhalb der Vuelta del Cochino roto, an einer Stelle,
wo ſich der Fluß ein neues Bett gegraben hatte, übernachteten
wir auf einem dürren, ſehr breiten Geſtade. In den dichten
Wald war nicht zu kommen, und ſo brachten wir nur mit
Not trockenes Holz zuſammen, um Feuer anmachen zu können,
wobei man, wie die Indianer glauben, vor dem nächtlichen An-
griffe des Tigers ſicher iſt. Unſere eigene Erfahrung ſcheint
dieſen Glauben zu beſtätigen; dagegen verſichert Azarro, zu
ſeiner Zeit habe in Paraguay ein Tiger einen Mann von
einem Feuer in der Savanne weggeholt.
Die Nacht war ſtill und heiter und der Mond ſchien
herrlich. Die Krokodile lagen am Ufer; ſie hatten ſich ſo
gelegt, daß ſie das Feuer ſehen konnten. Wir glauben bemerkt
zu haben, daß der Glanz desſelben ſie herlockt, wie die Fiſche,
die Krebſe und andere Waſſertiere. Die Indianer zeigten uns
im Sande die Fährten dreier Tiger, darunter zweier ganz
jungen. Ohne Zweifel hatte hier ein Weibchen ſeine Jungen
zum Trinken an den Fluß geführt. Da wir am Ufer keinen
Baum fanden, ſteckten wir die Ruder in den Boden und be-
feſtigſten unſere Hängematten daran. Alles blieb ziemlich
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/35>, abgerufen am 16.07.2024.
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