Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht an- greift, der Gegenstand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblicke, wo es sich ins Wasser wirft, in den Weg kommen.
Beim Joval wird der Charakter der Landschaft groß- artig wild. Hier sahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbst die Indianer erstaunten über seine un- geheure Länge; er war größer als alle indischen Tiger, die ich in Europa in Menagerien gesehen. Das Tier lag im Schatten eines großen Zamang. 1 Es hatte eben einen Chi- guire erlegt, aber seine Beute noch nicht angebrochen; nur eine seiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unterägypten ver- glichen haben, hatten sich in Scharen versammelt, um die Reste vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den seltsamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten sich bis auf 60 cm vom Jaguar vor, aber bei der leisesten Bewegung desselben wichen sie zurück. Um die Sitten dieser Tiere noch mehr in der Nähe zu be- obachten, bestiegen wir das kleine Kanoe, das unsere Piroge mit sich führte. Sehr selten greift der Tiger Kähne an, indem er danach schwimmt, und dies kommt nur vor, wenn durch langen Hunger seine Wut gereizt ist. Beim Geräusch unserer Ruder erhob sich das Tier langsam, um sich hinter den Sauso- büschen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten sich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unseres Kanoe, einen Satz unter sie und schleppte zornerfüllt, wie man an seinem Gange und am Schlagen seines Schwanzes sah, seine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß sie ihre Lanzen nicht bei sich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie sind an diese Waffe gewöhnt und thaten wohl, sich nicht auf unsere Gewehre zu verlassen, die in einer so ungemein feuchten Luft häufig versagten.
Im Weiterfahren flußabwärts sahen wir die große Herde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er sich ein Stück geholt hatte. Die Tiere sahen uns ganz ruhig landen. Manche saßen da und schienen uns zu betrachten, wobei sie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menschen schienen sie sich nicht zu fürchten, aber beim Anblicke unseres
1 Eine Mimosenart.
Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht an- greift, der Gegenſtand, den es packen will, müßte ihm denn im Augenblicke, wo es ſich ins Waſſer wirft, in den Weg kommen.
Beim Joval wird der Charakter der Landſchaft groß- artig wild. Hier ſahen wir den größten Tiger, der uns je vorgekommen. Selbſt die Indianer erſtaunten über ſeine un- geheure Länge; er war größer als alle indiſchen Tiger, die ich in Europa in Menagerien geſehen. Das Tier lag im Schatten eines großen Zamang. 1 Es hatte eben einen Chi- guire erlegt, aber ſeine Beute noch nicht angebrochen; nur eine ſeiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart, die wir oben mit dem Percnopterus in Unterägypten ver- glichen haben, hatten ſich in Scharen verſammelt, um die Reſte vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns nicht wenig durch den ſeltſamen Verein von Frechheit und Scheu. Sie wagten ſich bis auf 60 cm vom Jaguar vor, aber bei der leiſeſten Bewegung desſelben wichen ſie zurück. Um die Sitten dieſer Tiere noch mehr in der Nähe zu be- obachten, beſtiegen wir das kleine Kanoe, das unſere Piroge mit ſich führte. Sehr ſelten greift der Tiger Kähne an, indem er danach ſchwimmt, und dies kommt nur vor, wenn durch langen Hunger ſeine Wut gereizt iſt. Beim Geräuſch unſerer Ruder erhob ſich das Tier langſam, um ſich hinter den Sauſo- büſchen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog, wollten ſich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unſeres Kanoe, einen Satz unter ſie und ſchleppte zornerfüllt, wie man an ſeinem Gange und am Schlagen ſeines Schwanzes ſah, ſeine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten, daß ſie ihre Lanzen nicht bei ſich hatten, um landen und den Tiger angreifen zu können. Sie ſind an dieſe Waffe gewöhnt und thaten wohl, ſich nicht auf unſere Gewehre zu verlaſſen, die in einer ſo ungemein feuchten Luft häufig verſagten.
Im Weiterfahren flußabwärts ſahen wir die große Herde der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er ſich ein Stück geholt hatte. Die Tiere ſahen uns ganz ruhig landen. Manche ſaßen da und ſchienen uns zu betrachten, wobei ſie, wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menſchen ſchienen ſie ſich nicht zu fürchten, aber beim Anblicke unſeres
1 Eine Mimoſenart.
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[23/0031]
Krokodil des Apure und Orinoko auf dem Lande nicht an-
greift, der Gegenſtand, den es packen will, müßte ihm denn
im Augenblicke, wo es ſich ins Waſſer wirft, in den Weg
kommen.
Beim Joval wird der Charakter der Landſchaft groß-
artig wild. Hier ſahen wir den größten Tiger, der uns je
vorgekommen. Selbſt die Indianer erſtaunten über ſeine un-
geheure Länge; er war größer als alle indiſchen Tiger, die
ich in Europa in Menagerien geſehen. Das Tier lag im
Schatten eines großen Zamang. 1 Es hatte eben einen Chi-
guire erlegt, aber ſeine Beute noch nicht angebrochen; nur
eine ſeiner Tatzen lag darauf. Die Zamuros, eine Geierart,
die wir oben mit dem Percnopterus in Unterägypten ver-
glichen haben, hatten ſich in Scharen verſammelt, um die Reſte
vom Mahle des Jaguars zu verzehren. Sie ergötzten uns
nicht wenig durch den ſeltſamen Verein von Frechheit und
Scheu. Sie wagten ſich bis auf 60 cm vom Jaguar vor,
aber bei der leiſeſten Bewegung desſelben wichen ſie zurück.
Um die Sitten dieſer Tiere noch mehr in der Nähe zu be-
obachten, beſtiegen wir das kleine Kanoe, das unſere Piroge
mit ſich führte. Sehr ſelten greift der Tiger Kähne an, indem
er danach ſchwimmt, und dies kommt nur vor, wenn durch
langen Hunger ſeine Wut gereizt iſt. Beim Geräuſch unſerer
Ruder erhob ſich das Tier langſam, um ſich hinter den Sauſo-
büſchen am Ufer zu verbergen. Den Augenblick, wo er abzog,
wollten ſich die Geier zu Nutze machen, um den Chiguire zu
verzehren; aber der Tiger machte, trotz der Nähe unſeres
Kanoe, einen Satz unter ſie und ſchleppte zornerfüllt, wie
man an ſeinem Gange und am Schlagen ſeines Schwanzes
ſah, ſeine Beute in den Wald. Die Indianer bedauerten,
daß ſie ihre Lanzen nicht bei ſich hatten, um landen und den
Tiger angreifen zu können. Sie ſind an dieſe Waffe gewöhnt
und thaten wohl, ſich nicht auf unſere Gewehre zu verlaſſen,
die in einer ſo ungemein feuchten Luft häufig verſagten.
Im Weiterfahren flußabwärts ſahen wir die große Herde
der Chiguire, die der Tiger verjagt und aus der er ſich ein
Stück geholt hatte. Die Tiere ſahen uns ganz ruhig landen.
Manche ſaßen da und ſchienen uns zu betrachten, wobei ſie,
wie die Kaninchen, die Oberlippe bewegten. Vor den Menſchen
ſchienen ſie ſich nicht zu fürchten, aber beim Anblicke unſeres
1 Eine Mimoſenart.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/31>, abgerufen am 16.07.2024.
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