doch in der ersten Zeit der Eroberung der Mönch Bernhard von Sahagun in Cholula grüne Steine, die einst Quetzal- cohuatl angehört und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Diese geheimnisvolle Person ist der Buddha der Mexikaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, stiftete die ersten religiösen Vereine und führte eine Regierungsweise ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat.
Die Geschichte des Nephrits oder grünen Steins in Guyana steht in inniger Verbindung mit der Geschichte der kriegerischen Weiber, welche die Reisenden des 16. Jahrhun- derts die Amazonen der Neuen Welt nennen. La Condamine bringt viele Zeugnisse zur Unterstützung dieser Sage bei. Seit meiner Rückkehr vom Orinoko und Amazonenstrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Ansicht dieses Gelehrten teile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenossen desselben glaube, er habe den Cougnantainsecouima, den unabhängigen Weibern, die nur im Monat April Männer unter sich auf- nahmen, nur deshalb das Wort geredet, um in einer öffent- lichen Sitzung der Akademie einer Versammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hört, sich angenehm zu machen. Es ist hier der Ort, mich offen über eine Sage auszusprechen, die einen so romantischen Anblick hat, um so mehr, als La Con- damine behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame seien über den Marannon gegangen und haben sich am Rio Negro nieder- gelassen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beschreibung der Neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem klassischen Altertum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß Orellanas erste Berichte so wichtig ge- nommen wurden. Liest man die Schriften des Vespucci, Ferdinand Kolumbus, Geraldini, Oviedo, Peter Martyr von Anghiera, so begegnet man überall der Neigung der Schrift- steller des 16. Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern alles wiederzufinden, was uns die Griechen vom ersten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbarischen Skythen und Afrikaner erzählen. An der Hand dieser Reisenden, die uns in eine andere Halbkugel versetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die längst dahin sind; denn die amerikanischen Horden in ihrer primitiven Einfalt sind ja für Europa "eine Art Altertum, dem wir fast als Zeitgenossen gegenüberstehen". Was damals nur Stilblume und Geistesergötzlichkeit war, ist heutzutage zum Gegenstand ernster Erörterungen geworden. In einer in Louisiana erschienenen Abhandlung wird die ganze
A. v. Humboldt, Reise. III. 19
doch in der erſten Zeit der Eroberung der Mönch Bernhard von Sahagun in Cholula grüne Steine, die einſt Quetzal- cohuatl angehört und die als Reliquien aufbewahrt wurden. Dieſe geheimnisvolle Perſon iſt der Buddha der Mexikaner; er trat auf im Zeitalter der Tolteken, ſtiftete die erſten religiöſen Vereine und führte eine Regierungsweiſe ein, die mit der in Meroe und Japan Aehnlichkeit hat.
Die Geſchichte des Nephrits oder grünen Steins in Guyana ſteht in inniger Verbindung mit der Geſchichte der kriegeriſchen Weiber, welche die Reiſenden des 16. Jahrhun- derts die Amazonen der Neuen Welt nennen. La Condamine bringt viele Zeugniſſe zur Unterſtützung dieſer Sage bei. Seit meiner Rückkehr vom Orinoko und Amazonenſtrom bin ich in Paris oft gefragt worden, ob ich die Anſicht dieſes Gelehrten teile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenoſſen desſelben glaube, er habe den Cougnantainsecouima, den unabhängigen Weibern, die nur im Monat April Männer unter ſich auf- nahmen, nur deshalb das Wort geredet, um in einer öffent- lichen Sitzung der Akademie einer Verſammlung, die gar nicht ungern etwas Neues hört, ſich angenehm zu machen. Es iſt hier der Ort, mich offen über eine Sage auszuſprechen, die einen ſo romantiſchen Anblick hat, um ſo mehr, als La Con- damine behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame ſeien über den Marañon gegangen und haben ſich am Rio Negro nieder- gelaſſen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen, die Beſchreibung der Neuen Welt hie und da mit einem Zuge aus dem klaſſiſchen Altertum aufzuputzen, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß Orellanas erſte Berichte ſo wichtig ge- nommen wurden. Lieſt man die Schriften des Vespucci, Ferdinand Kolumbus, Geraldini, Oviedo, Peter Martyr von Anghiera, ſo begegnet man überall der Neigung der Schrift- ſteller des 16. Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern alles wiederzufinden, was uns die Griechen vom erſten Zeitalter der Welt und von den Sitten der barbariſchen Skythen und Afrikaner erzählen. An der Hand dieſer Reiſenden, die uns in eine andere Halbkugel verſetzen, glauben wir durch Zeiten zu wandern, die längſt dahin ſind; denn die amerikaniſchen Horden in ihrer primitiven Einfalt ſind ja für Europa „eine Art Altertum, dem wir faſt als Zeitgenoſſen gegenüberſtehen“. Was damals nur Stilblume und Geiſtesergötzlichkeit war, iſt heutzutage zum Gegenſtand ernſter Erörterungen geworden. In einer in Louiſiana erſchienenen Abhandlung wird die ganze
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 19
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cohuatl angehört und die als Reliquien aufbewahrt wurden.
Dieſe geheimnisvolle Perſon iſt der Buddha der Mexikaner; er
trat auf im Zeitalter der Tolteken, ſtiftete die erſten religiöſen
Vereine und führte eine Regierungsweiſe ein, die mit der in
Meroe und Japan Aehnlichkeit hat.
Die Geſchichte des Nephrits oder grünen Steins in
Guyana ſteht in inniger Verbindung mit der Geſchichte der
kriegeriſchen Weiber, welche die Reiſenden des 16. Jahrhun-
derts die Amazonen der Neuen Welt nennen. La Condamine
bringt viele Zeugniſſe zur Unterſtützung dieſer Sage bei. Seit
meiner Rückkehr vom Orinoko und Amazonenſtrom bin ich in
Paris oft gefragt worden, ob ich die Anſicht dieſes Gelehrten
teile, oder ob ich mit mehreren Zeitgenoſſen desſelben glaube,
er habe den Cougnantainsecouima, den unabhängigen
Weibern, die nur im Monat April Männer unter ſich auf-
nahmen, nur deshalb das Wort geredet, um in einer öffent-
lichen Sitzung der Akademie einer Verſammlung, die gar nicht
ungern etwas Neues hört, ſich angenehm zu machen. Es iſt
hier der Ort, mich offen über eine Sage auszuſprechen, die
einen ſo romantiſchen Anblick hat, um ſo mehr, als La Con-
damine behauptet, die Amazonen vom Rio Cayame ſeien über
den Marañon gegangen und haben ſich am Rio Negro nieder-
gelaſſen. Der Hang zum Wunderbaren und das Verlangen,
die Beſchreibung der Neuen Welt hie und da mit einem Zuge
aus dem klaſſiſchen Altertum aufzuputzen, haben ohne Zweifel
dazu beigetragen, daß Orellanas erſte Berichte ſo wichtig ge-
nommen wurden. Lieſt man die Schriften des Vespucci,
Ferdinand Kolumbus, Geraldini, Oviedo, Peter Martyr von
Anghiera, ſo begegnet man überall der Neigung der Schrift-
ſteller des 16. Jahrhunderts, bei neu entdeckten Völkern alles
wiederzufinden, was uns die Griechen vom erſten Zeitalter
der Welt und von den Sitten der barbariſchen Skythen und
Afrikaner erzählen. An der Hand dieſer Reiſenden, die uns
in eine andere Halbkugel verſetzen, glauben wir durch Zeiten
zu wandern, die längſt dahin ſind; denn die amerikaniſchen
Horden in ihrer primitiven Einfalt ſind ja für Europa „eine
Art Altertum, dem wir faſt als Zeitgenoſſen gegenüberſtehen“.
Was damals nur Stilblume und Geiſtesergötzlichkeit war,
iſt heutzutage zum Gegenſtand ernſter Erörterungen geworden.
In einer in Louiſiana erſchienenen Abhandlung wird die ganze
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/297>, abgerufen am 16.02.2025.
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