seiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menschenfresser war; "es ist dies," sagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikanischen Missionärs, "eine üble Gewohnheit dieser Völker in Guyana, die sonst so sanft und gutmütig sind"; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abscheulichen Ausschweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter ist als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menschheit entehrende Handlung begangen; geschieht solches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Christ geworden und der mir ein verstän- diger, civilisierter Mensch schien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos ist?
Unterhalb der Glorieta kommen auf portugiesischem Ge- biet das Port San Josef de Maravitanos, die Dörfer Joam Baptista de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaisia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Nossa Senhora da Guya, Boavista am Rio Icanna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal- deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Festung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen absichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlassungen die portugiesische Regierung sogar in diesem abgelegenen Winkel von Brasilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 km liegen elf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, außer den sechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana- indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Flusse desselben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine so große Rolle spielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieses Nebenflusses des Amazonenstroms allein sind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des unteren Orinoko, des Cassiquiare, des Atabapo und des spani- schen Rio Negro zusammen. Dieser Gegensatz beruht keines- wegs bloß auf dem Unterschied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordwest nach Südost läuft, leichter zu befahren ist; er ist vielmehr Folge der politischen Einrichtungen. Nach der Kolonialverfassung der Portugiesen stehen die Indianer unter Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Karmel zumal. Es ist eine gemischte Regierung, wo-
ſeiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein wenig ein Menſchenfreſſer war; „es iſt dies,“ ſagt Pater Gili mit der Naivität eines amerikaniſchen Miſſionärs, „eine üble Gewohnheit dieſer Völker in Guyana, die ſonſt ſo ſanft und gutmütig ſind“; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abſcheulichen Ausſchweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter iſt als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menſchheit entehrende Handlung begangen; geſchieht ſolches vielleicht, weil Cocuys Sohn, der Chriſt geworden und der mir ein verſtän- diger, civiliſierter Menſch ſchien, gegenwärtig Hauptmann der Indianer in San Carlos iſt?
Unterhalb der Glorieta kommen auf portugieſiſchem Ge- biet das Port San Joſef de Maravitanos, die Dörfer Joam Baptiſta de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaiſia oder Uexie, von dem oben die Rede war), Noſſa Senhora da Guya, Boaviſta am Rio Içanna, San Felipe, San Joaquin de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal- deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San Francisco de las Caculbaes, und endlich die Feſtung San Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen abſichtlich auf, um zu zeigen, wie viele Niederlaſſungen die portugieſiſche Regierung ſogar in dieſem abgelegenen Winkel von Braſilien gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 km liegen elf Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch neunzehn weitere, außer den ſechs Dörfern Thomare, Moreira (am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana- indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco, am Fluſſe desſelben Namens, der in den Fabeln vom Dorado eine ſo große Rolle ſpielt, Moura und Villa de Rio Negro. Die Ufer dieſes Nebenfluſſes des Amazonenſtroms allein ſind daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des unteren Orinoko, des Caſſiquiare, des Atabapo und des ſpani- ſchen Rio Negro zuſammen. Dieſer Gegenſatz beruht keines- wegs bloß auf dem Unterſchied in der Fruchtbarkeit des Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend von Nordweſt nach Südoſt läuft, leichter zu befahren iſt; er iſt vielmehr Folge der politiſchen Einrichtungen. Nach der Kolonialverfaſſung der Portugieſen ſtehen die Indianer unter Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom Berge Karmel zumal. Es iſt eine gemiſchte Regierung, wo-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="282"/>ſeiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein<lb/>
wenig ein Menſchenfreſſer war; „es iſt dies,“ſagt Pater<lb/>
Gili mit der Naivität eines amerikaniſchen Miſſionärs, „eine<lb/>
üble Gewohnheit dieſer Völker in Guyana, die ſonſt ſo ſanft<lb/>
und gutmütig ſind“; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich<lb/>
hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abſcheulichen<lb/>
Ausſchweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter<lb/>
iſt als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht<lb/>
einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menſchheit<lb/>
entehrende Handlung begangen; geſchieht ſolches vielleicht, weil<lb/>
Cocuys Sohn, der Chriſt geworden und der mir ein verſtän-<lb/>
diger, civiliſierter Menſch ſchien, gegenwärtig Hauptmann der<lb/>
Indianer in San Carlos iſt?</p><lb/><p>Unterhalb der Glorieta kommen auf portugieſiſchem Ge-<lb/>
biet das Port San Joſef de Maravitanos, die Dörfer Joam<lb/>
Baptiſta de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaiſia<lb/>
oder Uexie, von dem oben die Rede war), Noſſa Senhora da<lb/>
Guya, Boaviſta am Rio I<hirendition="#aq">ç</hi>anna, San Felipe, San Joaquin<lb/>
de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal-<lb/>
deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San<lb/>
Francisco de las Caculbaes, und endlich die Feſtung San<lb/>
Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen abſichtlich<lb/>
auf, um zu zeigen, wie viele Niederlaſſungen die portugieſiſche<lb/>
Regierung ſogar in dieſem abgelegenen Winkel von Braſilien<lb/>
gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 <hirendition="#aq">km</hi> liegen elf<lb/>
Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch<lb/>
neunzehn weitere, außer den ſechs Dörfern Thomare, Moreira<lb/>
(am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana-<lb/>
indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco,<lb/>
am Fluſſe desſelben Namens, der in den Fabeln vom Dorado<lb/>
eine ſo große Rolle ſpielt, Moura und Villa de Rio Negro.<lb/>
Die Ufer dieſes Nebenfluſſes des Amazonenſtroms allein ſind<lb/>
daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des<lb/>
unteren Orinoko, des Caſſiquiare, des Atabapo und des ſpani-<lb/>ſchen Rio Negro zuſammen. Dieſer Gegenſatz beruht keines-<lb/>
wegs bloß auf dem Unterſchied in der Fruchtbarkeit des<lb/>
Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend<lb/>
von Nordweſt nach Südoſt läuft, leichter zu befahren iſt; er<lb/>
iſt vielmehr Folge der politiſchen Einrichtungen. Nach der<lb/>
Kolonialverfaſſung der Portugieſen ſtehen die Indianer unter<lb/>
Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom<lb/>
Berge Karmel zumal. Es iſt eine gemiſchte Regierung, wo-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[282/0290]
ſeiner Weiber. Ich zweifle nicht, daß Cocuy allerdings ein
wenig ein Menſchenfreſſer war; „es iſt dies,“ ſagt Pater
Gili mit der Naivität eines amerikaniſchen Miſſionärs, „eine
üble Gewohnheit dieſer Völker in Guyana, die ſonſt ſo ſanft
und gutmütig ſind“; aber zur Steuer der Wahrheit muß ich
hinzufügen, daß die Sage vom Harem und den abſcheulichen
Ausſchweifungen Cocuys am unteren Orinoko weit verbreiteter
iſt als am Rio Negro. Ja in San Carlos läßt man nicht
einmal den Verdacht gelten, als hätte er eine die Menſchheit
entehrende Handlung begangen; geſchieht ſolches vielleicht, weil
Cocuys Sohn, der Chriſt geworden und der mir ein verſtän-
diger, civiliſierter Menſch ſchien, gegenwärtig Hauptmann der
Indianer in San Carlos iſt?
Unterhalb der Glorieta kommen auf portugieſiſchem Ge-
biet das Port San Joſef de Maravitanos, die Dörfer Joam
Baptiſta de Mabbe, San Marcellino (beim Einfluß des Guaiſia
oder Uexie, von dem oben die Rede war), Noſſa Senhora da
Guya, Boaviſta am Rio Içanna, San Felipe, San Joaquin
de Coanne beim Einfluß des vielberufenen Rio Guape, Cal-
deron, San Miguel de Jparanna mit einer Schanze, San
Francisco de las Caculbaes, und endlich die Feſtung San
Gabriel de Cachoeiras. Ich zähle die Ortsnamen abſichtlich
auf, um zu zeigen, wie viele Niederlaſſungen die portugieſiſche
Regierung ſogar in dieſem abgelegenen Winkel von Braſilien
gegründet hat. Auf einer Strecke von 100 km liegen elf
Dörfer, und bis zum Ausfluß des Rio Negro kenne ich noch
neunzehn weitere, außer den ſechs Dörfern Thomare, Moreira
(am Rio Demenene oder Uaraca, wo ehemals die Guyana-
indianer wohnten), Barcellos, San Miguel del Rio Branco,
am Fluſſe desſelben Namens, der in den Fabeln vom Dorado
eine ſo große Rolle ſpielt, Moura und Villa de Rio Negro.
Die Ufer dieſes Nebenfluſſes des Amazonenſtroms allein ſind
daher zehnmal bevölkerter als die Ufer des oberen und des
unteren Orinoko, des Caſſiquiare, des Atabapo und des ſpani-
ſchen Rio Negro zuſammen. Dieſer Gegenſatz beruht keines-
wegs bloß auf dem Unterſchied in der Fruchtbarkeit des
Bodens, noch darauf, daß der Rio Negro, weil er fortwährend
von Nordweſt nach Südoſt läuft, leichter zu befahren iſt; er
iſt vielmehr Folge der politiſchen Einrichtungen. Nach der
Kolonialverfaſſung der Portugieſen ſtehen die Indianer unter
Civil- und Militärbehörden und unter den Mönchen vom
Berge Karmel zumal. Es iſt eine gemiſchte Regierung, wo-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/290>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.