Hand schwimmend, glücklich ans Ufer. In diesen Einöden, wo der Mensch in beständigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man sich täglich von den Kunstgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder Traga Venado, einem Krokodil zu entgehen; jeder rüstet sich gleichsam auf die bevorstehende Gefahr. "Ich wußte," sagte das junge Mädchen in Uritucu gelassen, "daß der Kaiman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt." Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasselbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert sich nicht mit lebhafter Teilnahme, wie Isaaco, der Führer des unglück- lichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulin- kombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Un- geheuers entkam, weil es ihm gelang, demselben unter dem Wasser die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Isaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung der- selben Geistesgegenwart, demselben Gedankengang.
Das Krokodil im Apure bewegt sich sehr rasch und ge- wandt, wenn es angreift, schleppt sich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt ist, so langsam hin wie ein Salamander. Läuft das Tier, so hört man ein trockenes Geräusch, das von der Reibung seiner Hautplatten gegen einander herzurühren scheint. Bei dieser Bewegung krümmt es den Rücken und erscheint hochbeiniger als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieses Rauschen der Platten ganz in der Nähe; es ist aber nicht wahr, was die Indianer be- haupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppentier, "ihre Schuppen und ihre ganze Rüstung sollen aufrichten können". Die Tiere bewegen sich allerdings meistens gerade- aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke seine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängsel von falschen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die seitliche Bewegung zu beschränken scheinen, wenden die Kro- kodile ganz gut, wenn sie wollen. Ich habe oft Junge sich in den Schwanz beißen sehen; andere haben dasselbe bei erwachsenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung fast immer geradlinig erscheint, so rührt dies daher, daß dieselbe, wie bei unseren kleinen Eidechsen, stoßweise erfolgt. Die Krokodile schwimmen vortrefflich und überwinden leicht die stärkste Strömung. Es schien mir indessen, als ob sie, wenn sie flußabwärts schwimmen, nicht wohl rasch umwenden könnten. Eines Tages wurde ein großer Hund, der uns
Hand ſchwimmend, glücklich ans Ufer. In dieſen Einöden, wo der Menſch in beſtändigem Kampfe mit der Natur liegt, unterhält man ſich täglich von den Kunſtgriffen, um einem Tiger, einer Boa oder Traga Venado, einem Krokodil zu entgehen; jeder rüſtet ſich gleichſam auf die bevorſtehende Gefahr. „Ich wußte,“ ſagte das junge Mädchen in Uritucu gelaſſen, „daß der Kaiman abläßt, wenn man ihm die Finger in die Augen drückt.“ Lange nach meiner Rückkehr nach Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasſelbe Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert ſich nicht mit lebhafter Teilnahme, wie Iſaaco, der Führer des unglück- lichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulin- kombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Un- geheuers entkam, weil es ihm gelang, demſelben unter dem Waſſer die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner Iſaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung der- ſelben Geiſtesgegenwart, demſelben Gedankengang.
Das Krokodil im Apure bewegt ſich ſehr raſch und ge- wandt, wenn es angreift, ſchleppt ſich dagegen, wenn es nicht durch Zorn oder Hunger aufgeregt iſt, ſo langſam hin wie ein Salamander. Läuft das Tier, ſo hört man ein trockenes Geräuſch, das von der Reibung ſeiner Hautplatten gegen einander herzurühren ſcheint. Bei dieſer Bewegung krümmt es den Rücken und erſcheint hochbeiniger als in der Ruhe. Oft hörten wir am Ufer dieſes Rauſchen der Platten ganz in der Nähe; es iſt aber nicht wahr, was die Indianer be- haupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppentier, „ihre Schuppen und ihre ganze Rüſtung ſollen aufrichten können“. Die Tiere bewegen ſich allerdings meiſtens gerade- aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke ſeine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängſel von falſchen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die ſeitliche Bewegung zu beſchränken ſcheinen, wenden die Kro- kodile ganz gut, wenn ſie wollen. Ich habe oft Junge ſich in den Schwanz beißen ſehen; andere haben dasſelbe bei erwachſenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung faſt immer geradlinig erſcheint, ſo rührt dies daher, daß dieſelbe, wie bei unſeren kleinen Eidechſen, ſtoßweiſe erfolgt. Die Krokodile ſchwimmen vortrefflich und überwinden leicht die ſtärkſte Strömung. Es ſchien mir indeſſen, als ob ſie, wenn ſie flußabwärts ſchwimmen, nicht wohl raſch umwenden könnten. Eines Tages wurde ein großer Hund, der uns
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Hand ſchwimmend, glücklich ans Ufer. In dieſen Einöden,
wo der Menſch in beſtändigem Kampfe mit der Natur liegt,
unterhält man ſich täglich von den Kunſtgriffen, um einem
Tiger, einer Boa oder Traga Venado, einem Krokodil zu
entgehen; jeder rüſtet ſich gleichſam auf die bevorſtehende
Gefahr. „Ich wußte,“ ſagte das junge Mädchen in Uritucu
gelaſſen, „daß der Kaiman abläßt, wenn man ihm die Finger
in die Augen drückt.“ Lange nach meiner Rückkehr nach
Europa erfuhr ich, daß die Neger im inneren Afrika dasſelbe
Mittel kennen und anwenden. Wer erinnert ſich nicht mit
lebhafter Teilnahme, wie Iſaaco, der Führer des unglück-
lichen Mungo-Park, zweimal von einem Krokodil (bei Bulin-
kombu) gepackt wurde, und zweimal aus dem Rachen des Un-
geheuers entkam, weil es ihm gelang, demſelben unter dem
Waſſer die Finger in beide Augen zu drücken! Der Afrikaner
Iſaaco und die junge Amerikanerin dankten ihre Rettung der-
ſelben Geiſtesgegenwart, demſelben Gedankengang.
Das Krokodil im Apure bewegt ſich ſehr raſch und ge-
wandt, wenn es angreift, ſchleppt ſich dagegen, wenn es nicht
durch Zorn oder Hunger aufgeregt iſt, ſo langſam hin wie
ein Salamander. Läuft das Tier, ſo hört man ein trockenes
Geräuſch, das von der Reibung ſeiner Hautplatten gegen
einander herzurühren ſcheint. Bei dieſer Bewegung krümmt
es den Rücken und erſcheint hochbeiniger als in der Ruhe.
Oft hörten wir am Ufer dieſes Rauſchen der Platten ganz
in der Nähe; es iſt aber nicht wahr, was die Indianer be-
haupten, daß die alten Krokodile, gleich dem Schuppentier,
„ihre Schuppen und ihre ganze Rüſtung ſollen aufrichten
können“. Die Tiere bewegen ſich allerdings meiſtens gerade-
aus, oder vielmehr wie ein Pfeil, der von Strecke zu Strecke
ſeine Richtung änderte; aber trotz der kleinen Anhängſel von
falſchen Rippen, welche die Halswirbel verbinden und die
ſeitliche Bewegung zu beſchränken ſcheinen, wenden die Kro-
kodile ganz gut, wenn ſie wollen. Ich habe oft Junge ſich
in den Schwanz beißen ſehen; andere haben dasſelbe bei
erwachſenen Krokodilen beobachtet. Wenn ihre Bewegung faſt
immer geradlinig erſcheint, ſo rührt dies daher, daß dieſelbe,
wie bei unſeren kleinen Eidechſen, ſtoßweiſe erfolgt. Die
Krokodile ſchwimmen vortrefflich und überwinden leicht die
ſtärkſte Strömung. Es ſchien mir indeſſen, als ob ſie, wenn
ſie flußabwärts ſchwimmen, nicht wohl raſch umwenden
könnten. Eines Tages wurde ein großer Hund, der uns
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/29>, abgerufen am 16.07.2024.
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