reizte. Es waren Vachacos, große Ameisen, deren Hinter- teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geschwärzt. Wir sahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier- zehn Menschen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als aber Pater Zea erschien, wurde er mit großen Freudenbezei- gungen empfangen. Am Rio Negro stehen wegen der Grenz- wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol- daten und Mönche sich die Herrschaft über die Indianer streitig machen, haben diese mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber stiegen aus den Hängematten, um uns Casavekuchen zu bereiten. Man fragte sie durch einen Dol- metscher, ob der Boden der Insel fruchtbar sei; sie erwiderten, der Maniok gerate schlecht, dagegen sei es ein gutes Amei- senland, man habe gut zu leben. Diese Vachacos dienen den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameisen nicht aus Leckerei, sondern weil, wie die Missionäre sagen, das Ameisenfett (der weiße Teil des Unterleibs) sehr nahrhaft ist. Als die Casavekuchen fertig waren, ließ sich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßlust viel mehr zu reizen als zu schwächen schien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er mischte die zerdrückten Insekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon kosteten. Es schmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot- krumen geknetet. Der Maniok schmeckte nicht sauer, es klebte uns aber noch so viel europäisches Vorurteil an, daß wir mit dem guten Missionär, wenn er das Ding eine vor- treffliche Ameisenpastete nannte, nicht einverstanden sein konnten.
Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer schliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit schwatzten sie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, schürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lufttemperatur 21° war. Diese Sitte, vier, fünf Stunden vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu sein, herrscht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den "Entradas" die Eingeborenen überraschen will, wählt man dazu die Zeit, wo sie im ersten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht.
Wir verließen die Insel Dapa lange vor der Morgen-
reizte. Es waren Vachacos, große Ameiſen, deren Hinter- teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet und vom Rauch geſchwärzt. Wir ſahen mehrere Säcke voll über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier- zehn Menſchen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als aber Pater Zea erſchien, wurde er mit großen Freudenbezei- gungen empfangen. Am Rio Negro ſtehen wegen der Grenz- wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol- daten und Mönche ſich die Herrſchaft über die Indianer ſtreitig machen, haben dieſe mehr Zuneigung zu den Mönchen. Zwei junge Weiber ſtiegen aus den Hängematten, um uns Caſavekuchen zu bereiten. Man fragte ſie durch einen Dol- metſcher, ob der Boden der Inſel fruchtbar ſei; ſie erwiderten, der Maniok gerate ſchlecht, dagegen ſei es ein gutes Amei- ſenland, man habe gut zu leben. Dieſe Vachacos dienen den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man ißt die Ameiſen nicht aus Leckerei, ſondern weil, wie die Miſſionäre ſagen, das Ameiſenfett (der weiße Teil des Unterleibs) ſehr nahrhaft iſt. Als die Caſavekuchen fertig waren, ließ ſich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßluſt viel mehr zu reizen als zu ſchwächen ſchien, einen kleinen Sack voll geräucherter Vachacos geben. Er miſchte die zerdrückten Inſekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon koſteten. Es ſchmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot- krumen geknetet. Der Maniok ſchmeckte nicht ſauer, es klebte uns aber noch ſo viel europäiſches Vorurteil an, daß wir mit dem guten Miſſionär, wenn er das Ding eine vor- treffliche Ameiſenpaſtete nannte, nicht einverſtanden ſein konnten.
Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer ſchliefen nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit ſchwatzten ſie in ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana, ſchürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die Lufttemperatur 21° war. Dieſe Sitte, vier, fünf Stunden vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu ſein, herrſcht bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher bei den „Entradas“ die Eingeborenen überraſchen will, wählt man dazu die Zeit, wo ſie im erſten Schlafe liegen, von neun Uhr bis Mitternacht.
Wir verließen die Inſel Dapa lange vor der Morgen-
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reizte. Es waren Vachacos, große Ameiſen, deren Hinter-
teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet
und vom Rauch geſchwärzt. Wir ſahen mehrere Säcke voll
über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig
auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier-
zehn Menſchen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als
aber Pater Zea erſchien, wurde er mit großen Freudenbezei-
gungen empfangen. Am Rio Negro ſtehen wegen der Grenz-
wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol-
daten und Mönche ſich die Herrſchaft über die Indianer
ſtreitig machen, haben dieſe mehr Zuneigung zu den Mönchen.
Zwei junge Weiber ſtiegen aus den Hängematten, um uns
Caſavekuchen zu bereiten. Man fragte ſie durch einen Dol-
metſcher, ob der Boden der Inſel fruchtbar ſei; ſie erwiderten,
der Maniok gerate ſchlecht, dagegen ſei es ein gutes Amei-
ſenland, man habe gut zu leben. Dieſe Vachacos dienen
den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man
ißt die Ameiſen nicht aus Leckerei, ſondern weil, wie die
Miſſionäre ſagen, das Ameiſenfett (der weiße Teil des
Unterleibs) ſehr nahrhaft iſt. Als die Caſavekuchen fertig
waren, ließ ſich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßluſt
viel mehr zu reizen als zu ſchwächen ſchien, einen kleinen Sack
voll geräucherter Vachacos geben. Er miſchte die zerdrückten
Inſekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon
koſteten. Es ſchmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot-
krumen geknetet. Der Maniok ſchmeckte nicht ſauer, es klebte
uns aber noch ſo viel europäiſches Vorurteil an, daß wir
mit dem guten Miſſionär, wenn er das Ding eine vor-
treffliche Ameiſenpaſtete nannte, nicht einverſtanden ſein
konnten.
Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in
der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer ſchliefen
nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit ſchwatzten ſie in
ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana,
ſchürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die
Lufttemperatur 21° war. Dieſe Sitte, vier, fünf Stunden
vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu ſein, herrſcht
bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher
bei den „Entradas“ die Eingeborenen überraſchen will, wählt
man dazu die Zeit, wo ſie im erſten Schlafe liegen, von neun
Uhr bis Mitternacht.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/285>, abgerufen am 17.07.2024.
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