aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entstehen der Inirida und der Rio Negro. Dieses System wurde von Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dar- gestellt und auf allen Karten bis zum Anfang des 19. Jahr- hunderts kopiert. Diese Namen: Caqueta, Orinoko, Inirida, haben allerdings nicht so viel Anziehendes, wie die Flüsse im Inneren Nigritiens; es knüpfen sich eben keine geschichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Kombinationen der Geographen der Neuen Welt erinnern an die krausen Zeichnungen vom Laufe des Nigir, des Weißen Nil, des Gambaro, des Dscholiba und des Zaire. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypothesen an Umfang ab; die Pro- bleme sind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie, das man spekulative, um nicht zu sagen divinatorische Geo- graphie nennen könnte, zieht sich in immer engere Grenzen zusammen.
Also nicht am Caqueta, sondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Flusses erhalten. Die Indianer in den Missionen Maroa, Tomo und San Carlos wissen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe seine Breite bei der Schanze San Agostino gemessen; es ergaben sich 569 m;1 die mittlere Breite war 380 bis 485 m. La Condamine schätzt dieselbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazonenstrom an der schmälsten Stelle auf 2340 m; der Fluß wäre also auf einem Laufe von 10 Grad in gerader Linie um 1950 m breiter geworden. Obgleich die Wasser- masse, wie wir sie zwischen Maroa und San Carlos gesehen, schon ziemlich bedeutend ist, versichern die Indianer dennoch, der Guainia entspringe fünf Tagereisen zu Wasser nordwest- wärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigen Landstriche, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Cassiquiare von San Carlos bis zum Punkte der Gabel- teilung am Orinoko in 10 bis 11 Tagen hinauffährt, so kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht so starke Strömung zu etwas über 1° 20' in gerader Richtung anneh- men, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längen- beobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35' westlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich
1 Dies ist dreimal die Breite der Seine beim Jardin des plantes.
aber aus der dritten Gabelung des Caqueta entſtehen der Inirida und der Rio Negro. Dieſes Syſtem wurde von Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dar- geſtellt und auf allen Karten bis zum Anfang des 19. Jahr- hunderts kopiert. Dieſe Namen: Caqueta, Orinoko, Inirida, haben allerdings nicht ſo viel Anziehendes, wie die Flüſſe im Inneren Nigritiens; es knüpfen ſich eben keine geſchichtlichen Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Kombinationen der Geographen der Neuen Welt erinnern an die krauſen Zeichnungen vom Laufe des Nigir, des Weißen Nil, des Gambaro, des Dſcholiba und des Zaïre. Von Jahr zu Jahr nimmt das Bereich der Hypotheſen an Umfang ab; die Pro- bleme ſind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie, das man ſpekulative, um nicht zu ſagen divinatoriſche Geo- graphie nennen könnte, zieht ſich in immer engere Grenzen zuſammen.
Alſo nicht am Caqueta, ſondern am Guainia oder Rio Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des letzteren Fluſſes erhalten. Die Indianer in den Miſſionen Maroa, Tomo und San Carlos wiſſen nichts von einer oberen Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe ſeine Breite bei der Schanze San Agoſtino gemeſſen; es ergaben ſich 569 m;1 die mittlere Breite war 380 bis 485 m. La Condamine ſchätzt dieſelbe in der Nähe der Ausmündung in den Amazonenſtrom an der ſchmälſten Stelle auf 2340 m; der Fluß wäre alſo auf einem Laufe von 10 Grad in gerader Linie um 1950 m breiter geworden. Obgleich die Waſſer- maſſe, wie wir ſie zwiſchen Maroa und San Carlos geſehen, ſchon ziemlich bedeutend iſt, verſichern die Indianer dennoch, der Guainia entſpringe fünf Tagereiſen zu Waſſer nordweſt- wärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigen Landſtriche, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man den Caſſiquiare von San Carlos bis zum Punkte der Gabel- teilung am Orinoko in 10 bis 11 Tagen hinauffährt, ſo kann man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht ſo ſtarke Strömung zu etwas über 1° 20′ in gerader Richtung anneh- men, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längen- beobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35′ weſtlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich
1 Dies iſt dreimal die Breite der Seine beim Jardin des plantes.
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Inirida und der Rio Negro. Dieſes Syſtem wurde von
Pater Caulin gut geheißen, auf der Karte von La Cruz dar-
geſtellt und auf allen Karten bis zum Anfang des 19. Jahr-
hunderts kopiert. Dieſe Namen: Caqueta, Orinoko, Inirida,
haben allerdings nicht ſo viel Anziehendes, wie die Flüſſe im
Inneren Nigritiens; es knüpfen ſich eben keine geſchichtlichen
Erinnerungen daran; aber die mannigfaltigen Kombinationen
der Geographen der Neuen Welt erinnern an die krauſen
Zeichnungen vom Laufe des Nigir, des Weißen Nil, des
Gambaro, des Dſcholiba und des Zaïre. Von Jahr zu Jahr
nimmt das Bereich der Hypotheſen an Umfang ab; die Pro-
bleme ſind bündiger gefaßt und das alte Stück Geographie,
das man ſpekulative, um nicht zu ſagen divinatoriſche Geo-
graphie nennen könnte, zieht ſich in immer engere Grenzen
zuſammen.
Alſo nicht am Caqueta, ſondern am Guainia oder Rio
Negro kann man genaue Auskunft über die Quellen des
letzteren Fluſſes erhalten. Die Indianer in den Miſſionen
Maroa, Tomo und San Carlos wiſſen nichts von einer oberen
Verbindung des Guainia mit dem Jupura. Ich habe ſeine
Breite bei der Schanze San Agoſtino gemeſſen; es ergaben
ſich 569 m; 1 die mittlere Breite war 380 bis 485 m. La
Condamine ſchätzt dieſelbe in der Nähe der Ausmündung in
den Amazonenſtrom an der ſchmälſten Stelle auf 2340 m;
der Fluß wäre alſo auf einem Laufe von 10 Grad in gerader
Linie um 1950 m breiter geworden. Obgleich die Waſſer-
maſſe, wie wir ſie zwiſchen Maroa und San Carlos geſehen,
ſchon ziemlich bedeutend iſt, verſichern die Indianer dennoch,
der Guainia entſpringe fünf Tagereiſen zu Waſſer nordweſt-
wärts von der Mündung des Pimichin in einem bergigen
Landſtriche, wo auch die Quellen des Inirida liegen. Da man
den Caſſiquiare von San Carlos bis zum Punkte der Gabel-
teilung am Orinoko in 10 bis 11 Tagen hinauffährt, ſo kann
man fünf Tage Bergfahrt gegen eine lange nicht ſo ſtarke
Strömung zu etwas über 1° 20′ in gerader Richtung anneh-
men, womit die Quellen des Guainia, nach meinen Längen-
beobachtungen in Javita und San Carlos, unter 71° 35′
weſtlich vom Meridian von Paris zu liegen kämen. Obgleich
1 Dies iſt dreimal die Breite der Seine beim Jardin des
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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