sollte. Diese Gabelteilung unter rechtem Winkel erscheint auf allen Karten von Sanson, Coronelli, du Val und de l'Isle von 1656 bis 1730. Man glaubte auf diese Weise die Ver- bindungen zwischen den großen Strömen zu erklären, von denen Acunda die erste Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die Fortsetzung des Caqueta sei. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der sich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoko ehemals hieß. De l'Isle ließ in seiner letzten Zeit den Caqueta sich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß La Condamines; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unab- hängigen Flüssen, und als wollte er alle Aussicht auf eine Verbindung zwischen Orinoko und Rio Negro abschneiden, zeichnete er zwischen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater Fritz hatte dasselbe System und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrscheinlichste.
La Condamines Reise, die über verschiedene Striche Amerikas so viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegen- heit vom Laufe des Caqueta, Orinoko und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte sah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß ist, der am Amazonenstrome Jupura heißt; dennoch nahm er nicht allein Sansons Hypothese an, er brachte die Zahl der Gabel- teilungen des Caqueta sogar auf drei. Durch die erste gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten teilt sich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüsse, den Orinoko und den Rio Negro. Dieses rein er- sonnene System sieht man in der ersten Ausgabe von d'An- villes schöner Karte von Amerika dargestellt. Es ergibt sich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoko unterhalb der großen Katarakte abgeht, und daß man, um an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Jupura entspringt, hinauf muß. Als La Con- damine erfuhr, daß der Orinoko keineswegs am Fuße der Anden von Pasto, sondern auf der Rückseite der Berge von Cayenne entspringe, änderte er seine Vorstellungen auf sehr sinnreiche Weise ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoko ab; Guaviare, Atabapo, Cassiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erschienen auf d'Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Gestalt,
ſollte. Dieſe Gabelteilung unter rechtem Winkel erſcheint auf allen Karten von Sanſon, Coronelli, du Val und de l’Isle von 1656 bis 1730. Man glaubte auf dieſe Weiſe die Ver- bindungen zwiſchen den großen Strömen zu erklären, von denen Acuña die erſte Kunde von der Mündung des Rio Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die Fortſetzung des Caqueta ſei. Zuweilen ließ man den Namen Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der ſich gabelt, Rio Paria oder Yuyapari, wie der Orinoko ehemals hieß. De l’Isle ließ in ſeiner letzten Zeit den Caqueta ſich nicht mehr gabeln, zum großen Verdruß La Condamines; er machte den Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unab- hängigen Flüſſen, und als wollte er alle Ausſicht auf eine Verbindung zwiſchen Orinoko und Rio Negro abſchneiden, zeichnete er zwiſchen beiden Strömen eine hohe Bergkette. Bereits Pater Fritz hatte dasſelbe Syſtem und zur Zeit des Hondius galt es für das wahrſcheinlichſte.
La Condamines Reiſe, die über verſchiedene Striche Amerikas ſo viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegen- heit vom Laufe des Caqueta, Orinoko und Rio Negro nur noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte ſah allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß iſt, der am Amazonenſtrome Jupura heißt; dennoch nahm er nicht allein Sanſons Hypotheſe an, er brachte die Zahl der Gabel- teilungen des Caqueta ſogar auf drei. Durch die erſte gibt der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab; eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua; in einer dritten teilt ſich der Rio Paragua wiederum in zwei Flüſſe, den Orinoko und den Rio Negro. Dieſes rein er- ſonnene Syſtem ſieht man in der erſten Ausgabe von d’An- villes ſchöner Karte von Amerika dargeſtellt. Es ergibt ſich daraus, daß der Rio Negro vom Orinoko unterhalb der großen Katarakte abgeht, und daß man, um an die Mündung des Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus der der Rio Jupura entſpringt, hinauf muß. Als La Con- damine erfuhr, daß der Orinoko keineswegs am Fuße der Anden von Paſto, ſondern auf der Rückſeite der Berge von Cayenne entſpringe, änderte er ſeine Vorſtellungen auf ſehr ſinnreiche Weiſe ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr vom Orinoko ab; Guaviare, Atabapo, Caſſiquiare und die Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erſchienen auf d’Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Geſtalt,
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ſollte. Dieſe Gabelteilung unter rechtem Winkel erſcheint auf
allen Karten von Sanſon, Coronelli, du Val und de l’Isle
von 1656 bis 1730. Man glaubte auf dieſe Weiſe die Ver-
bindungen zwiſchen den großen Strömen zu erklären, von
denen Acuña die erſte Kunde von der Mündung des Rio
Negro mitgebracht, und man ahnte nicht, daß der Jupura die
Fortſetzung des Caqueta ſei. Zuweilen ließ man den Namen
Caqueta ganz weg und nannte den Fluß, der ſich gabelt, Rio
Paria oder Yuyapari, wie der Orinoko ehemals hieß. De
l’Isle ließ in ſeiner letzten Zeit den Caqueta ſich nicht mehr
gabeln, zum großen Verdruß La Condamines; er machte den
Putumayo, den Jupura und Rio Negro zu völlig unab-
hängigen Flüſſen, und als wollte er alle Ausſicht auf eine
Verbindung zwiſchen Orinoko und Rio Negro abſchneiden,
zeichnete er zwiſchen beiden Strömen eine hohe Bergkette.
Bereits Pater Fritz hatte dasſelbe Syſtem und zur Zeit des
Hondius galt es für das wahrſcheinlichſte.
La Condamines Reiſe, die über verſchiedene Striche
Amerikas ſo viel Licht verbreitet, hat in die ganze Angelegen-
heit vom Laufe des Caqueta, Orinoko und Rio Negro nur
noch mehr Verwirrung gebracht. Der berühmte Gelehrte ſah
allerdings wohl, daß der Caqueta (bei Mocoa) der Fluß iſt,
der am Amazonenſtrome Jupura heißt; dennoch nahm er nicht
allein Sanſons Hypotheſe an, er brachte die Zahl der Gabel-
teilungen des Caqueta ſogar auf drei. Durch die erſte gibt
der Caqueta einen Arm (den Jaoya) an den Putumayo ab;
eine zweite bildet den Rio Jupura und den Rio Paragua;
in einer dritten teilt ſich der Rio Paragua wiederum in zwei
Flüſſe, den Orinoko und den Rio Negro. Dieſes rein er-
ſonnene Syſtem ſieht man in der erſten Ausgabe von d’An-
villes ſchöner Karte von Amerika dargeſtellt. Es ergibt ſich
daraus, daß der Rio Negro vom Orinoko unterhalb der großen
Katarakte abgeht, und daß man, um an die Mündung des
Guaviare zu kommen, den Caqueta über die Gabelung, aus
der der Rio Jupura entſpringt, hinauf muß. Als La Con-
damine erfuhr, daß der Orinoko keineswegs am Fuße der
Anden von Paſto, ſondern auf der Rückſeite der Berge von
Cayenne entſpringe, änderte er ſeine Vorſtellungen auf ſehr
ſinnreiche Weiſe ab. Der Rio Negro geht jetzt nicht mehr
vom Orinoko ab; Guaviare, Atabapo, Caſſiquiare und die
Mündung des Inirida (unter dem Namen Iniricha) erſchienen
auf d’Anvilles zweiter Karte ungefähr in ihrer wahren Geſtalt,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/270>, abgerufen am 15.08.2024.
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