schwärzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick ver- ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer ist meist dürr und sandig infolge der Ueberschwemmungen; das andere ist höher und mit hochstämmigen Bäumen be- wachsen. Hin und wieder ist der Fluß zu beiden Seiten be- waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die Stellung der Bäume ist sehr merkwürdig. Vorne sieht man Büsche von Sauso(Hermesia castaneifolia), die gleichsam eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es ist, als wäre diese künstlich beschnitten. Hinter dieser Hecke kommt ein Gehölz von Ce- drela, Brasilholz und Gayac. Die Palmen sind ziemlich selten; man sieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der stacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieses Landstriches, die Tiger, Tapire und Pecarischweine, haben Durchgänge in die eben beschriebene Sausohecke gebrochen, durch die sie zum Trinken an den Strom gehen. Da sie sich nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat man den Genuß, sie langsam am Ufer hinstreichen zu sehen, bis sie durch eine der schmalen Lücken im Gebüsch im Walde verschwinden. Ich gestehe, diese Auftritte, so oft sie vor- kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Lust, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Interesse des Naturforschers, sondern daneben auf einer Empfindung, die allein im Schoße der Kultur aufgewachsenen Menschen gemein ist. Man sieht sich einer neuen Welt, einer wilden, unge- zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt sich am Gestade der Jaguar, der schöne amerikanische Panther; bald wandelt der Hocco (Crax alector) mit schwarzem Gefieder und dem Feder- busch langsam an der Uferhecke hin. Tiere der verschiedensten Klassen lösen einander ab. "Es como en el Paraiso" (es ist wie im Paradies), sagte unser Steuermann, ein alter Indianer aus den Missionen. Und wirklich, alles erinnert hier an den Urzustand der Welt, dessen Unschuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen stellen; beobachtet man aber das gegenseitige Verhalten der Tiere genau, so zeigt es sich, daß sie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter ist vorbei, und in diesem Paradies der amerikanischen Wälder, wie allerorten, hat lange traurige Erfahrung alle Geschöpfe gelehrt, daß Sanftmut und Stärke selten beisammen sind.
Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sausobüschen weiter vom Strome weg. Auf diesem
ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver- ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer iſt meiſt dürr und ſandig infolge der Ueberſchwemmungen; das andere iſt höher und mit hochſtämmigen Bäumen be- wachſen. Hin und wieder iſt der Fluß zu beiden Seiten be- waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die Stellung der Bäume iſt ſehr merkwürdig. Vorne ſieht man Büſche von Sauſo(Hermesia castaneifolia), die gleichſam eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es iſt, als wäre dieſe künſtlich beſchnitten. Hinter dieſer Hecke kommt ein Gehölz von Ce- drela, Braſilholz und Gayac. Die Palmen ſind ziemlich ſelten; man ſieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und der ſtacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieſes Landſtriches, die Tiger, Tapire und Pecariſchweine, haben Durchgänge in die eben beſchriebene Sauſohecke gebrochen, durch die ſie zum Trinken an den Strom gehen. Da ſie ſich nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat man den Genuß, ſie langſam am Ufer hinſtreichen zu ſehen, bis ſie durch eine der ſchmalen Lücken im Gebüſch im Walde verſchwinden. Ich geſtehe, dieſe Auftritte, ſo oft ſie vor- kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Luſt, die man empfindet, beruht nicht allein auf dem Intereſſe des Naturforſchers, ſondern daneben auf einer Empfindung, die allein im Schoße der Kultur aufgewachſenen Menſchen gemein iſt. Man ſieht ſich einer neuen Welt, einer wilden, unge- zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der Jaguar, der ſchöne amerikaniſche Panther; bald wandelt der Hocco (Crax alector) mit ſchwarzem Gefieder und dem Feder- buſch langſam an der Uferhecke hin. Tiere der verſchiedenſten Klaſſen löſen einander ab. „Es como en el Paraiso“ (es iſt wie im Paradies), ſagte unſer Steuermann, ein alter Indianer aus den Miſſionen. Und wirklich, alles erinnert hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glück uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der Tiere genau, ſo zeigt es ſich, daß ſie einander fürchten und meiden. Das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem Paradies der amerikaniſchen Wälder, wie allerorten, hat lange traurige Erfahrung alle Geſchöpfe gelehrt, daß Sanftmut und Stärke ſelten beiſammen ſind.
Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die Reihe von Sauſobüſchen weiter vom Strome weg. Auf dieſem
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ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver-
ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer
iſt meiſt dürr und ſandig infolge der Ueberſchwemmungen;
das andere iſt höher und mit hochſtämmigen Bäumen be-
wachſen. Hin und wieder iſt der Fluß zu beiden Seiten be-
waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die
Stellung der Bäume iſt ſehr merkwürdig. Vorne ſieht man
Büſche von Sauſo (Hermesia castaneifolia), die gleichſam
eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es iſt, als wäre dieſe künſtlich
beſchnitten. Hinter dieſer Hecke kommt ein Gehölz von Ce-
drela, Braſilholz und Gayac. Die Palmen ſind ziemlich ſelten;
man ſieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und
der ſtacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieſes
Landſtriches, die Tiger, Tapire und Pecariſchweine, haben
Durchgänge in die eben beſchriebene Sauſohecke gebrochen,
durch die ſie zum Trinken an den Strom gehen. Da ſie ſich
nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat
man den Genuß, ſie langſam am Ufer hinſtreichen zu ſehen,
bis ſie durch eine der ſchmalen Lücken im Gebüſch im Walde
verſchwinden. Ich geſtehe, dieſe Auftritte, ſo oft ſie vor-
kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Luſt, die
man empfindet, beruht nicht allein auf dem Intereſſe des
Naturforſchers, ſondern daneben auf einer Empfindung, die
allein im Schoße der Kultur aufgewachſenen Menſchen gemein
iſt. Man ſieht ſich einer neuen Welt, einer wilden, unge-
zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der
Jaguar, der ſchöne amerikaniſche Panther; bald wandelt der
Hocco (Crax alector) mit ſchwarzem Gefieder und dem Feder-
buſch langſam an der Uferhecke hin. Tiere der verſchiedenſten
Klaſſen löſen einander ab. „Es como en el Paraiso“ (es
iſt wie im Paradies), ſagte unſer Steuermann, ein alter
Indianer aus den Miſſionen. Und wirklich, alles erinnert
hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glück
uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen
ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der
Tiere genau, ſo zeigt es ſich, daß ſie einander fürchten und
meiden. Das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem
Paradies der amerikaniſchen Wälder, wie allerorten, hat lange
traurige Erfahrung alle Geſchöpfe gelehrt, daß Sanftmut und
Stärke ſelten beiſammen ſind.
Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die
Reihe von Sauſobüſchen weiter vom Strome weg. Auf dieſem
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/27>, abgerufen am 16.02.2025.
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