bringt, sei es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eifersüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurteilen entspringt. Die ganze Persönlichkeit der Völker ist aus dem Mutterlande in die entlegensten Kolonieen übergegangen, und der gegenseitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wissen aus Krusensterns anziehendem Reisebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matrosen, eines Franzosen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwischen den Bewohnern der Marquesasinseln Anlaß gab. Am Amazonenstrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portu- giesischen und spanischen Dörfern einander nicht ausstehen. Diese armen Menschen sprechen nur amerikanische Sprachen, sie wissen gar nicht, was "am anderen Ufer des Ozeans, drüben über der großen Salzlache" vorgeht; aber die Kutten ihrer Missionäre sind von verschiedener Farbe, und dies miß- fällt ihnen im höchsten Grade.
Ich habe bei der Schilderung der Folgen des National- hasses verweilt, den kluge Beamte zu mildern suchten, ohne ihn ganz beschwichtigen zu können. Diese Eifersucht ist nicht ohne Einfluß auf den Umstand gewesen, daß unsere geogra- phische Kunde von den Nebenflüssen des Amazonenstroms bis jetzt so mangelhaft ist. Wenn der Verkehr unter den Ein- geborenen gehemmt ist, und die eine Nation an der Mündung, die andere im oberen Flußgebiet sitzt, so fällt es den Karten- zeichnern sehr schwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodischen Ueberschwemmungen, besonders aber die Trage- plätze, über die man die Kanoen von einem Nebenfluß zum anderen schafft, dessen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüsse, die in Wahrheit nicht bestehen. Die Indianer in den portu- giesischen Missionen zum Beispiel schleichen sich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerseits auf dem Rio Guaicia und Rio Temo in den spanischen Rio Negro, andererseits über die Trageplätze zwischen dem Cababuri, dem Pasimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den oberen Orinoko, um hinter Esmeralda den aromatischen Samen des Puchery- lorbeers zu sammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, sind vortreffliche Geographen; sie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie sie auf den Karten gezogen sind, trotz der Schanzen und Estacamientos, und wenn die Missionäre sie von so weit her, und zwar in so verschiedenen Jahreszeiten
bringt, ſei es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener eiferſüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurteilen entſpringt. Die ganze Perſönlichkeit der Völker iſt aus dem Mutterlande in die entlegenſten Kolonieen übergegangen, und der gegenſeitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir wiſſen aus Kruſenſterns anziehendem Reiſebericht, daß der Haß zweier flüchtigen Matroſen, eines Franzoſen und eines Engländers, zu einem langen Krieg zwiſchen den Bewohnern der Marqueſasinſeln Anlaß gab. Am Amazonenſtrom und Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portu- gieſiſchen und ſpaniſchen Dörfern einander nicht ausſtehen. Dieſe armen Menſchen ſprechen nur amerikaniſche Sprachen, ſie wiſſen gar nicht, was „am anderen Ufer des Ozeans, drüben über der großen Salzlache“ vorgeht; aber die Kutten ihrer Miſſionäre ſind von verſchiedener Farbe, und dies miß- fällt ihnen im höchſten Grade.
Ich habe bei der Schilderung der Folgen des National- haſſes verweilt, den kluge Beamte zu mildern ſuchten, ohne ihn ganz beſchwichtigen zu können. Dieſe Eiferſucht iſt nicht ohne Einfluß auf den Umſtand geweſen, daß unſere geogra- phiſche Kunde von den Nebenflüſſen des Amazonenſtroms bis jetzt ſo mangelhaft iſt. Wenn der Verkehr unter den Ein- geborenen gehemmt iſt, und die eine Nation an der Mündung, die andere im oberen Flußgebiet ſitzt, ſo fällt es den Karten- zeichnern ſehr ſchwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die periodiſchen Ueberſchwemmungen, beſonders aber die Trage- plätze, über die man die Kanoen von einem Nebenfluß zum anderen ſchafft, deſſen Quellen in der Nähe liegen, verleiten zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüſſe, die in Wahrheit nicht beſtehen. Die Indianer in den portu- gieſiſchen Miſſionen zum Beiſpiel ſchleichen ſich (wie ich an Ort und Stelle erfahren) einerſeits auf dem Rio Guaicia und Rio Temo in den ſpaniſchen Rio Negro, andererſeits über die Trageplätze zwiſchen dem Cababuri, dem Paſimoni, dem Idapa und dem Mavaca in den oberen Orinoko, um hinter Esmeralda den aromatiſchen Samen des Puchery- lorbeers zu ſammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es, ſind vortreffliche Geographen; ſie umgehen den Feind trotz der Grenzen, wie ſie auf den Karten gezogen ſind, trotz der Schanzen und Eſtacamientos, und wenn die Miſſionäre ſie von ſo weit her, und zwar in ſo verſchiedenen Jahreszeiten
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bringt, ſei es nun ein Gefühl der Zuneigung, oder jener
eiferſüchtige Neid, wie er aus althergebrachten Vorurteilen
entſpringt. Die ganze Perſönlichkeit der Völker iſt aus dem
Mutterlande in die entlegenſten Kolonieen übergegangen, und
der gegenſeitige Widerwille der Nationen hat nicht einmal da
ein Ende, wo der Einfluß der gleichen Sprache wegfällt. Wir
wiſſen aus Kruſenſterns anziehendem Reiſebericht, daß der
Haß zweier flüchtigen Matroſen, eines Franzoſen und eines
Engländers, zu einem langen Krieg zwiſchen den Bewohnern
der Marqueſasinſeln Anlaß gab. Am Amazonenſtrom und
Rio Negro können die Indianer in den benachbarten portu-
gieſiſchen und ſpaniſchen Dörfern einander nicht ausſtehen.
Dieſe armen Menſchen ſprechen nur amerikaniſche Sprachen,
ſie wiſſen gar nicht, was „am anderen Ufer des Ozeans,
drüben über der großen Salzlache“ vorgeht; aber die Kutten
ihrer Miſſionäre ſind von verſchiedener Farbe, und dies miß-
fällt ihnen im höchſten Grade.
Ich habe bei der Schilderung der Folgen des National-
haſſes verweilt, den kluge Beamte zu mildern ſuchten, ohne
ihn ganz beſchwichtigen zu können. Dieſe Eiferſucht iſt nicht
ohne Einfluß auf den Umſtand geweſen, daß unſere geogra-
phiſche Kunde von den Nebenflüſſen des Amazonenſtroms bis
jetzt ſo mangelhaft iſt. Wenn der Verkehr unter den Ein-
geborenen gehemmt iſt, und die eine Nation an der Mündung,
die andere im oberen Flußgebiet ſitzt, ſo fällt es den Karten-
zeichnern ſehr ſchwer, genaue Erkundigungen einzuziehen. Die
periodiſchen Ueberſchwemmungen, beſonders aber die Trage-
plätze, über die man die Kanoen von einem Nebenfluß zum
anderen ſchafft, deſſen Quellen in der Nähe liegen, verleiten
zur Annahme von Gabelungen und Verzweigungen der Flüſſe,
die in Wahrheit nicht beſtehen. Die Indianer in den portu-
gieſiſchen Miſſionen zum Beiſpiel ſchleichen ſich (wie ich an
Ort und Stelle erfahren) einerſeits auf dem Rio Guaicia
und Rio Temo in den ſpaniſchen Rio Negro, andererſeits
über die Trageplätze zwiſchen dem Cababuri, dem Paſimoni,
dem Idapa und dem Mavaca in den oberen Orinoko, um
hinter Esmeralda den aromatiſchen Samen des Puchery-
lorbeers zu ſammeln. Die Eingeborenen, ich wiederhole es,
ſind vortreffliche Geographen; ſie umgehen den Feind trotz
der Grenzen, wie ſie auf den Karten gezogen ſind, trotz der
Schanzen und Eſtacamientos, und wenn die Miſſionäre ſie
von ſo weit her, und zwar in ſo verſchiedenen Jahreszeiten
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/260>, abgerufen am 16.02.2025.
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