Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.geist, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege- Als ich mich am spanischen Rio Negro befand, war, in- geiſt, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege- Als ich mich am ſpaniſchen Rio Negro befand, war, in- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0259" n="251"/> geiſt, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege-<lb/> riſchen Ruhmes und ihrer politiſchen Größe entwickelt. Die<lb/> kaſtilianiſche Sprache wird gegenwärtig in Süd- und Nord-<lb/> amerika auf einer 8850 <hi rendition="#aq">km</hi> langen Strecke geſprochen; be-<lb/> trachtet man aber Südamerika für ſich, ſo zeigt ſich, daß das<lb/> Portugieſiſche über einen größeren Flächenraum verbreitet iſt,<lb/> aber von nicht ſo vielen Menſchen geſprochen wird als das<lb/> Kaſtilianiſche. Das innige Band, das die ſchönen Sprachen<lb/> eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, ſollte man<lb/> meinen, Völker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch<lb/> weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet ſich<lb/> keineswegs nur nach der Verſchiedenheit in Abſtammung,<lb/> Sitten und Kulturſtufe; überall, wo er ſehr ſtark ausge-<lb/> ſprochen iſt, erſcheint er als die Folge geographiſcher Ver-<lb/> hältniſſe und der damit gegebenen widerſtreitenden Intereſſen.<lb/> Man verabſcheut ſich etwas weniger, wenn man weit aus-<lb/> einander iſt und bei weſentlich verſchiedenen Sprachen gar<lb/> nicht in Verſuchung kommt, miteinander zu verkehren. Dieſe<lb/> Abſtufungen in der gegenſeitigen Stimmung nebeneinander<lb/> lebender Völker fallen jedem auf, der Neukalifornien, die<lb/> inneren Provinzen von Mexiko und die Nordgrenzen Bra-<lb/> ſiliens bereiſt.</p><lb/> <p>Als ich mich am ſpaniſchen Rio Negro befand, war, in-<lb/> folge der auseinandergehenden Politik der beiden Höfe von<lb/> Liſſabon und Madrid, das ſyſtematiſche Mißtrauen, dem die<lb/> Kommandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den<lb/> ruhigſten Zeiten gerne Nahrung geben, noch ſtärker als ge-<lb/> wöhnlich. Die Kanoen kamen von Barcellos bis zu den ſpa-<lb/> niſchen Miſſionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der<lb/> Befehlshaber einer Truppenabteilung von 16 bis 18 Mann<lb/> plagte „die Garniſon“ mit Sicherheitsmaßregeln, welche „der<lb/> Ernſt der Lage“ erforderlich machte, und im Falle eines An-<lb/> griffes hoffte er „den Feind zu umzingeln“. Sprachen wir<lb/> davon, daß die portugieſiſche Regierung in Europa die vier<lb/> kleinen Dörfer, welche die Franziskaner am oberen Rio Negro<lb/> angelegt, ohne Zweifel ſehr wenig beachte, ſo fühlten ſich die<lb/> Leute durch die Gründe, mit denen wir ſie beruhigen wollten,<lb/> nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechſel im Laufe von<lb/> Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeſchwächt erhalten haben,<lb/> iſt jede Gelegenheit erwünſcht, die demſelben neue Nahrung<lb/> gibt. Dem Menſchen iſt bei allem wohl, was ſein Gemüt<lb/> aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtſein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [251/0259]
geiſt, dem kecken Thatendrang, den beide zur Zeit ihres kriege-
riſchen Ruhmes und ihrer politiſchen Größe entwickelt. Die
kaſtilianiſche Sprache wird gegenwärtig in Süd- und Nord-
amerika auf einer 8850 km langen Strecke geſprochen; be-
trachtet man aber Südamerika für ſich, ſo zeigt ſich, daß das
Portugieſiſche über einen größeren Flächenraum verbreitet iſt,
aber von nicht ſo vielen Menſchen geſprochen wird als das
Kaſtilianiſche. Das innige Band, das die ſchönen Sprachen
eines Camoens und Lope de Vega verknüpft, hat, ſollte man
meinen, Völker, die widerwillig Nachbarn geworden, nur noch
weiter auseinander gebracht. Der Nationalhaß richtet ſich
keineswegs nur nach der Verſchiedenheit in Abſtammung,
Sitten und Kulturſtufe; überall, wo er ſehr ſtark ausge-
ſprochen iſt, erſcheint er als die Folge geographiſcher Ver-
hältniſſe und der damit gegebenen widerſtreitenden Intereſſen.
Man verabſcheut ſich etwas weniger, wenn man weit aus-
einander iſt und bei weſentlich verſchiedenen Sprachen gar
nicht in Verſuchung kommt, miteinander zu verkehren. Dieſe
Abſtufungen in der gegenſeitigen Stimmung nebeneinander
lebender Völker fallen jedem auf, der Neukalifornien, die
inneren Provinzen von Mexiko und die Nordgrenzen Bra-
ſiliens bereiſt.
Als ich mich am ſpaniſchen Rio Negro befand, war, in-
folge der auseinandergehenden Politik der beiden Höfe von
Liſſabon und Madrid, das ſyſtematiſche Mißtrauen, dem die
Kommandanten der benachbarten kleinen Forts auch in den
ruhigſten Zeiten gerne Nahrung geben, noch ſtärker als ge-
wöhnlich. Die Kanoen kamen von Barcellos bis zu den ſpa-
niſchen Miſſionen herauf, aber der Verkehr war gering. Der
Befehlshaber einer Truppenabteilung von 16 bis 18 Mann
plagte „die Garniſon“ mit Sicherheitsmaßregeln, welche „der
Ernſt der Lage“ erforderlich machte, und im Falle eines An-
griffes hoffte er „den Feind zu umzingeln“. Sprachen wir
davon, daß die portugieſiſche Regierung in Europa die vier
kleinen Dörfer, welche die Franziskaner am oberen Rio Negro
angelegt, ohne Zweifel ſehr wenig beachte, ſo fühlten ſich die
Leute durch die Gründe, mit denen wir ſie beruhigen wollten,
nur verletzt. Völkern, die durch alle Wechſel im Laufe von
Jahrhunderten ihren Nationalhaß ungeſchwächt erhalten haben,
iſt jede Gelegenheit erwünſcht, die demſelben neue Nahrung
gibt. Dem Menſchen iſt bei allem wohl, was ſein Gemüt
aufregt, was ihm eine lebhafte Empfindung zum Bewußtſein
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