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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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wir am Schlusse des vorigen Jahrhunderts von der astro-
nomischen Geographie des neuen Kontinents wußten, verdankt
man diesen achtbaren, fleißigen Männern, den französischen
und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian ge-
messen, und Offizieren, welche von Valparaiso nach Buenos
Ayres gegangen waren, um sich Malaspinas Expedition anzu-
schließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissen-
schaften fast zufällig durch jene "Grenzkommissionen" gefördert
worden sind, die für den Staat eine große Last waren und
von denen, die sie ins Leben gerufen, noch öfter vergessen als
aufgelöst wurden.

Weiß man, wie unzuverlässig die Karten von Amerika
sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten
Landstriche zwischen dem Jupura und Rio Negro, dem Ma-
deira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küste von
Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen
Ernstes streitig gemacht, so kann man sich über die Beharr-
lichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte,
nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und
den angebauten Strichen der Kolonieen liegen meist Wüsten,
deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den berühmten
Konferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis
22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papst,
als er die Demarkationslinie 370 spanische Meilen1 westwärts
von den Inseln des Grünen Vorgebirges zog, gemeint habe,
der erste Meridian solle vom Mittelpunkt der Insel San Ni-
colas aus, oder aber (wie der portugiesische Hof behauptete)
vom westlichen Ende der kleinen Insel San Antonio gezählt
werden. Im Jahre 1754, zur Zeit von Ituriagas und So-
lanos Expedition, unterhandelte man über den Besitz der da-
mals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein
Stück Sumpfland, über das wir zwischen Javita und dem
Pimichin an einem Abend gegangen. Noch in neuester Zeit
wollten die spanischen Kommissäre die Scheidungslinie an die
Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während
die portugiesischen Astronomen sie bis zum Salto Grande zu-
rückschoben. Die Missionäre und das Publikum überhaupt
beteiligten sich sehr lebhaft an diesen Grenzstreitigkeiten. In
den spanischen wie in den portugiesischen Kolonieen beschuldigt

1 Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt.

wir am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts von der aſtro-
nomiſchen Geographie des neuen Kontinents wußten, verdankt
man dieſen achtbaren, fleißigen Männern, den franzöſiſchen
und ſpaniſchen Akademikern, die in Quito den Meridian ge-
meſſen, und Offizieren, welche von Valparaiſo nach Buenos
Ayres gegangen waren, um ſich Malaſpinas Expedition anzu-
ſchließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie ſehr die Wiſſen-
ſchaften faſt zufällig durch jene „Grenzkommiſſionen“ gefördert
worden ſind, die für den Staat eine große Laſt waren und
von denen, die ſie ins Leben gerufen, noch öfter vergeſſen als
aufgelöſt wurden.

Weiß man, wie unzuverläſſig die Karten von Amerika
ſind, kennt man aus eigener Anſchauung die unbewohnten
Landſtriche zwiſchen dem Jupura und Rio Negro, dem Ma-
deira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küſte von
Cayenne, die man ſich in Europa bis auf dieſen Tag allen
Ernſtes ſtreitig gemacht, ſo kann man ſich über die Beharr-
lichkeit, mit der man ſich um ein paar Quadratmeilen zankte,
nicht genug wundern. Zwiſchen dieſem ſtreitigen Gebiet und
den angebauten Strichen der Kolonieen liegen meiſt Wüſten,
deren Ausdehnung ganz unbekannt iſt. Auf den berühmten
Konferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis
22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papſt,
als er die Demarkationslinie 370 ſpaniſche Meilen1 weſtwärts
von den Inſeln des Grünen Vorgebirges zog, gemeint habe,
der erſte Meridian ſolle vom Mittelpunkt der Inſel San Ni-
colas aus, oder aber (wie der portugieſiſche Hof behauptete)
vom weſtlichen Ende der kleinen Inſel San Antonio gezählt
werden. Im Jahre 1754, zur Zeit von Ituriagas und So-
lanos Expedition, unterhandelte man über den Beſitz der da-
mals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein
Stück Sumpfland, über das wir zwiſchen Javita und dem
Pimichin an einem Abend gegangen. Noch in neueſter Zeit
wollten die ſpaniſchen Kommiſſäre die Scheidungslinie an die
Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während
die portugieſiſchen Aſtronomen ſie bis zum Salto Grande zu-
rückſchoben. Die Miſſionäre und das Publikum überhaupt
beteiligten ſich ſehr lebhaft an dieſen Grenzſtreitigkeiten. In
den ſpaniſchen wie in den portugieſiſchen Kolonieen beſchuldigt

1 Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt.
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[247/0255] wir am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts von der aſtro- nomiſchen Geographie des neuen Kontinents wußten, verdankt man dieſen achtbaren, fleißigen Männern, den franzöſiſchen und ſpaniſchen Akademikern, die in Quito den Meridian ge- meſſen, und Offizieren, welche von Valparaiſo nach Buenos Ayres gegangen waren, um ſich Malaſpinas Expedition anzu- ſchließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie ſehr die Wiſſen- ſchaften faſt zufällig durch jene „Grenzkommiſſionen“ gefördert worden ſind, die für den Staat eine große Laſt waren und von denen, die ſie ins Leben gerufen, noch öfter vergeſſen als aufgelöſt wurden. Weiß man, wie unzuverläſſig die Karten von Amerika ſind, kennt man aus eigener Anſchauung die unbewohnten Landſtriche zwiſchen dem Jupura und Rio Negro, dem Ma- deira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küſte von Cayenne, die man ſich in Europa bis auf dieſen Tag allen Ernſtes ſtreitig gemacht, ſo kann man ſich über die Beharr- lichkeit, mit der man ſich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwiſchen dieſem ſtreitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Kolonieen liegen meiſt Wüſten, deren Ausdehnung ganz unbekannt iſt. Auf den berühmten Konferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar 1682) wurde die Frage verhandelt, ob der Papſt, als er die Demarkationslinie 370 ſpaniſche Meilen 1 weſtwärts von den Inſeln des Grünen Vorgebirges zog, gemeint habe, der erſte Meridian ſolle vom Mittelpunkt der Inſel San Ni- colas aus, oder aber (wie der portugieſiſche Hof behauptete) vom weſtlichen Ende der kleinen Inſel San Antonio gezählt werden. Im Jahre 1754, zur Zeit von Ituriagas und So- lanos Expedition, unterhandelte man über den Beſitz der da- mals völlig unbewohnten Ufer des Tuamini und um ein Stück Sumpfland, über das wir zwiſchen Javita und dem Pimichin an einem Abend gegangen. Noch in neueſter Zeit wollten die ſpaniſchen Kommiſſäre die Scheidungslinie an die Einmündung des Apoporis in den Jupura legen, während die portugieſiſchen Aſtronomen ſie bis zum Salto Grande zu- rückſchoben. Die Miſſionäre und das Publikum überhaupt beteiligten ſich ſehr lebhaft an dieſen Grenzſtreitigkeiten. In den ſpaniſchen wie in den portugieſiſchen Kolonieen beſchuldigt 1 Oder 22 Grad 14 Minuten, auf dem Aequator gezählt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/255>, abgerufen am 22.11.2024.