Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0245" n="237"/> uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges<lb/> Mädchen zu retten, der ein eiferſüchtiger rachſüchtiger Lieb-<lb/> haber ſchuld gegeben, ſie ſei aus Vorwitz den Indianern<lb/> nachgeſchlichen, die in den Pflanzungen den Botuto blieſen.<lb/> „Oeffentlich hätte man ſie nicht umgebracht,“ ſagte Pater<lb/> Cereſo, „aber wie ſollte man ſie vor dem Fanatismus der<lb/> Eingeborenen ſchützen, da es hierzulande ſo leicht iſt, einem<lb/> Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte ſolche Beſorgnis<lb/> gegen mich und ich ſchickte ſie in eine Miſſion am unteren<lb/> Orinoko.“ Wären die Völker in Guyana Herren dieſes<lb/> großen Landes geblieben, könnten ſie, ungehindert von den<lb/> chriſtlichen Niederlaſſungen, ihre barbariſchen Gebräuche frei<lb/> entwickeln, ſo erhielte der Botutodienſt ohne Zweifel eine po-<lb/> litiſche Bedeutung. Dieſer geheimnisvolle Verein von Ein-<lb/> geweihten, dieſe Hüter der heiligen Trompete würden zu einer<lb/> mächtigen Prieſterkaſte und das Orakel am Rio Tomo ſchlänge<lb/> nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf dieſe<lb/> Weiſe ſind durch gemeinſam Gottesverehrung (<hi rendition="#aq">communia<lb/> sacra</hi>), durch religiöſe Gebräuche und Myſterien ſo viele<lb/> Völker der Alten Welt einander näher gebracht, miteinander<lb/> verſöhnt und vielleicht der Geſittung zugeführt worden.</p><lb/> <p>Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der<lb/> beim Schleppen unſerer Piroge an den Pimichin beſchäftigt<lb/> war, ſei von einer Natter gebiſſen worden. Der große, ſtarke<lb/> Mann wurde in ſehr bedenklichem Zuſtande in die Miſſion<lb/> gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden geſtürzt, und<lb/> auf die Ohnmacht waren Uebelkeit, Schwindel, Kongeſtionen<lb/> gegen den Kopf gefolgt. Die Liane <hi rendition="#g">Vejuco de Guaco</hi>,<lb/> die durch Mutis ſo berühmt geworden, und die das ſicherſte<lb/> Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen iſt, war hierzulande<lb/> noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des<lb/> Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von <hi rendition="#g">Raiz de<lb/> Mato</hi>. Wir können nicht mit Beſtimmtheit angeben, von<lb/> welcher Pflanze dieſes Gegengift kommt. Der reiſende Bo-<lb/> taniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutz-<lb/> barſten Gewächſen weder Blüte noch Frucht zu Geſichte be-<lb/> kommt, während er ſo viele Arten, die ſich durch keine be-<lb/> ſonderen Eigenſchaften auszeichnen, täglich mit allen Frukti-<lb/> fikationsorganen vor Augen hat. Der <hi rendition="#g">Raiz de Mato</hi> iſt<lb/> vermutlich ein Apocynee, vielleicht die <hi rendition="#aq">Cerbera thevethia,</hi><lb/> welche die Einwohner von Cumana Lengua de Mate oder<lb/> Contra-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0245]
uns, im Jahr 1798 habe er das Glück gehabt, ein junges
Mädchen zu retten, der ein eiferſüchtiger rachſüchtiger Lieb-
haber ſchuld gegeben, ſie ſei aus Vorwitz den Indianern
nachgeſchlichen, die in den Pflanzungen den Botuto blieſen.
„Oeffentlich hätte man ſie nicht umgebracht,“ ſagte Pater
Cereſo, „aber wie ſollte man ſie vor dem Fanatismus der
Eingeborenen ſchützen, da es hierzulande ſo leicht iſt, einem
Gift beizubringen? Das Mädchen äußerte ſolche Beſorgnis
gegen mich und ich ſchickte ſie in eine Miſſion am unteren
Orinoko.“ Wären die Völker in Guyana Herren dieſes
großen Landes geblieben, könnten ſie, ungehindert von den
chriſtlichen Niederlaſſungen, ihre barbariſchen Gebräuche frei
entwickeln, ſo erhielte der Botutodienſt ohne Zweifel eine po-
litiſche Bedeutung. Dieſer geheimnisvolle Verein von Ein-
geweihten, dieſe Hüter der heiligen Trompete würden zu einer
mächtigen Prieſterkaſte und das Orakel am Rio Tomo ſchlänge
nach und nach ein Band um benachbarte Völker. Auf dieſe
Weiſe ſind durch gemeinſam Gottesverehrung (communia
sacra), durch religiöſe Gebräuche und Myſterien ſo viele
Völker der Alten Welt einander näher gebracht, miteinander
verſöhnt und vielleicht der Geſittung zugeführt worden.
Am 4. Mai abends meldete man uns, ein Indianer, der
beim Schleppen unſerer Piroge an den Pimichin beſchäftigt
war, ſei von einer Natter gebiſſen worden. Der große, ſtarke
Mann wurde in ſehr bedenklichem Zuſtande in die Miſſion
gebracht. Er war bewußtlos rücklings zu Boden geſtürzt, und
auf die Ohnmacht waren Uebelkeit, Schwindel, Kongeſtionen
gegen den Kopf gefolgt. Die Liane Vejuco de Guaco,
die durch Mutis ſo berühmt geworden, und die das ſicherſte
Mittel gegen den Biß giftiger Schlangen iſt, war hierzulande
noch nicht bekannt. Viele Indianer liefen zur Hütte des
Kranken und man heilte ihn mit dem Aufguß von Raiz de
Mato. Wir können nicht mit Beſtimmtheit angeben, von
welcher Pflanze dieſes Gegengift kommt. Der reiſende Bo-
taniker hat nur zu oft den Verdruß, daß er von den nutz-
barſten Gewächſen weder Blüte noch Frucht zu Geſichte be-
kommt, während er ſo viele Arten, die ſich durch keine be-
ſonderen Eigenſchaften auszeichnen, täglich mit allen Frukti-
fikationsorganen vor Augen hat. Der Raiz de Mato iſt
vermutlich ein Apocynee, vielleicht die Cerbera thevethia,
welche die Einwohner von Cumana Lengua de Mate oder
Contra-Culebra nennen und gleichfalls gegen Schlangen-
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