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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Die Indianer aus den Wäldern, wenn sie zuweilen in die
Missionen kommen, können sich von einem Tempel oder einem
Bilde sehr schwer einen Begriff machen. "Die guten Leute,"
sagte der Missionär, "lieben Prozessionen nur im Freien.
Jüngst beim Fest meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius,
wohnten die Indianer von Inirida der Messe bei. Da sagten
sie zu mir: ,Euer Gott schließt sich in ein Haus ein, als wäre
er alt und krank; der unserige ist im Wald, auf dem Feld,
auf den Sipabubergen, woher der Regen kommt.' Bei zahl-
reicheren und eben deshalb weniger barbarischen Völkerschaften
bilden sich seltsame religiöse Vereine. Ein paar alte Indianer
wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht sein als die
anderen, und diese haben das berühmte Botuto in Ver-
wahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den
Palmen geblasen wird, damit sie reichlich Früchte tragen. An
den Ufern des Orinoko gibt es kein Götzenbild, wie bei allen
Völkern, die beim ursprünglichen Naturgottesdienst stehen ge-
blieben sind; aber der Botuto, die heilige Trompete, ist zum
Gegenstand der Verehrung geworden. Um in die Mysterien
des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten
und unbeweibt sein. Die Eingeweihten unterziehen sich der
Geißelung, dem Fasten und anderen angreifenden Andachts-
übungen. Dieser heiligen Trompeten sind nur ganz wenige
und die altberühmteste befindet sich auf einem Hügel beim
Zusammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie soll zu-
gleich am Tuamini und in der Mission San Miguel de Davipe,
45 km weit gehört werden. Nach Pater Ceresos Bericht
sprechen die Indianer von diesem Botuto am Rio Tomo so,
als wäre derselbe für mehrere Völkerschaften in der Nähe ein
Gegenstand der Verehrung. Man stellt Früchte und be-
rauschende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläst
der Große Geist (Cachimana) selbst die Trompete, bald läßt
er nur seinen Willen durch den kund thun, der das heilige
Werkzeug in Verwahrung hat. Da diese Gaukeleien sehr alt
sind (von den Vätern unserer Väter her, sagen die Indianer),
so ist es nicht zu verwundern, daß es bereits Menschen gibt,
die nicht mehr daran glauben; aber diese Ungläubigen äußern
nur ganz leise, was sie von den Mysterien des Botuto halten.
Die Weiber dürfen das wunderbare Instrument gar nicht
sehen; sie sind überhaupt von jedem Gottesdienste ausge-
schlossen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken,
so wird sie ohne Gnade umgebracht. Der Missionär erzählte

Die Indianer aus den Wäldern, wenn ſie zuweilen in die
Miſſionen kommen, können ſich von einem Tempel oder einem
Bilde ſehr ſchwer einen Begriff machen. „Die guten Leute,“
ſagte der Miſſionär, „lieben Prozeſſionen nur im Freien.
Jüngſt beim Feſt meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius,
wohnten die Indianer von Inirida der Meſſe bei. Da ſagten
ſie zu mir: ‚Euer Gott ſchließt ſich in ein Haus ein, als wäre
er alt und krank; der unſerige iſt im Wald, auf dem Feld,
auf den Sipabubergen, woher der Regen kommt.‘ Bei zahl-
reicheren und eben deshalb weniger barbariſchen Völkerſchaften
bilden ſich ſeltſame religiöſe Vereine. Ein paar alte Indianer
wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht ſein als die
anderen, und dieſe haben das berühmte Botuto in Ver-
wahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den
Palmen geblaſen wird, damit ſie reichlich Früchte tragen. An
den Ufern des Orinoko gibt es kein Götzenbild, wie bei allen
Völkern, die beim urſprünglichen Naturgottesdienſt ſtehen ge-
blieben ſind; aber der Botuto, die heilige Trompete, iſt zum
Gegenſtand der Verehrung geworden. Um in die Myſterien
des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten
und unbeweibt ſein. Die Eingeweihten unterziehen ſich der
Geißelung, dem Faſten und anderen angreifenden Andachts-
übungen. Dieſer heiligen Trompeten ſind nur ganz wenige
und die altberühmteſte befindet ſich auf einem Hügel beim
Zuſammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie ſoll zu-
gleich am Tuamini und in der Miſſion San Miguel de Davipe,
45 km weit gehört werden. Nach Pater Cereſos Bericht
ſprechen die Indianer von dieſem Botuto am Rio Tomo ſo,
als wäre derſelbe für mehrere Völkerſchaften in der Nähe ein
Gegenſtand der Verehrung. Man ſtellt Früchte und be-
rauſchende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläſt
der Große Geiſt (Cachimana) ſelbſt die Trompete, bald läßt
er nur ſeinen Willen durch den kund thun, der das heilige
Werkzeug in Verwahrung hat. Da dieſe Gaukeleien ſehr alt
ſind (von den Vätern unſerer Väter her, ſagen die Indianer),
ſo iſt es nicht zu verwundern, daß es bereits Menſchen gibt,
die nicht mehr daran glauben; aber dieſe Ungläubigen äußern
nur ganz leiſe, was ſie von den Myſterien des Botuto halten.
Die Weiber dürfen das wunderbare Inſtrument gar nicht
ſehen; ſie ſind überhaupt von jedem Gottesdienſte ausge-
ſchloſſen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken,
ſo wird ſie ohne Gnade umgebracht. Der Miſſionär erzählte

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[236/0244] Die Indianer aus den Wäldern, wenn ſie zuweilen in die Miſſionen kommen, können ſich von einem Tempel oder einem Bilde ſehr ſchwer einen Begriff machen. „Die guten Leute,“ ſagte der Miſſionär, „lieben Prozeſſionen nur im Freien. Jüngſt beim Feſt meines Dorfpatrons, des heiligen Antonius, wohnten die Indianer von Inirida der Meſſe bei. Da ſagten ſie zu mir: ‚Euer Gott ſchließt ſich in ein Haus ein, als wäre er alt und krank; der unſerige iſt im Wald, auf dem Feld, auf den Sipabubergen, woher der Regen kommt.‘ Bei zahl- reicheren und eben deshalb weniger barbariſchen Völkerſchaften bilden ſich ſeltſame religiöſe Vereine. Ein paar alte Indianer wollen in die göttlichen Dinge tiefer eingeweiht ſein als die anderen, und dieſe haben das berühmte Botuto in Ver- wahrung, von dem oben die Rede war, und das unter den Palmen geblaſen wird, damit ſie reichlich Früchte tragen. An den Ufern des Orinoko gibt es kein Götzenbild, wie bei allen Völkern, die beim urſprünglichen Naturgottesdienſt ſtehen ge- blieben ſind; aber der Botuto, die heilige Trompete, iſt zum Gegenſtand der Verehrung geworden. Um in die Myſterien des Botuto eingeweiht zu werden, muß man rein von Sitten und unbeweibt ſein. Die Eingeweihten unterziehen ſich der Geißelung, dem Faſten und anderen angreifenden Andachts- übungen. Dieſer heiligen Trompeten ſind nur ganz wenige und die altberühmteſte befindet ſich auf einem Hügel beim Zuſammenfluß des Tomo mit dem Rio Negro. Sie ſoll zu- gleich am Tuamini und in der Miſſion San Miguel de Davipe, 45 km weit gehört werden. Nach Pater Cereſos Bericht ſprechen die Indianer von dieſem Botuto am Rio Tomo ſo, als wäre derſelbe für mehrere Völkerſchaften in der Nähe ein Gegenſtand der Verehrung. Man ſtellt Früchte und be- rauſchende Getränke neben die heilige Trompete. Bald bläſt der Große Geiſt (Cachimana) ſelbſt die Trompete, bald läßt er nur ſeinen Willen durch den kund thun, der das heilige Werkzeug in Verwahrung hat. Da dieſe Gaukeleien ſehr alt ſind (von den Vätern unſerer Väter her, ſagen die Indianer), ſo iſt es nicht zu verwundern, daß es bereits Menſchen gibt, die nicht mehr daran glauben; aber dieſe Ungläubigen äußern nur ganz leiſe, was ſie von den Myſterien des Botuto halten. Die Weiber dürfen das wunderbare Inſtrument gar nicht ſehen; ſie ſind überhaupt von jedem Gottesdienſte ausge- ſchloſſen. Hat eine das Unglück, die Trompete zu erblicken, ſo wird ſie ohne Gnade umgebracht. Der Miſſionär erzählte

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/244>, abgerufen am 23.11.2024.