Kanal im Durchschnitt von Nord nach Süd einen Fall von 58 bis 78 m hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Pirogen schleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraschung, daß unter diesen Bächen mit schwarzem Wasser sich einige befanden, deren Wasser bei reflektiertem Licht so weiß war als das Orinoko- wasser. Woher mag dieser Unterschied rühren? Alle diese Quellen entspringen auf denselben Savannen, aus denselben Sümpfen im Walde. Pater Cereso hat bei seiner Messung nicht die gerade Linie eingehalten und ist zu weit nach Ost gekommen, der Kanal würde daher nicht 11,7 km lang. Ich steckte den kürzesten Weg mittels des Kompasses ab und man hieb hie und da in die ältesten Waldbäume Marken. Der Boden ist völlig eben; auf 22,5 km in der Runde findet sich nicht die kleinste Erhöhung. Wie die Verhältnisse jetzt sind, sollte man das "Tragen" wenigstens dadurch erleichtern, daß man den Weg besserte, die Pirogen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche schlüge, durch welche die Indianer oft tagelang aufgehalten werden.
In diesem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus- kunft über den vermeintlichen fossilen Kautschuk, den die Indianer Dapicho nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um diese Substanz zu bekommen, im sumpfigen Erd- reich 60 bis 90 cm zwischen den Wurzeln zweier Bäume, des Jacio und des Curvana graben muß. Ersterer ist Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, der Kautschuk kommt, der in Cayenne und Gran Para im Handel ist; der zweite hat gefiederte Blätter; sein Saft ist milchig, aber sehr dünn und fast gar nicht klebrig. Der Dapicho scheint sich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dies geschieht besonders, wenn die Bäume sehr alt sind, und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint be- kommen Risse, und so erfolgt auf natürlichem Wege, was der Mensch künstlich thut, um den Milchsaft der Hevea, der Ca- stilloa und der Kautschuk gebenden Feigenbäume in Menge zu sammeln. Nach Aublets Bericht machen die Galibi und Garipon in Cayenne zuerst unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen sie senkrechte und schiefe Einschnitte, so daß diese von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einschnitt zu-
Kanal im Durchſchnitt von Nord nach Süd einen Fall von 58 bis 78 m hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche, über die man die Pirogen ſchleppen muß, alle dem Pimichin zu. Wir bemerkten mit Ueberraſchung, daß unter dieſen Bächen mit ſchwarzem Waſſer ſich einige befanden, deren Waſſer bei reflektiertem Licht ſo weiß war als das Orinoko- waſſer. Woher mag dieſer Unterſchied rühren? Alle dieſe Quellen entſpringen auf denſelben Savannen, aus denſelben Sümpfen im Walde. Pater Cereſo hat bei ſeiner Meſſung nicht die gerade Linie eingehalten und iſt zu weit nach Oſt gekommen, der Kanal würde daher nicht 11,7 km lang. Ich ſteckte den kürzeſten Weg mittels des Kompaſſes ab und man hieb hie und da in die älteſten Waldbäume Marken. Der Boden iſt völlig eben; auf 22,5 km in der Runde findet ſich nicht die kleinſte Erhöhung. Wie die Verhältniſſe jetzt ſind, ſollte man das „Tragen“ wenigſtens dadurch erleichtern, daß man den Weg beſſerte, die Pirogen auf Wagen führte und Brücken über die Bäche ſchlüge, durch welche die Indianer oft tagelang aufgehalten werden.
In dieſem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus- kunft über den vermeintlichen foſſilen Kautſchuk, den die Indianer Dapicho nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie man, um dieſe Subſtanz zu bekommen, im ſumpfigen Erd- reich 60 bis 90 cm zwiſchen den Wurzeln zweier Bäume, des Jacio und des Curvana graben muß. Erſterer iſt Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von der, wie man weiß, der Kautſchuk kommt, der in Cayenne und Gran Para im Handel iſt; der zweite hat gefiederte Blätter; ſein Saft iſt milchig, aber ſehr dünn und faſt gar nicht klebrig. Der Dapicho ſcheint ſich nun dadurch zu bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dies geſchieht beſonders, wenn die Bäume ſehr alt ſind, und der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint be- kommen Riſſe, und ſo erfolgt auf natürlichem Wege, was der Menſch künſtlich thut, um den Milchſaft der Hevea, der Ca- ſtilloa und der Kautſchuk gebenden Feigenbäume in Menge zu ſammeln. Nach Aublets Bericht machen die Galibi und Garipon in Cayenne zuerſt unten am Stamm einen tiefen Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen ſie ſenkrechte und ſchiefe Einſchnitte, ſo daß dieſe von oben am Stamm bis nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einſchnitt zu-
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Kanal im Durchſchnitt von Nord nach Süd einen Fall von
58 bis 78 m hätte. Daher laufen auch die vielen Bäche,
über die man die Pirogen ſchleppen muß, alle dem Pimichin
zu. Wir bemerkten mit Ueberraſchung, daß unter dieſen
Bächen mit ſchwarzem Waſſer ſich einige befanden, deren
Waſſer bei reflektiertem Licht ſo weiß war als das Orinoko-
waſſer. Woher mag dieſer Unterſchied rühren? Alle dieſe
Quellen entſpringen auf denſelben Savannen, aus denſelben
Sümpfen im Walde. Pater Cereſo hat bei ſeiner Meſſung
nicht die gerade Linie eingehalten und iſt zu weit nach Oſt
gekommen, der Kanal würde daher nicht 11,7 km lang. Ich
ſteckte den kürzeſten Weg mittels des Kompaſſes ab und man
hieb hie und da in die älteſten Waldbäume Marken. Der
Boden iſt völlig eben; auf 22,5 km in der Runde findet ſich
nicht die kleinſte Erhöhung. Wie die Verhältniſſe jetzt ſind,
ſollte man das „Tragen“ wenigſtens dadurch erleichtern, daß
man den Weg beſſerte, die Pirogen auf Wagen führte und
Brücken über die Bäche ſchlüge, durch welche die Indianer
oft tagelang aufgehalten werden.
In dieſem Walde erhielten wir endlich auch genaue Aus-
kunft über den vermeintlichen foſſilen Kautſchuk, den die Indianer
Dapicho nennen. Der alte Kapitän Javita führte uns an
einen Bach, der in den Tuamini fällt. Er zeigte uns, wie
man, um dieſe Subſtanz zu bekommen, im ſumpfigen Erd-
reich 60 bis 90 cm zwiſchen den Wurzeln zweier Bäume,
des Jacio und des Curvana graben muß. Erſterer iſt
Aublets Hevea oder die Siphonia der neueren Botaniker, von
der, wie man weiß, der Kautſchuk kommt, der in Cayenne
und Gran Para im Handel iſt; der zweite hat gefiederte
Blätter; ſein Saft iſt milchig, aber ſehr dünn und faſt gar
nicht klebrig. Der Dapicho ſcheint ſich nun dadurch zu
bilden, daß der Saft aus den Wurzeln austritt, und dies
geſchieht beſonders, wenn die Bäume ſehr alt ſind, und
der Stamm hohl zu werden anfängt. Rinde und Splint be-
kommen Riſſe, und ſo erfolgt auf natürlichem Wege, was der
Menſch künſtlich thut, um den Milchſaft der Hevea, der Ca-
ſtilloa und der Kautſchuk gebenden Feigenbäume in Menge
zu ſammeln. Nach Aublets Bericht machen die Galibi und
Garipon in Cayenne zuerſt unten am Stamm einen tiefen
Schnitt bis ins Holz; bald darauf machen ſie ſenkrechte und
ſchiefe Einſchnitte, ſo daß dieſe von oben am Stamm bis
nahe über der Wurzel in jenen horizontalen Einſchnitt zu-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/239>, abgerufen am 15.08.2024.
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