Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Er machte von dieser Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er Er machte von dieſer Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0232" n="224"/> Er machte von dieſer Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er<lb/> bezweckte mit ſeinen Einfällen etwas, das nicht ſo ganz geiſtlich<lb/> war, Sklaven (<hi rendition="#aq">poitos</hi>) zu machen und ſie an die Portugieſen<lb/> zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der<lb/> Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ<lb/> er Kapitän Javita auf einem ſeiner Streifzüge am Temi feſt-<lb/> nehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm,<lb/> ihn durch Verſprechungen, die nicht gehalten wurden, für die<lb/> ſpaniſche Regierung zu gewinnen. Die Portugieſen, die bereits<lb/> einige feſte Niederlaſſungen im Lande gegründet hatten, wurden<lb/> bis an den unteren Rio Negro zurückgedrängt, und die Miſſion<lb/> San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianiſchen Gründer<lb/> Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini,<lb/> dahin verlegt, wo ſie jetzt liegt. Der alte Kapitän Javita<lb/> lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er iſt ein<lb/> Indianer von bedeutender Geiſtes- und Körperkraft. Er ſpricht<lb/> geläufig ſpaniſch und hat einen gewiſſen Einfluß auf die be-<lb/> nachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim<lb/> Botaniſieren und erteilte uns mancherlei Auskunft, die wir<lb/> deſto mehr ſchätzten, da die Miſſionäre ihn für ſehr zuverläſſig<lb/> halten. Er verſichert, er habe in ſeiner Jugend faſt alle<lb/> Indianerſtämme, welche auf dem großen Landſtriche zwiſchen<lb/> dem Orinoko, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura<lb/> wohnen, Menſchenfleiſch eſſen ſehen. Er hält die Daricavanas,<lb/> Puchirinavis und Manitibitanos für die ſtärkſten Anthropo-<lb/> phagen. Er hält dieſen abſcheulichen Brauch bei ihnen nur<lb/> für ein Stück ſyſtematiſcher Rachſucht: ſie eſſen nur Feinde,<lb/> die im Gefechte in ihre Hände gefallen. Die Beiſpiele, wo<lb/> der Indianer in der Grauſamkeit ſo weit geht, daß er ſeine<lb/> Nächſten, ſein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, ſind,<lb/> wie wir weiter unten ſehen werden, ſehr ſelten. Auch weiß<lb/> man am Orinoko nichts von der ſeltſamen Sitte der ſkythiſchen<lb/> und maſſagetiſchen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale<lb/> und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Toten zu<lb/> Ehren die Leiche zum Teil aßen. Auf beiden Kontinenten<lb/> kommt dieſer Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleiſch<lb/> eines Gefangenen verabſcheuen. Der Indianer auf Hayti<lb/> (San Domingo) hätte geglaubt, dem Andenken eines Angehö-<lb/> rigen die Achtung zu verſagen, wenn er nicht ein wenig von<lb/> der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten<lb/> Leiche in ſein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl<lb/> mit einem orientaliſchen Dichter ſagen, „am ſeltſamſten in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [224/0232]
Er machte von dieſer Befugnis reichlichen Gebrauch; aber er
bezweckte mit ſeinen Einfällen etwas, das nicht ſo ganz geiſtlich
war, Sklaven (poitos) zu machen und ſie an die Portugieſen
zu verkaufen. Als Solano, der zweite Befehlshaber bei der
Grenzexpedition, nach San Fernando de Atabapo kam, ließ
er Kapitän Javita auf einem ſeiner Streifzüge am Temi feſt-
nehmen. Er behandelte ihn freundlich und es gelang ihm,
ihn durch Verſprechungen, die nicht gehalten wurden, für die
ſpaniſche Regierung zu gewinnen. Die Portugieſen, die bereits
einige feſte Niederlaſſungen im Lande gegründet hatten, wurden
bis an den unteren Rio Negro zurückgedrängt, und die Miſſion
San Antonio, die gewöhnlich nach ihrem indianiſchen Gründer
Javita heißt, weiter nördlich von den Quellen des Tuamini,
dahin verlegt, wo ſie jetzt liegt. Der alte Kapitän Javita
lebte noch, als wir an den Rio Negro gingen. Er iſt ein
Indianer von bedeutender Geiſtes- und Körperkraft. Er ſpricht
geläufig ſpaniſch und hat einen gewiſſen Einfluß auf die be-
nachbarten Völker behalten. Er begleitete uns immer beim
Botaniſieren und erteilte uns mancherlei Auskunft, die wir
deſto mehr ſchätzten, da die Miſſionäre ihn für ſehr zuverläſſig
halten. Er verſichert, er habe in ſeiner Jugend faſt alle
Indianerſtämme, welche auf dem großen Landſtriche zwiſchen
dem Orinoko, dem Rio Negro, dem Irinida und Jupura
wohnen, Menſchenfleiſch eſſen ſehen. Er hält die Daricavanas,
Puchirinavis und Manitibitanos für die ſtärkſten Anthropo-
phagen. Er hält dieſen abſcheulichen Brauch bei ihnen nur
für ein Stück ſyſtematiſcher Rachſucht: ſie eſſen nur Feinde,
die im Gefechte in ihre Hände gefallen. Die Beiſpiele, wo
der Indianer in der Grauſamkeit ſo weit geht, daß er ſeine
Nächſten, ſein Weib, eine ungetreue Geliebte verzehrt, ſind,
wie wir weiter unten ſehen werden, ſehr ſelten. Auch weiß
man am Orinoko nichts von der ſeltſamen Sitte der ſkythiſchen
und maſſagetiſchen Völker, der Capanaguas am Rio Ucayale
und der alten Bewohner der Antillen, welche dem Toten zu
Ehren die Leiche zum Teil aßen. Auf beiden Kontinenten
kommt dieſer Brauch nur bei Völkern vor, welche das Fleiſch
eines Gefangenen verabſcheuen. Der Indianer auf Hayti
(San Domingo) hätte geglaubt, dem Andenken eines Angehö-
rigen die Achtung zu verſagen, wenn er nicht ein wenig von
der gleich einer Guanchenmumie getrockneten und gepulverten
Leiche in ſein Getränk geworfen hätte. Da kann man wohl
mit einem orientaliſchen Dichter ſagen, „am ſeltſamſten in
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