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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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des oberen Mississippi mit dem Missouri und Ohio, die des
Marannon mit dem Huallaga und Ucayale, die des Indus
mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den
reisenden Geographen ganz dieselben Bedenken erregt. Um
die rein willkürlich angenommene Flußnomenklatur nicht noch
mehr zu verwirren, schlage ich keine neuen Benennungen vor.
Ich nenne mit Pater Caulin und den spanischen Geographen
den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoko oder oberen
Orinoko, bemerke aber, daß wenn man den Orinoko von
San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Insel
Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortsetzung des Rio Gua-
viare und das Stück des oberen Orinoko zwischen Esmeralda
und der Mission San Fernando als einen Nebenfluß betrach-
tete, der Orinoko von den Savannen von San Juan de los
Llanos und dem Ostabhang der Anden bis zu seiner Mün-
dung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Süd-
west nach Nordost hätte.

Der Rio Paragua oder das Stück des Orinoko, auf dem
man ostwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt,
hat klareres, durchsichtigeres und reineres Wasser als das
Stück unterhalb San Fernando. Das Wasser des Guaviare
dagegen ist weiß und trüb; es hat, nach dem Ausspruch der
Indianer, deren Sinne sehr scharf und sehr geübt sind, den-
selben Geschmack wie das Wasser des Orinoko in den großen
Katarakten. "Gebt mir," sagte ein alter Indianer aus der
Mission Javita zu uns, "Wasser aus drei, vier großen Flüssen
des Landes, so sage ich euch nach dem Geschmack zuverlässig,
wo das Wasser geschöpft worden, ob aus einem weißen oder
schwarzen Fluß, ob aus dem Orinoko oder dem Atabapo, dem
Paragua oder Guaviare." Auch die großen Krokodile und
die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere
Orinoko miteinander gemein; diese Tiere kommen, wie man
uns sagte, im Rio Paragua (oder oberen Orinoko zwischen
San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dies sind
doch sehr auffallende Verschiedenheiten hinsichtlich der Beschaffen-
heit der Gewässer und der Verteilung der Tiere. Die In-
dianer verfehlen nicht, sie aufzuzählen, wenn sie den Reisen-
den beweisen wollen, daß der obere Orinoko östlich von San
Fernando ein eigener, sich in den Orinoko ergießender Fluß,
und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des
Guaviare zu suchen sei. Die europäischen Geographen haben
sicher unrecht, daß sie die Anschauung der Indianer nicht

des oberen Miſſiſſippi mit dem Miſſouri und Ohio, die des
Marañon mit dem Huallaga und Ucayale, die des Indus
mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den
reiſenden Geographen ganz dieſelben Bedenken erregt. Um
die rein willkürlich angenommene Flußnomenklatur nicht noch
mehr zu verwirren, ſchlage ich keine neuen Benennungen vor.
Ich nenne mit Pater Caulin und den ſpaniſchen Geographen
den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoko oder oberen
Orinoko, bemerke aber, daß wenn man den Orinoko von
San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Inſel
Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortſetzung des Rio Gua-
viare und das Stück des oberen Orinoko zwiſchen Esmeralda
und der Miſſion San Fernando als einen Nebenfluß betrach-
tete, der Orinoko von den Savannen von San Juan de los
Llanos und dem Oſtabhang der Anden bis zu ſeiner Mün-
dung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Süd-
weſt nach Nordoſt hätte.

Der Rio Paragua oder das Stück des Orinoko, auf dem
man oſtwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt,
hat klareres, durchſichtigeres und reineres Waſſer als das
Stück unterhalb San Fernando. Das Waſſer des Guaviare
dagegen iſt weiß und trüb; es hat, nach dem Ausſpruch der
Indianer, deren Sinne ſehr ſcharf und ſehr geübt ſind, den-
ſelben Geſchmack wie das Waſſer des Orinoko in den großen
Katarakten. „Gebt mir,“ ſagte ein alter Indianer aus der
Miſſion Javita zu uns, „Waſſer aus drei, vier großen Flüſſen
des Landes, ſo ſage ich euch nach dem Geſchmack zuverläſſig,
wo das Waſſer geſchöpft worden, ob aus einem weißen oder
ſchwarzen Fluß, ob aus dem Orinoko oder dem Atabapo, dem
Paragua oder Guaviare.“ Auch die großen Krokodile und
die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere
Orinoko miteinander gemein; dieſe Tiere kommen, wie man
uns ſagte, im Rio Paragua (oder oberen Orinoko zwiſchen
San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dies ſind
doch ſehr auffallende Verſchiedenheiten hinſichtlich der Beſchaffen-
heit der Gewäſſer und der Verteilung der Tiere. Die In-
dianer verfehlen nicht, ſie aufzuzählen, wenn ſie den Reiſen-
den beweiſen wollen, daß der obere Orinoko öſtlich von San
Fernando ein eigener, ſich in den Orinoko ergießender Fluß,
und der wahre Urſprung des letzteren in den Quellen des
Guaviare zu ſuchen ſei. Die europäiſchen Geographen haben
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[210/0218] des oberen Miſſiſſippi mit dem Miſſouri und Ohio, die des Marañon mit dem Huallaga und Ucayale, die des Indus mit dem Chumab und Gurra oder Sutledge haben bei den reiſenden Geographen ganz dieſelben Bedenken erregt. Um die rein willkürlich angenommene Flußnomenklatur nicht noch mehr zu verwirren, ſchlage ich keine neuen Benennungen vor. Ich nenne mit Pater Caulin und den ſpaniſchen Geographen den Fluß bei Esmeralda auch ferner Orinoko oder oberen Orinoko, bemerke aber, daß wenn man den Orinoko von San Fernando de Atabapo bis zum Delta, das er der Inſel Trinidad gegenüber bildet, als eine Fortſetzung des Rio Gua- viare und das Stück des oberen Orinoko zwiſchen Esmeralda und der Miſſion San Fernando als einen Nebenfluß betrach- tete, der Orinoko von den Savannen von San Juan de los Llanos und dem Oſtabhang der Anden bis zu ſeiner Mün- dung eine gleichförmigere und natürlichere Richtung von Süd- weſt nach Nordoſt hätte. Der Rio Paragua oder das Stück des Orinoko, auf dem man oſtwärts von der Mündung des Guaviare hinauffährt, hat klareres, durchſichtigeres und reineres Waſſer als das Stück unterhalb San Fernando. Das Waſſer des Guaviare dagegen iſt weiß und trüb; es hat, nach dem Ausſpruch der Indianer, deren Sinne ſehr ſcharf und ſehr geübt ſind, den- ſelben Geſchmack wie das Waſſer des Orinoko in den großen Katarakten. „Gebt mir,“ ſagte ein alter Indianer aus der Miſſion Javita zu uns, „Waſſer aus drei, vier großen Flüſſen des Landes, ſo ſage ich euch nach dem Geſchmack zuverläſſig, wo das Waſſer geſchöpft worden, ob aus einem weißen oder ſchwarzen Fluß, ob aus dem Orinoko oder dem Atabapo, dem Paragua oder Guaviare.“ Auch die großen Krokodile und die Delphine (Toninas) haben der Guaviare und der untere Orinoko miteinander gemein; dieſe Tiere kommen, wie man uns ſagte, im Rio Paragua (oder oberen Orinoko zwiſchen San Fernando und Esmeralda) gar nicht vor. Dies ſind doch ſehr auffallende Verſchiedenheiten hinſichtlich der Beſchaffen- heit der Gewäſſer und der Verteilung der Tiere. Die In- dianer verfehlen nicht, ſie aufzuzählen, wenn ſie den Reiſen- den beweiſen wollen, daß der obere Orinoko öſtlich von San Fernando ein eigener, ſich in den Orinoko ergießender Fluß, und der wahre Urſprung des letzteren in den Quellen des Guaviare zu ſuchen ſei. Die europäiſchen Geographen haben ſicher unrecht, daß ſie die Anſchauung der Indianer nicht

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/218>, abgerufen am 27.11.2024.