Jahre die mehlige Frucht des Pirijao für sie so gut ein Hauptnahrungsmittel ist als der Maniok und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahre, aber oft drei Trauben, also 150 bis 200 Früchte.
San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Fran- cisco Solano sind die bedeutendsten Missionen am oberen Orinoko. In San Fernando wie in den benachbarten Dörfern San Baltasar und Javita fanden wir hübsche Pfarrhäuser, mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gärten umgeben. Die schlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unseren Augen die Hauptzierde dieser Pflanzungen. Auf unseren Spazier- gängen erzählte uns der Pater Präsident sehr lebhaft von seinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er sprach davon, wie sehr sich die Indianer auf Züge "zur Eroberung von Seelen" freuen; jedermann, selbst Weiber und Greise, wollen daran teilnehmen. Unter dem nichtigen Vorwande, man ver- folge Neubekehrte, die aus dem Dorfe entlaufen, schleppt man dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und verteilt sie an die Indianer in den Missionen als Leibeigene oder Poitos. Die Reisetagebücher, die Pater Bartolomeo Mancilla uns ge- fällig mitteilte, enthalten sehr wichtiges geographisches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüssen des Orinoko die Rede sein wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Uebersicht dieser Entdeckungen. Hier nur so viel, daß es, nach meinen astronomischen Beobachtungen am Atabapo und auf dem westlichen Abhange der Kordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fer- nando bis zu den ersten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 480 km ist. Auch versicherten mich Indianer, die früher westlich von der Insel Amanaveni, jenseits des Einflusses des Rio Supavi, gelebt, sie haben auf einer Lustfahrt im Kanoe (was die Wilden so heißen) auf dem Guaviare bis über die Angostura (den Engpaß) und den Hauptwasserfall hinauf, in drei Tagereisen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte suchten. Darüber waren die Indianer so erschrocken, daß sie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrscheinlich kamen diese weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da sich die zwei Flüsse Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es ist nicht zu verwundern, daß die Missionäre am Orinoko und Atabapo fast keine Ahnung
Jahre die mehlige Frucht des Pirijao für ſie ſo gut ein Hauptnahrungsmittel iſt als der Maniok und die Banane. Der Baum trägt nur einmal im Jahre, aber oft drei Trauben, alſo 150 bis 200 Früchte.
San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Fran- cisco Solano ſind die bedeutendſten Miſſionen am oberen Orinoko. In San Fernando wie in den benachbarten Dörfern San Baltaſar und Javita fanden wir hübſche Pfarrhäuſer, mit Schlingpflanzen bewachſen und mit Gärten umgeben. Die ſchlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unſeren Augen die Hauptzierde dieſer Pflanzungen. Auf unſeren Spazier- gängen erzählte uns der Pater Präſident ſehr lebhaft von ſeinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er ſprach davon, wie ſehr ſich die Indianer auf Züge „zur Eroberung von Seelen“ freuen; jedermann, ſelbſt Weiber und Greiſe, wollen daran teilnehmen. Unter dem nichtigen Vorwande, man ver- folge Neubekehrte, die aus dem Dorfe entlaufen, ſchleppt man dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und verteilt ſie an die Indianer in den Miſſionen als Leibeigene oder Poitos. Die Reiſetagebücher, die Pater Bartolomeo Mancilla uns ge- fällig mitteilte, enthalten ſehr wichtiges geographiſches Material. Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüſſen des Orinoko die Rede ſein wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura und Carony, gebe ich eine Ueberſicht dieſer Entdeckungen. Hier nur ſo viel, daß es, nach meinen aſtronomiſchen Beobachtungen am Atabapo und auf dem weſtlichen Abhange der Kordillere der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fer- nando bis zu den erſten Dörfern in den Provinzen Caguan und San Juan de los Llanos nicht mehr als 480 km iſt. Auch verſicherten mich Indianer, die früher weſtlich von der Inſel Amanaveni, jenſeits des Einfluſſes des Rio Supavi, gelebt, ſie haben auf einer Luſtfahrt im Kanoe (was die Wilden ſo heißen) auf dem Guaviare bis über die Angoſtura (den Engpaß) und den Hauptwaſſerfall hinauf, in drei Tagereiſen Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche Eier der Terekey-Schildkröte ſuchten. Darüber waren die Indianer ſo erſchrocken, daß ſie in aller Eile umkehrten und den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrſcheinlich kamen dieſe weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und San Martin, da ſich die zwei Flüſſe Ariari und Guayavero zum Guaviare vereinigen. Es iſt nicht zu verwundern, daß die Miſſionäre am Orinoko und Atabapo faſt keine Ahnung
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[207/0215]
Jahre die mehlige Frucht des Pirijao für ſie ſo gut ein
Hauptnahrungsmittel iſt als der Maniok und die Banane.
Der Baum trägt nur einmal im Jahre, aber oft drei Trauben,
alſo 150 bis 200 Früchte.
San Fernando de Atabapo, San Carlos und San Fran-
cisco Solano ſind die bedeutendſten Miſſionen am oberen
Orinoko. In San Fernando wie in den benachbarten Dörfern
San Baltaſar und Javita fanden wir hübſche Pfarrhäuſer,
mit Schlingpflanzen bewachſen und mit Gärten umgeben. Die
ſchlanken Stämme der Pirijaopalme waren in unſeren Augen
die Hauptzierde dieſer Pflanzungen. Auf unſeren Spazier-
gängen erzählte uns der Pater Präſident ſehr lebhaft von
ſeinen Fahrten auf dem Rio Guaviare. Er ſprach davon,
wie ſehr ſich die Indianer auf Züge „zur Eroberung von
Seelen“ freuen; jedermann, ſelbſt Weiber und Greiſe, wollen
daran teilnehmen. Unter dem nichtigen Vorwande, man ver-
folge Neubekehrte, die aus dem Dorfe entlaufen, ſchleppt man
dabei acht- bis zehnjährige Kinder fort und verteilt ſie an
die Indianer in den Miſſionen als Leibeigene oder Poitos.
Die Reiſetagebücher, die Pater Bartolomeo Mancilla uns ge-
fällig mitteilte, enthalten ſehr wichtiges geographiſches Material.
Weiter unten, wenn von den Hauptnebenflüſſen des Orinoko
die Rede ſein wird, vom Guaviare, Ventuari, Meta, Caura
und Carony, gebe ich eine Ueberſicht dieſer Entdeckungen. Hier
nur ſo viel, daß es, nach meinen aſtronomiſchen Beobachtungen
am Atabapo und auf dem weſtlichen Abhange der Kordillere
der Anden beim Paramo de la Suma Paz, von San Fer-
nando bis zu den erſten Dörfern in den Provinzen Caguan
und San Juan de los Llanos nicht mehr als 480 km iſt.
Auch verſicherten mich Indianer, die früher weſtlich von der
Inſel Amanaveni, jenſeits des Einfluſſes des Rio Supavi,
gelebt, ſie haben auf einer Luſtfahrt im Kanoe (was die Wilden
ſo heißen) auf dem Guaviare bis über die Angoſtura (den
Engpaß) und den Hauptwaſſerfall hinauf, in drei Tagereiſen
Entfernung bärtige und bekleidete Männer getroffen, welche
Eier der Terekey-Schildkröte ſuchten. Darüber waren die
Indianer ſo erſchrocken, daß ſie in aller Eile umkehrten und
den Guaviare wieder hinunterfuhren. Wahrſcheinlich kamen
dieſe weißen, bärtigen Männer aus den Dörfern Aroma und
San Martin, da ſich die zwei Flüſſe Ariari und Guayavero
zum Guaviare vereinigen. Es iſt nicht zu verwundern, daß
die Miſſionäre am Orinoko und Atabapo faſt keine Ahnung
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/215>, abgerufen am 22.07.2024.
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