die siegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben gesehen, daß im Norden, jenseits der Katarakte, die Kariben und die Cabres, südwärts am oberen Orinoko die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mäch- tigsten Nationen waren. Der lange Widerstand, den die unter einem tapferen Führer vereinigten Cabres den Kariben geleistet, hatte jenen nach dem Jahre 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura ge- schlagen; eine Menge Kariben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwischen den Stromschnellen des Torno und der Isla del Infierno erschlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinierten Verschlagenheit und Grausamkeit, wie sie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen ist, ließen sie einen Kariben am Leben, der, um Zeuge des barbarischen Auftrittes zu sein, auf einen Baum steigen und sofort den Geschlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrausch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Kariben kamen in solcher Masse wieder, daß nur kümmerliche Reste der menschenfressenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben.
Am oberen Orinoko lagen Cocuy und Cuseru im erbit- tertsten Kampfe gegeneinander, als Solano an der Mündung des Guaviare erschien. Ersterer hatte für die Portugiesen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jesuiten, that es diesen immer zu wissen, wenn die Manitivitanos gegen die christlichen Niederlassungen in Atures und Carichana im Anzuge waren. Cuseru wurde erst wenige Tage vor seinem Tode Christ; er hatte aber im Gefecht an seine linke Hüfte ein Kruzifix gebunden, das die Missionäre ihm geschenkt und mit dem er sich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der sich ganz seine wilde Leidenschaftlichkeit aus- spricht. Er hatte die Tochter eines indianischen Häuptlings vom Rio Temi geheiratet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen seinen Schwiegervater erklärte er seinem Weibe, er ziehe aus, sich mit ihm zu messen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend stark ihr Vater sei; da nahm Cuseru, ohne ein Wort weiter zu sprechen, einen vergifteten Pfeil und schoß ihr ihn durch die Brust. Im Jahre 1756 versetzte die Ankunft einer kleinen Abteilung spanischer Truppen unter Solanos Befehl diesen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er stand im Begriffe, es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, da gaben ihm die Patres Jesuiten zu
die ſiegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben geſehen, daß im Norden, jenſeits der Katarakte, die Kariben und die Cabres, ſüdwärts am oberen Orinoko die Guaypunabis, am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mäch- tigſten Nationen waren. Der lange Widerſtand, den die unter einem tapferen Führer vereinigten Cabres den Kariben geleiſtet, hatte jenen nach dem Jahre 1720 zum Verderben gereicht. Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura ge- ſchlagen; eine Menge Kariben wurden auf ihrer eiligen Flucht zwiſchen den Stromſchnellen des Torno und der Isla del Infierno erſchlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber mit jener raffinierten Verſchlagenheit und Grauſamkeit, wie ſie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen iſt, ließen ſie einen Kariben am Leben, der, um Zeuge des barbariſchen Auftrittes zu ſein, auf einen Baum ſteigen und ſofort den Geſchlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der Siegesrauſch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von kurzer Dauer. Die Kariben kamen in ſolcher Maſſe wieder, daß nur kümmerliche Reſte der menſchenfreſſenden Cabres am Rio Cuchivero übrig blieben.
Am oberen Orinoko lagen Cocuy und Cuſeru im erbit- tertſten Kampfe gegeneinander, als Solano an der Mündung des Guaviare erſchien. Erſterer hatte für die Portugieſen Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jeſuiten, that es dieſen immer zu wiſſen, wenn die Manitivitanos gegen die chriſtlichen Niederlaſſungen in Atures und Carichana im Anzuge waren. Cuſeru wurde erſt wenige Tage vor ſeinem Tode Chriſt; er hatte aber im Gefecht an ſeine linke Hüfte ein Kruzifix gebunden, das die Miſſionäre ihm geſchenkt und mit dem er ſich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine Anekdote, in der ſich ganz ſeine wilde Leidenſchaftlichkeit aus- ſpricht. Er hatte die Tochter eines indianiſchen Häuptlings vom Rio Temi geheiratet. Bei einem Ausbruch von Groll gegen ſeinen Schwiegervater erklärte er ſeinem Weibe, er ziehe aus, ſich mit ihm zu meſſen. Das Weib gab ihm zu bedenken, wie tapfer und ausnehmend ſtark ihr Vater ſei; da nahm Cuſeru, ohne ein Wort weiter zu ſprechen, einen vergifteten Pfeil und ſchoß ihr ihn durch die Bruſt. Im Jahre 1756 verſetzte die Ankunft einer kleinen Abteilung ſpaniſcher Truppen unter Solanos Befehl dieſen Häuptling der Guaypunabis in üble Stimmung. Er ſtand im Begriffe, es auf ein Gefecht ankommen zu laſſen, da gaben ihm die Patres Jeſuiten zu
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die ſiegenden Völker in die ihrige aufnehmen. Wir haben
geſehen, daß im Norden, jenſeits der Katarakte, die Kariben
und die Cabres, ſüdwärts am oberen Orinoko die Guaypunabis,
am Rio Negro die Marepizanos und Manitivitanos die mäch-
tigſten Nationen waren. Der lange Widerſtand, den die unter
einem tapferen Führer vereinigten Cabres den Kariben geleiſtet,
hatte jenen nach dem Jahre 1720 zum Verderben gereicht.
Sie hatten ihre Feinde an der Mündung des Rio Caura ge-
ſchlagen; eine Menge Kariben wurden auf ihrer eiligen Flucht
zwiſchen den Stromſchnellen des Torno und der Isla del
Infierno erſchlagen. Die Gefangenen wurden verzehrt; aber
mit jener raffinierten Verſchlagenheit und Grauſamkeit, wie
ſie den Völkern Süd- wie Nordamerikas eigen iſt, ließen ſie
einen Kariben am Leben, der, um Zeuge des barbariſchen
Auftrittes zu ſein, auf einen Baum ſteigen und ſofort den
Geſchlagenen die Kunde davon überbringen mußte. Der
Siegesrauſch Teps, des Häuptlings der Cabres, war von
kurzer Dauer. Die Kariben kamen in ſolcher Maſſe wieder,
daß nur kümmerliche Reſte der menſchenfreſſenden Cabres am
Rio Cuchivero übrig blieben.
Am oberen Orinoko lagen Cocuy und Cuſeru im erbit-
tertſten Kampfe gegeneinander, als Solano an der Mündung
des Guaviare erſchien. Erſterer hatte für die Portugieſen
Partei ergriffen; der letztere, ein Freund der Jeſuiten, that
es dieſen immer zu wiſſen, wenn die Manitivitanos gegen die
chriſtlichen Niederlaſſungen in Atures und Carichana im Anzuge
waren. Cuſeru wurde erſt wenige Tage vor ſeinem Tode
Chriſt; er hatte aber im Gefecht an ſeine linke Hüfte ein
Kruzifix gebunden, das die Miſſionäre ihm geſchenkt und mit
dem er ſich für unverletzlich hielt. Man erzählte uns eine
Anekdote, in der ſich ganz ſeine wilde Leidenſchaftlichkeit aus-
ſpricht. Er hatte die Tochter eines indianiſchen Häuptlings
vom Rio Temi geheiratet. Bei einem Ausbruch von Groll
gegen ſeinen Schwiegervater erklärte er ſeinem Weibe, er ziehe
aus, ſich mit ihm zu meſſen. Das Weib gab ihm zu bedenken,
wie tapfer und ausnehmend ſtark ihr Vater ſei; da nahm
Cuſeru, ohne ein Wort weiter zu ſprechen, einen vergifteten
Pfeil und ſchoß ihr ihn durch die Bruſt. Im Jahre 1756
verſetzte die Ankunft einer kleinen Abteilung ſpaniſcher Truppen
unter Solanos Befehl dieſen Häuptling der Guaypunabis in
üble Stimmung. Er ſtand im Begriffe, es auf ein Gefecht
ankommen zu laſſen, da gaben ihm die Patres Jeſuiten zu
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/212>, abgerufen am 21.07.2024.
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