hatte auf schön gelbem Grunde teils schwarze, teils braun- grüne Querstreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein schönes, nicht giftiges Tier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 5 m lang wird. Ich hielt den Camudu anfangs für eine Boa, sah aber zu meiner Ueberraschung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen geteilt waren. Es war also eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Kontinents; ich sage vielleicht, denn große Naturforscher (Cuvier) scheinen anzunehmen, daß alle Pythone der Alten, alle Boa der Neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius1 eine afrikanische und südeuropäische Schlange war, so hätte Daudin wohl die amerikanischen Boa Pythone und die indischen Pythone Boa nennen sollen. Die erste Kunde von einem ungeheu- ren Reptil, das Menschen, sogar große Vierfüßer packt, sich um sie schlingt und ihnen so die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verschlingt, kam uns zuerst aus Indien und von der Küste von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen ist, so gewöhnt man sich doch nur schwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons besungen hat (die asiatischen Griechen hatten die Sage weit südlicheren Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben soll. Ich will die Verwirrung in der zoologischen Nomenklatur nicht durch neue Vorschläge zur Abänderung vermehren, und be- merke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Kolonisten in Guyana, doch die Missionäre und die latinisierten Indianer in den Missionen ganz gut die Traga Venadas (Zauberschlangen, echte Boa mit einfachen Afterschuppen) von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen Wasserottern (Pythone mit doppelten Afterschuppen), unter- scheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querstreifen, sondern eine Kette rautenförmiger oder sechs- eckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweise an ganz trockenen Orten, andere lieben das Wasser, wie die Pythone oder Culebras de agua.
Geht man nach Westen, so sieht man die runden Hügel oder Eilande im verlassenen Orinokoarm mit denselben Palmen bewachsen, die auf den Felsen in den Katarakten stehen. Einer
1 War es Coluber Elaphis, oder Coluber Aesculapii, oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getötet worden?
hatte auf ſchön gelbem Grunde teils ſchwarze, teils braun- grüne Querſtreifen, am Bauch waren die Streifen blau und bildeten rautenförmige Flecken. Es war ein ſchönes, nicht giftiges Tier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 5 m lang wird. Ich hielt den Camudu anfangs für eine Boa, ſah aber zu meiner Ueberraſchung, daß bei ihm die Platten unter dem Schwanze in zwei Reihen geteilt waren. Es war alſo eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Kontinents; ich ſage vielleicht, denn große Naturforſcher (Cuvier) ſcheinen anzunehmen, daß alle Pythone der Alten, alle Boa der Neuen Welt angehören. Da die Boa des Plinius1 eine afrikaniſche und ſüdeuropäiſche Schlange war, ſo hätte Daudin wohl die amerikaniſchen Boa Pythone und die indiſchen Pythone Boa nennen ſollen. Die erſte Kunde von einem ungeheu- ren Reptil, das Menſchen, ſogar große Vierfüßer packt, ſich um ſie ſchlingt und ihnen ſo die Knochen zerbricht, das Ziegen und Rehe verſchlingt, kam uns zuerſt aus Indien und von der Küſte von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen iſt, ſo gewöhnt man ſich doch nur ſchwer daran, daß es in der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons beſungen hat (die aſiatiſchen Griechen hatten die Sage weit ſüdlicheren Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben ſoll. Ich will die Verwirrung in der zoologiſchen Nomenklatur nicht durch neue Vorſchläge zur Abänderung vermehren, und be- merke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Koloniſten in Guyana, doch die Miſſionäre und die latiniſierten Indianer in den Miſſionen ganz gut die Traga Venadas (Zauberſchlangen, echte Boa mit einfachen Afterſchuppen) von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen Waſſerottern (Pythone mit doppelten Afterſchuppen), unter- ſcheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine Querſtreifen, ſondern eine Kette rautenförmiger oder ſechs- eckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweiſe an ganz trockenen Orten, andere lieben das Waſſer, wie die Pythone oder Culebras de agua.
Geht man nach Weſten, ſo ſieht man die runden Hügel oder Eilande im verlaſſenen Orinokoarm mit denſelben Palmen bewachſen, die auf den Felſen in den Katarakten ſtehen. Einer
1 War es Coluber Elaphis, oder Coluber Aesculapii, oder ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getötet worden?
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hatte auf ſchön gelbem Grunde teils ſchwarze, teils braun-
grüne Querſtreifen, am Bauch waren die Streifen blau und
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giftiges Tier, das, wie die Eingeborenen behaupten, über 5 m
lang wird. Ich hielt den Camudu anfangs für eine Boa,
ſah aber zu meiner Ueberraſchung, daß bei ihm die Platten
unter dem Schwanze in zwei Reihen geteilt waren. Es war
alſo eine Natter, vielleicht ein Python des neuen Kontinents;
ich ſage vielleicht, denn große Naturforſcher (Cuvier) ſcheinen
anzunehmen, daß alle Pythone der Alten, alle Boa der Neuen
Welt angehören. Da die Boa des Plinius 1 eine afrikaniſche
und ſüdeuropäiſche Schlange war, ſo hätte Daudin wohl
die amerikaniſchen Boa Pythone und die indiſchen Pythone
Boa nennen ſollen. Die erſte Kunde von einem ungeheu-
ren Reptil, das Menſchen, ſogar große Vierfüßer packt, ſich
um ſie ſchlingt und ihnen ſo die Knochen zerbricht, das
Ziegen und Rehe verſchlingt, kam uns zuerſt aus Indien und
von der Küſte von Guinea zu. So wenig an Namen gelegen
iſt, ſo gewöhnt man ſich doch nur ſchwer daran, daß es in
der Halbkugel, in der Virgil die Qualen Laokoons beſungen
hat (die aſiatiſchen Griechen hatten die Sage weit ſüdlicheren
Völkern entlehnt), keine Boa constrictor geben ſoll. Ich
will die Verwirrung in der zoologiſchen Nomenklatur nicht
durch neue Vorſchläge zur Abänderung vermehren, und be-
merke nur, daß, wo nicht der große Haufen der Koloniſten
in Guyana, doch die Miſſionäre und die latiniſierten
Indianer in den Miſſionen ganz gut die Traga Venadas
(Zauberſchlangen, echte Boa mit einfachen Afterſchuppen)
von den Culebras de agua, den dem Camudu ähnlichen
Waſſerottern (Pythone mit doppelten Afterſchuppen), unter-
ſcheiden. Die Traga Venadas haben auf dem Rücken keine
Querſtreifen, ſondern eine Kette rautenförmiger oder ſechs-
eckiger Flecken. Manche Arten leben vorzugsweiſe an ganz
trockenen Orten, andere lieben das Waſſer, wie die Pythone
oder Culebras de agua.
Geht man nach Weſten, ſo ſieht man die runden Hügel
oder Eilande im verlaſſenen Orinokoarm mit denſelben Palmen
bewachſen, die auf den Felſen in den Katarakten ſtehen. Einer
1 War es Coluber Elaphis, oder Coluber Aesculapii, oder
ein Python, ähnlich dem, der vom Heere des Regulus getötet
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/180>, abgerufen am 18.07.2024.
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