Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß ist 1560 m breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts schief darüber fahren, an einem Punkte, wo das Wasser, weil das Bett stärker fällt, dem Wehre zu, über das es sich stürzt, mit großer Gewalt hinunter- zieht. Wir wurden von einem Gewitter überrascht, bei dem zum Glück kein starker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits seit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, statt stroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Diese Augenblicke der Span- nung kamen uns gewaltig lang vor. Die Indianer sprachen nur leise, wie immer, wenn sie in einer verfänglichen Lage zu sein glauben. Indessen verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an.
Die Gewitter unter den Tropen sind ebenso kurz als heftig. Zwei Blitzschläge waren ganz nahe an unserer Piroge gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Wasser geschlagen. Ich führe diesen Fall an, weil man in diesen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektrisch geladen sind, stehen so hoch, daß der Blitz seltener in den Boden schlage als in Europa. Die Nacht war sehr finster. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durch- näßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unschlüssig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unsern Weg zu Fuß fortsetzen sollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Missionär ist, wollte durchaus noch nach Hause kommen. Er hatte angefangen, sich durch die Indianer in der Mission ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu lassen. "Sie finden dort," meinte er naiv, "dieselbe Be- quemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tisch noch Bank, aber Sie hätten nicht so viel von den Mücken zu leiden; denn so unverschämt sind sie in der Mission doch nicht wie am Fluß."
Wir folgten dem Rat des Missionärs und er ließ Ko- palfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, 6 mm dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glatte Felsbänke, und dann kamen wir in sehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf
Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht ganz gefahrlos war. Der Fluß iſt 1560 m breit, und wir mußten oberhalb des Katarakts ſchief darüber fahren, an einem Punkte, wo das Waſſer, weil das Bett ſtärker fällt, dem Wehre zu, über das es ſich ſtürzt, mit großer Gewalt hinunter- zieht. Wir wurden von einem Gewitter überraſcht, bei dem zum Glück kein ſtarker Wind ging, aber der Regen goß in Strömen nieder. Man ruderte bereits ſeit zwanzig Minuten und der Steuermann behauptete immer, ſtatt ſtroman kommen wir wieder dem Raudal näher. Dieſe Augenblicke der Span- nung kamen uns gewaltig lang vor. Die Indianer ſprachen nur leiſe, wie immer, wenn ſie in einer verfänglichen Lage zu ſein glauben. Indeſſen verdoppelten ſie ihre Anſtrengungen, und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im Hafen von Maypures an.
Die Gewitter unter den Tropen ſind ebenſo kurz als heftig. Zwei Blitzſchläge waren ganz nahe an unſerer Piroge gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Waſſer geſchlagen. Ich führe dieſen Fall an, weil man in dieſen Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer Oberfläche elektriſch geladen ſind, ſtehen ſo hoch, daß der Blitz ſeltener in den Boden ſchlage als in Europa. Die Nacht war ſehr finſter. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durch- näßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unſchlüſſig, ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln Nacht unſern Weg zu Fuß fortſetzen ſollten. Pater Zea, der in beiden Raudales Miſſionär iſt, wollte durchaus noch nach Hauſe kommen. Er hatte angefangen, ſich durch die Indianer in der Miſſion ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen zu laſſen. „Sie finden dort,“ meinte er naiv, „dieſelbe Be- quemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tiſch noch Bank, aber Sie hätten nicht ſo viel von den Mücken zu leiden; denn ſo unverſchämt ſind ſie in der Miſſion doch nicht wie am Fluß.“
Wir folgten dem Rat des Miſſionärs und er ließ Ko- palfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, 6 mm dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir gingen anfangs über kahle, glatte Felsbänke, und dann kamen wir in ſehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf
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Guahibos wegzukommen. Es begann jetzt eine Fahrt, die nicht
ganz gefahrlos war. Der Fluß iſt 1560 m breit, und wir
mußten oberhalb des Katarakts ſchief darüber fahren, an einem
Punkte, wo das Waſſer, weil das Bett ſtärker fällt, dem
Wehre zu, über das es ſich ſtürzt, mit großer Gewalt hinunter-
zieht. Wir wurden von einem Gewitter überraſcht, bei dem
zum Glück kein ſtarker Wind ging, aber der Regen goß in
Strömen nieder. Man ruderte bereits ſeit zwanzig Minuten
und der Steuermann behauptete immer, ſtatt ſtroman kommen
wir wieder dem Raudal näher. Dieſe Augenblicke der Span-
nung kamen uns gewaltig lang vor. Die Indianer ſprachen
nur leiſe, wie immer, wenn ſie in einer verfänglichen Lage zu
ſein glauben. Indeſſen verdoppelten ſie ihre Anſtrengungen,
und wir langten ohne Unfall mit Einbruch der Nacht im
Hafen von Maypures an.
Die Gewitter unter den Tropen ſind ebenſo kurz als
heftig. Zwei Blitzſchläge waren ganz nahe an unſerer Piroge
gefallen, und der Blitz hatte dabei unzweifelhaft ins Waſſer
geſchlagen. Ich führe dieſen Fall an, weil man in dieſen
Ländern ziemlich allgemein glaubt, die Wolken, die auf ihrer
Oberfläche elektriſch geladen ſind, ſtehen ſo hoch, daß der Blitz
ſeltener in den Boden ſchlage als in Europa. Die Nacht
war ſehr finſter. Wir hatten noch zwei Stunden Wegs zum
Dorfe Maypures, und wir waren bis auf die Haut durch-
näßt. Wie der Regen nachließ, kamen auch die Zancudos
wieder mit dem Heißhunger, den die Schnaken nach einem
Gewitter immer zeigen. Meine Gefährten waren unſchlüſſig,
ob wir im Hafen im Freien lagern oder trotz der dunkeln
Nacht unſern Weg zu Fuß fortſetzen ſollten. Pater Zea, der
in beiden Raudales Miſſionär iſt, wollte durchaus noch nach
Hauſe kommen. Er hatte angefangen, ſich durch die Indianer
in der Miſſion ein großes Haus von zwei Stockwerken bauen
zu laſſen. „Sie finden dort,“ meinte er naiv, „dieſelbe Be-
quemlichkeit wie im Freien. Freilich habe ich weder Tiſch
noch Bank, aber Sie hätten nicht ſo viel von den Mücken zu
leiden; denn ſo unverſchämt ſind ſie in der Miſſion doch nicht
wie am Fluß.“
Wir folgten dem Rat des Miſſionärs und er ließ Ko-
palfackeln anzünden, von denen oben die Rede war, 6 mm
dicke, mit Harz gefüllte Röhren von Baumwurzeln. Wir
gingen anfangs über kahle, glatte Felsbänke, und dann kamen
wir in ſehr dichtes Palmgehölz. Zweimal mußten wir auf
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/174>, abgerufen am 18.07.2024.
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