schwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften teilt; man band ein Seil an die Spitze desselben, und nachdem man die Piroge nahe genug hingezogen, schiffte man mitten im Raudal unsere Instrumente, unsere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auf- treiben können, aus. Zu unserer Ueberraschung sahen wir, daß auf dem natürlichen Wehre, über das sich der Strom stürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir stehen und sahen unsere Pirogue heraufschaffen.
Der Gneisfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 1,3 m tief und 48 cm weit sind. In diesen Trichtern liegen Quarzkiesel und sie scheinen durch die Reibung vom Wasser umhergerollter Körper entstanden zu sein. Unser Stand- punkt mitten im Katarakt war sonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unser Begleiter, der Missionär, bekam seinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durst zu löschen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen küh- lenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianischen Korb) mit Zucker, Citronen und Gre- nadillen oder Früchten der Passionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüssigkeiten mischen konnte, so goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete) Flußwasser in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der sauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das fast eine Schwelgerei am unwirtbaren Ort; aber der Drang des Be- dürfnisses machte uns von Tag zu Tag erfinderischer.
Nachdem wir unseren Durst gelöscht, hatten wir große Lust zu baden. Wir untersuchten genau den schmalen Fels- damm, auf dem wir standen, und bemerkten, daß er in seinem oberen Teile kleine Buchten bildete, in denen das Wasser ruhig und klar war, und so badeten wir denn ganz behaglich beim Getöse des Katarakts und dem Geschrei unserer Indianer. Ich erwähne dieser kleinen Umstände, einmal weil sie unsere Art zu reisen lebendig schildern, und dann weil sie allen, die große Reisen zu unternehmen gedenken, augenscheinlich zeigen, wie man unter allen Umständen im Leben sich Genuß verschaffen kann.
Nach einer Stunde Harrens sahen wir endlich die Piroge über den Raudal heraufkommen. Man lud die Instrumente und Vorräte wieder ein und wir eilten, vom Felsen der
ſchwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften teilt; man band ein Seil an die Spitze desſelben, und nachdem man die Piroge nahe genug hingezogen, ſchiffte man mitten im Raudal unſere Inſtrumente, unſere getrockneten Pflanzen und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auf- treiben können, aus. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir, daß auf dem natürlichen Wehre, über das ſich der Strom ſtürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben wir ſtehen und ſahen unſere Pirogue heraufſchaffen.
Der Gneisfels hat kreisrunde Löcher, von denen die größten 1,3 m tief und 48 cm weit ſind. In dieſen Trichtern liegen Quarzkieſel und ſie ſcheinen durch die Reibung vom Waſſer umhergerollter Körper entſtanden zu ſein. Unſer Stand- punkt mitten im Katarakt war ſonderbar, aber durchaus nicht gefährlich. Unſer Begleiter, der Miſſionär, bekam ſeinen Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durſt zu löſchen, kamen wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen küh- lenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen Mapire (indianiſchen Korb) mit Zucker, Citronen und Gre- nadillen oder Früchten der Paſſionsblumen, von den Spaniern Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes Gefäß hatten, in dem man Flüſſigkeiten miſchen konnte, ſo goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete) Flußwaſſer in eines der Löcher und that den Zucker und den Saft der ſauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken hatten wir ein treffliches Getränke; es war das faſt eine Schwelgerei am unwirtbaren Ort; aber der Drang des Be- dürfniſſes machte uns von Tag zu Tag erfinderiſcher.
Nachdem wir unſeren Durſt gelöſcht, hatten wir große Luſt zu baden. Wir unterſuchten genau den ſchmalen Fels- damm, auf dem wir ſtanden, und bemerkten, daß er in ſeinem oberen Teile kleine Buchten bildete, in denen das Waſſer ruhig und klar war, und ſo badeten wir denn ganz behaglich beim Getöſe des Katarakts und dem Geſchrei unſerer Indianer. Ich erwähne dieſer kleinen Umſtände, einmal weil ſie unſere Art zu reiſen lebendig ſchildern, und dann weil ſie allen, die große Reiſen zu unternehmen gedenken, augenſcheinlich zeigen, wie man unter allen Umſtänden im Leben ſich Genuß verſchaffen kann.
Nach einer Stunde Harrens ſahen wir endlich die Piroge über den Raudal heraufkommen. Man lud die Inſtrumente und Vorräte wieder ein und wir eilten, vom Felſen der
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ſchwamm auf den Fels zu, der den Fall in zwei Hälften teilt;
man band ein Seil an die Spitze desſelben, und nachdem
man die Piroge nahe genug hingezogen, ſchiffte man mitten
im Raudal unſere Inſtrumente, unſere getrockneten Pflanzen
und die wenigen Lebensmittel, die wir in Atures hatten auf-
treiben können, aus. Zu unſerer Ueberraſchung ſahen wir,
daß auf dem natürlichen Wehre, über das ſich der Strom
ſtürzt, ein beträchtliches Stück Boden trocken liegt. Hier blieben
wir ſtehen und ſahen unſere Pirogue heraufſchaffen.
Der Gneisfels hat kreisrunde Löcher, von denen die
größten 1,3 m tief und 48 cm weit ſind. In dieſen Trichtern
liegen Quarzkieſel und ſie ſcheinen durch die Reibung vom
Waſſer umhergerollter Körper entſtanden zu ſein. Unſer Stand-
punkt mitten im Katarakt war ſonderbar, aber durchaus nicht
gefährlich. Unſer Begleiter, der Miſſionär, bekam ſeinen
Fieberanfall. Um ihm den quälenden Durſt zu löſchen, kamen
wir auf den Einfall, ihm in einem der Felslöcher einen küh-
lenden Trank zu bereiten. Wir hatten von Atures einen
Mapire (indianiſchen Korb) mit Zucker, Citronen und Gre-
nadillen oder Früchten der Paſſionsblumen, von den Spaniern
Parchas genannt, mitgenommen. Da wir gar kein großes
Gefäß hatten, in dem man Flüſſigkeiten miſchen konnte, ſo
goß man mit einer Tutuma (Frucht der Crescentia Cujete)
Flußwaſſer in eines der Löcher und that den Zucker und den
Saft der ſauren Früchte dazu. In wenigen Augenblicken
hatten wir ein treffliches Getränke; es war das faſt eine
Schwelgerei am unwirtbaren Ort; aber der Drang des Be-
dürfniſſes machte uns von Tag zu Tag erfinderiſcher.
Nachdem wir unſeren Durſt gelöſcht, hatten wir große
Luſt zu baden. Wir unterſuchten genau den ſchmalen Fels-
damm, auf dem wir ſtanden, und bemerkten, daß er in ſeinem
oberen Teile kleine Buchten bildete, in denen das Waſſer ruhig
und klar war, und ſo badeten wir denn ganz behaglich beim
Getöſe des Katarakts und dem Geſchrei unſerer Indianer.
Ich erwähne dieſer kleinen Umſtände, einmal weil ſie unſere
Art zu reiſen lebendig ſchildern, und dann weil ſie allen,
die große Reiſen zu unternehmen gedenken, augenſcheinlich
zeigen, wie man unter allen Umſtänden im Leben ſich Genuß
verſchaffen kann.
Nach einer Stunde Harrens ſahen wir endlich die Piroge
über den Raudal heraufkommen. Man lud die Inſtrumente
und Vorräte wieder ein und wir eilten, vom Felſen der
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/173>, abgerufen am 16.02.2025.
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