Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

demiker bei der Messung des Meridians errichtet, für ein
Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inka gilt, so kann
am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört
haben, der ohne Zweifel die Missionen besser verwaltet hat,
als Kapuziner und Observanten, dessen Reichtum und dessen
Verdienste um die Civilisation der Indianer aber sehr über-
trieben worden sind. Als die Jesuiten in Santa Fe ver-
haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen
von Piastern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von
Choco, die sie den Widersachern der Gesellschaft zufolge be-
sitzen sollten. Man zog daraus den falschen Schluß, die
Schätze seien allerdings vorhanden gewesen, aber treuen In-
dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis
zur einstigen Wiederherstellung des Ordens versteckt worden.
Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un-
zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada
die Jesuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt
hatte. Don Vincente Orosco, ein spanischer Genieoffizier,
erzählte mir in Angostura, er habe mit Don Manuel Cen-
turion den Auftrag gehabt, die Missionäre in Carichana zu
verhaften, und dabei sei ihnen eine indianische Piroge be-
gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieses Fahrzeug
mit Indianern bemannt war, die keine der Landessprachen
verstanden, so erregte sein Erscheinen Verdacht. Nach langem
fruchtlosen Suchen fand man eine Flasche mit einem Briefe,
in dem der in Santa Fe residierende Superior der Gesell-
schaft die Missionäre am Orinoko von den Verfolgungen be-
nachrichtigte, welche die Jesuiten in Neugranada zu erleiden
gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorsichtsmaßregeln
auf; er war kurz, unzweideutig und voll Respekt vor der Re-
gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge
vollzogen wurden.

Acht Indianer von Atures hatten unsere Piroge durch
die Raudales geschafft; sie schienen mit dem mäßigen Lohne,
der ihnen gereicht wurde,1 gar wohl zufrieden. Das Geschäft
bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von
den jämmerlichen Zuständen und dem Daniederliegen des
Handels in den Missionen am Orinoko zu geben, merke ich
hier an, daß der Missionär in drei Jahren, außer den Fahr-
zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio

1 Kaum 30 Sous der Mann.

demiker bei der Meſſung des Meridians errichtet, für ein
Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inka gilt, ſo kann
am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört
haben, der ohne Zweifel die Miſſionen beſſer verwaltet hat,
als Kapuziner und Obſervanten, deſſen Reichtum und deſſen
Verdienſte um die Civiliſation der Indianer aber ſehr über-
trieben worden ſind. Als die Jeſuiten in Santa Fé ver-
haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen
von Piaſtern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von
Choco, die ſie den Widerſachern der Geſellſchaft zufolge be-
ſitzen ſollten. Man zog daraus den falſchen Schluß, die
Schätze ſeien allerdings vorhanden geweſen, aber treuen In-
dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis
zur einſtigen Wiederherſtellung des Ordens verſteckt worden.
Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un-
zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada
die Jeſuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt
hatte. Don Vincente Orosco, ein ſpaniſcher Genieoffizier,
erzählte mir in Angoſtura, er habe mit Don Manuel Cen-
turion den Auftrag gehabt, die Miſſionäre in Carichana zu
verhaften, und dabei ſei ihnen eine indianiſche Piroge be-
gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieſes Fahrzeug
mit Indianern bemannt war, die keine der Landesſprachen
verſtanden, ſo erregte ſein Erſcheinen Verdacht. Nach langem
fruchtloſen Suchen fand man eine Flaſche mit einem Briefe,
in dem der in Santa Fé reſidierende Superior der Geſell-
ſchaft die Miſſionäre am Orinoko von den Verfolgungen be-
nachrichtigte, welche die Jeſuiten in Neugranada zu erleiden
gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorſichtsmaßregeln
auf; er war kurz, unzweideutig und voll Reſpekt vor der Re-
gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge
vollzogen wurden.

Acht Indianer von Atures hatten unſere Piroge durch
die Raudales geſchafft; ſie ſchienen mit dem mäßigen Lohne,
der ihnen gereicht wurde,1 gar wohl zufrieden. Das Geſchäft
bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von
den jämmerlichen Zuſtänden und dem Daniederliegen des
Handels in den Miſſionen am Orinoko zu geben, merke ich
hier an, daß der Miſſionär in drei Jahren, außer den Fahr-
zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio

1 Kaum 30 Sous der Mann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="163"/>
demiker bei der Me&#x017F;&#x017F;ung des Meridians errichtet, für ein<lb/><hi rendition="#aq">Inca pilca,</hi> das heißt für ein Werk des Inka gilt, &#x017F;o kann<lb/>
am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört<lb/>
haben, der ohne Zweifel die Mi&#x017F;&#x017F;ionen be&#x017F;&#x017F;er verwaltet hat,<lb/>
als Kapuziner und Ob&#x017F;ervanten, de&#x017F;&#x017F;en Reichtum und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Verdien&#x017F;te um die Civili&#x017F;ation der Indianer aber &#x017F;ehr über-<lb/>
trieben worden &#x017F;ind. Als die Je&#x017F;uiten in Santa F<hi rendition="#aq">é</hi> ver-<lb/>
haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen<lb/>
von Pia&#x017F;tern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von<lb/>
Choco, die &#x017F;ie den Wider&#x017F;achern der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zufolge be-<lb/>
&#x017F;itzen &#x017F;ollten. Man zog daraus den fal&#x017F;chen Schluß, die<lb/>
Schätze &#x017F;eien allerdings vorhanden gewe&#x017F;en, aber treuen In-<lb/>
dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis<lb/>
zur ein&#x017F;tigen Wiederher&#x017F;tellung des Ordens ver&#x017F;teckt worden.<lb/>
Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un-<lb/>
zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada<lb/>
die Je&#x017F;uiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt<lb/>
hatte. Don Vincente Orosco, ein &#x017F;pani&#x017F;cher Genieoffizier,<lb/>
erzählte mir in Ango&#x017F;tura, er habe mit Don Manuel Cen-<lb/>
turion den Auftrag gehabt, die Mi&#x017F;&#x017F;ionäre in Carichana zu<lb/>
verhaften, und dabei &#x017F;ei ihnen eine indiani&#x017F;che Piroge be-<lb/>
gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da die&#x017F;es Fahrzeug<lb/>
mit Indianern bemannt war, die keine der Landes&#x017F;prachen<lb/>
ver&#x017F;tanden, &#x017F;o erregte &#x017F;ein Er&#x017F;cheinen Verdacht. Nach langem<lb/>
fruchtlo&#x017F;en Suchen fand man eine Fla&#x017F;che mit einem Briefe,<lb/>
in dem der in Santa F<hi rendition="#aq">é</hi> re&#x017F;idierende Superior der Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft die Mi&#x017F;&#x017F;ionäre am Orinoko von den Verfolgungen be-<lb/>
nachrichtigte, welche die Je&#x017F;uiten in Neugranada zu erleiden<lb/>
gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vor&#x017F;ichtsmaßregeln<lb/>
auf; er war kurz, unzweideutig und voll Re&#x017F;pekt vor der Re-<lb/>
gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge<lb/>
vollzogen wurden.</p><lb/>
          <p>Acht Indianer von Atures hatten un&#x017F;ere Piroge durch<lb/>
die Raudales ge&#x017F;chafft; &#x017F;ie &#x017F;chienen mit dem mäßigen Lohne,<lb/>
der ihnen gereicht wurde,<note place="foot" n="1">Kaum 30 Sous der Mann.</note> gar wohl zufrieden. Das Ge&#x017F;chäft<lb/>
bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von<lb/>
den jämmerlichen Zu&#x017F;tänden und dem Daniederliegen des<lb/>
Handels in den Mi&#x017F;&#x017F;ionen am Orinoko zu geben, merke ich<lb/>
hier an, daß der Mi&#x017F;&#x017F;ionär in drei Jahren, außer den Fahr-<lb/>
zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] demiker bei der Meſſung des Meridians errichtet, für ein Inca pilca, das heißt für ein Werk des Inka gilt, ſo kann am Orinoko jeder verborgene Schatz nur einem Orden gehört haben, der ohne Zweifel die Miſſionen beſſer verwaltet hat, als Kapuziner und Obſervanten, deſſen Reichtum und deſſen Verdienſte um die Civiliſation der Indianer aber ſehr über- trieben worden ſind. Als die Jeſuiten in Santa Fé ver- haftet wurden, fand man bei ihnen keineswegs die Haufen von Piaſtern, die Smaragde von Muzo, die Goldbarren von Choco, die ſie den Widerſachern der Geſellſchaft zufolge be- ſitzen ſollten. Man zog daraus den falſchen Schluß, die Schätze ſeien allerdings vorhanden geweſen, aber treuen In- dianern überantwortet und in den Katarakten des Orinoko bis zur einſtigen Wiederherſtellung des Ordens verſteckt worden. Ich kann ein achtbares Zeugnis beibringen, aus dem un- zweifelhaft hervorgeht, daß der Vizekönig von Neugranada die Jeſuiten vor der ihnen drohenden Gefahr nicht gewarnt hatte. Don Vincente Orosco, ein ſpaniſcher Genieoffizier, erzählte mir in Angoſtura, er habe mit Don Manuel Cen- turion den Auftrag gehabt, die Miſſionäre in Carichana zu verhaften, und dabei ſei ihnen eine indianiſche Piroge be- gegnet, die den Rio Meta herabkam. Da dieſes Fahrzeug mit Indianern bemannt war, die keine der Landesſprachen verſtanden, ſo erregte ſein Erſcheinen Verdacht. Nach langem fruchtloſen Suchen fand man eine Flaſche mit einem Briefe, in dem der in Santa Fé reſidierende Superior der Geſell- ſchaft die Miſſionäre am Orinoko von den Verfolgungen be- nachrichtigte, welche die Jeſuiten in Neugranada zu erleiden gehabt. Der Brief forderte zu keinerlei Vorſichtsmaßregeln auf; er war kurz, unzweideutig und voll Reſpekt vor der Re- gierung, deren Befehle mit unnötiger, unvernünftiger Strenge vollzogen wurden. Acht Indianer von Atures hatten unſere Piroge durch die Raudales geſchafft; ſie ſchienen mit dem mäßigen Lohne, der ihnen gereicht wurde, 1 gar wohl zufrieden. Das Geſchäft bringt ihnen wenig ein, und um einen richtigen Begriff von den jämmerlichen Zuſtänden und dem Daniederliegen des Handels in den Miſſionen am Orinoko zu geben, merke ich hier an, daß der Miſſionär in drei Jahren, außer den Fahr- zeugen, welche der Kommandant von San Carlos am Rio 1 Kaum 30 Sous der Mann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/171
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/171>, abgerufen am 24.11.2024.