gerieben, es folgte aber keine Geschwulst darauf. Die reizende Flüssigkeit der Diptera Nemocera, die nach den bisherigen chemischen Untersuchungen sich nicht wie eine Säure verhält, ist, wie bei den Ameisen und anderen Hymenopteren, in eigenen Drüsen enthalten; dieselbe ist wahrscheinlich zu sehr verdünnt und damit zu schwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Tiere reibt.
Ich habe am Ende dieses Kapitels alles zusammen- gestellt, was wir auf unseren Reisen über Erscheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforschung auffallend vernachlässigt wurden, obgleich sie auf das Wohl der Bevölkerung, die Gesundheit der Länder und die Grün- dung neuer Kolonieen an den Strömen des tropischen Amerika von bedeutendem Einfluß sind. Ich bedarf wohl keiner Recht- fertigung, daß ich diesen Gegenstand mit einer Umständlichkeit behandelt habe, die kleinlich erscheinen könnte, fiele nicht der- selbe unter einen allgemeineren physiologischen Gesichtspunkt. Unsere Einbildungskraft wird nur vom Großen stark angeregt, und so ist es Sache der Naturphilosophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben gesehen, wie geflügelte, gesellig lebende Insekten, die in ihrem Saugrüssel eine die Haut reizende Flüssigkeit bergen, große Länder fast unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Insekten, die Termiten (Comejen), setzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tro- pischen Erdstriches der Entwickelung der Kultur schwer zu be- siegende Hindernisse entgegen. Furchtbar rasch verzehren sie Papier, Pappe, Pergament; sie zerstören Archive und Biblio- theken. In ganzen Provinzen von Spanisch-Amerika gibt es keine geschriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie soll sich die Kultur bei den Völkern entwickeln, wenn nicht Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menschlicher Kenntnisse öfters erneuern muß, wenn die geistige Errungenschaft der Nachwelt nicht überliefert wer- den kann?
Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinauf- kommt, desto mehr schwindet diese Plage. Dort atmet der Mensch eine frische, reine Luft, und die Insekten stören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen ohne Furcht vor gefährlichen Ter- miten. In 390 m Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten sind in 580 m Höhe sehr häufig, aber in Mexiko, Santa Fe de Bogota und Quito kommen sie selten
gerieben, es folgte aber keine Geſchwulſt darauf. Die reizende Flüſſigkeit der Diptera Nemocera, die nach den bisherigen chemiſchen Unterſuchungen ſich nicht wie eine Säure verhält, iſt, wie bei den Ameiſen und anderen Hymenopteren, in eigenen Drüſen enthalten; dieſelbe iſt wahrſcheinlich zu ſehr verdünnt und damit zu ſchwach, wenn man die Haut mit dem ganzen zerdrückten Tiere reibt.
Ich habe am Ende dieſes Kapitels alles zuſammen- geſtellt, was wir auf unſeren Reiſen über Erſcheinungen in Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforſchung auffallend vernachläſſigt wurden, obgleich ſie auf das Wohl der Bevölkerung, die Geſundheit der Länder und die Grün- dung neuer Kolonieen an den Strömen des tropiſchen Amerika von bedeutendem Einfluß ſind. Ich bedarf wohl keiner Recht- fertigung, daß ich dieſen Gegenſtand mit einer Umſtändlichkeit behandelt habe, die kleinlich erſcheinen könnte, fiele nicht der- ſelbe unter einen allgemeineren phyſiologiſchen Geſichtspunkt. Unſere Einbildungskraft wird nur vom Großen ſtark angeregt, und ſo iſt es Sache der Naturphiloſophie, beim Kleinen zu verweilen. Wir haben geſehen, wie geflügelte, geſellig lebende Inſekten, die in ihrem Saugrüſſel eine die Haut reizende Flüſſigkeit bergen, große Länder faſt unbewohnbar machen. Andere, gleichfalls kleine Inſekten, die Termiten (Comejen), ſetzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tro- piſchen Erdſtriches der Entwickelung der Kultur ſchwer zu be- ſiegende Hinderniſſe entgegen. Furchtbar raſch verzehren ſie Papier, Pappe, Pergament; ſie zerſtören Archive und Biblio- theken. In ganzen Provinzen von Spaniſch-Amerika gibt es keine geſchriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie ſoll ſich die Kultur bei den Völkern entwickeln, wenn nicht Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die Niederlagen menſchlicher Kenntniſſe öfters erneuern muß, wenn die geiſtige Errungenſchaft der Nachwelt nicht überliefert wer- den kann?
Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinauf- kommt, deſto mehr ſchwindet dieſe Plage. Dort atmet der Menſch eine friſche, reine Luft, und die Inſekten ſtören nicht mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden in Archiven niederlegen ohne Furcht vor gefährlichen Ter- miten. In 390 m Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht mehr; die Termiten ſind in 580 m Höhe ſehr häufig, aber in Mexiko, Santa Fé de Bogota und Quito kommen ſie ſelten
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gerieben, es folgte aber keine Geſchwulſt darauf. Die reizende
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chemiſchen Unterſuchungen ſich nicht wie eine Säure verhält,
iſt, wie bei den Ameiſen und anderen Hymenopteren, in
eigenen Drüſen enthalten; dieſelbe iſt wahrſcheinlich zu ſehr
verdünnt und damit zu ſchwach, wenn man die Haut mit
dem ganzen zerdrückten Tiere reibt.
Ich habe am Ende dieſes Kapitels alles zuſammen-
geſtellt, was wir auf unſeren Reiſen über Erſcheinungen in
Erfahrung bringen konnten, die bisher von der Naturforſchung
auffallend vernachläſſigt wurden, obgleich ſie auf das Wohl
der Bevölkerung, die Geſundheit der Länder und die Grün-
dung neuer Kolonieen an den Strömen des tropiſchen Amerika
von bedeutendem Einfluß ſind. Ich bedarf wohl keiner Recht-
fertigung, daß ich dieſen Gegenſtand mit einer Umſtändlichkeit
behandelt habe, die kleinlich erſcheinen könnte, fiele nicht der-
ſelbe unter einen allgemeineren phyſiologiſchen Geſichtspunkt.
Unſere Einbildungskraft wird nur vom Großen ſtark angeregt,
und ſo iſt es Sache der Naturphiloſophie, beim Kleinen zu
verweilen. Wir haben geſehen, wie geflügelte, geſellig lebende
Inſekten, die in ihrem Saugrüſſel eine die Haut reizende
Flüſſigkeit bergen, große Länder faſt unbewohnbar machen.
Andere, gleichfalls kleine Inſekten, die Termiten (Comejen),
ſetzen in mehreren heißen und gemäßigten Ländern des tro-
piſchen Erdſtriches der Entwickelung der Kultur ſchwer zu be-
ſiegende Hinderniſſe entgegen. Furchtbar raſch verzehren ſie
Papier, Pappe, Pergament; ſie zerſtören Archive und Biblio-
theken. In ganzen Provinzen von Spaniſch-Amerika gibt es
keine geſchriebene Urkunde, die hundert Jahre alt wäre. Wie
ſoll ſich die Kultur bei den Völkern entwickeln, wenn nicht
Gegenwart und Vergangenheit verknüpft, wenn man die
Niederlagen menſchlicher Kenntniſſe öfters erneuern muß, wenn
die geiſtige Errungenſchaft der Nachwelt nicht überliefert wer-
den kann?
Je weiter man gegen die Hochebene der Anden hinauf-
kommt, deſto mehr ſchwindet dieſe Plage. Dort atmet der
Menſch eine friſche, reine Luft, und die Inſekten ſtören nicht
mehr Tagesarbeit und Nachtruhe. Dort kann man Urkunden
in Archiven niederlegen ohne Furcht vor gefährlichen Ter-
miten. In 390 m Meereshöhe fürchtet man die Mücken nicht
mehr; die Termiten ſind in 580 m Höhe ſehr häufig, aber
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/167>, abgerufen am 17.07.2024.
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