Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Mücken (mis moscas) anbelangt, so darf ich mich rühmen, Diese Gefräßigkeit der Insekten an gewissen Orten, diese Das Volk in Amerika hat sich hinsichtlich der Gesundheit 1 Diese Gefräßigkeit, diese Blutgier bei kleinen Insekten, die
sonst von Pflanzensäften in einem fast unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. "Was fräßen die Tiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen?" sagen oft die Kreolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be- deckte Krokodile und behaarte Affen gibt. Mücken (mis moscas) anbelangt, ſo darf ich mich rühmen, Dieſe Gefräßigkeit der Inſekten an gewiſſen Orten, dieſe Das Volk in Amerika hat ſich hinſichtlich der Geſundheit 1 Dieſe Gefräßigkeit, dieſe Blutgier bei kleinen Inſekten, die
ſonſt von Pflanzenſäften in einem faſt unbewohnten Lande leben, hat allerdings etwas Auffallendes. „Was fräßen die Tiere, wenn wir nicht hier vorüberkämen?“ ſagen oft die Kreolen auf dem Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be- deckte Krokodile und behaarte Affen gibt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0163" n="155"/> Mücken (<hi rendition="#aq">mis moscas</hi>) anbelangt, ſo darf ich mich rühmen,<lb/> daß ich mit einer von den meinen drei von den Euren ſchlage.“</p><lb/> <p>Dieſe Gefräßigkeit der Inſekten an gewiſſen Orten, dieſe<lb/> Blutgier, womit ſie den Menſchen anfallen, <note place="foot" n="1">Dieſe Gefräßigkeit, dieſe Blutgier bei kleinen Inſekten, die<lb/> ſonſt von Pflanzenſäften in einem faſt unbewohnten Lande leben,<lb/> hat allerdings etwas Auffallendes. „Was fräßen die Tiere, wenn<lb/> wir nicht hier vorüberkämen?“ ſagen oft die Kreolen auf dem<lb/> Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be-<lb/> deckte Krokodile und behaarte Affen gibt.</note> die ungleiche<lb/> Wirkſamkeit des Giftes bei derſelben Art ſind ſehr merk-<lb/> würdige Erſcheinungen; es ſtellen ſich ihnen jedoch andere<lb/> aus den Klaſſen der großen Tiere zur Seite. In Angoſtura<lb/> greift das Krokodil den Menſchen an, während man in Nueva<lb/> Barcelona im Rio Neveri mitten unter dieſen fleiſchfreſſenden<lb/> Reptilien ruhig badet. Die Jaguare in Maturin, Cuma-<lb/> nacoa und auf der Landenge von Panama ſind feig denen<lb/> am oberen Orinoko gegenüber. Die Indianer wiſſen recht<lb/> gut, daß die Affen aus dieſem und jenem Thale leicht zu<lb/> zähmen ſind, während Individuen derſelben Art, die man<lb/> anderswo fängt, lieber Hungers ſterben, als ſich in die Ge-<lb/> fangenſchaft ergeben.</p><lb/> <p>Das Volk in Amerika hat ſich hinſichtlich der Geſundheit<lb/> der Gegenden und der Krankheitserſcheinungen Syſteme ge-<lb/> bildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und dieſe Syſteme<lb/> widerſprechen ſich, gleichfalls wie bei uns, in den verſchiedenen<lb/> Provinzen, in die der neue Kontinent zerfällt, ganz und gar.<lb/> Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskiten läſtig,<lb/> aber ſie gelten für ſehr geſund. „Dieſe Tiere,“ ſagen die<lb/> Leute, „machen uns kleine Aderläſſe und ſchützen uns in<lb/> einem ſo furchtbar heißen Land vor dem <hi rendition="#g">Tabardillo</hi>, dem<lb/> Scharlachfieber, und anderen entzündlichen Krankheiten.“ Am<lb/> Orinoko, deſſen Ufer höchſt ungeſund ſind, ſchreiben die Kranken<lb/> alle ihre Leiden den Moskiten zu. „Dieſe Inſekten entſtehen<lb/> aus der Fäulnis und vermehren ſie; ſie entzünden das Blut<lb/> (<hi rendition="#aq">vician y incienden el sangre</hi>).“ Der Volksglaube, als<lb/> wirkten die Moskiten durch örtliche Blutentziehung heilſam,<lb/> braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa<lb/> wiſſen die Bewohner ſumpfiger Länder gar wohl, daß die<lb/> Inſekten das Hautſyſtem reizen und durch das Gift, das ſie<lb/> in die Wunden bringen, die Funktionen desſelben ſteigern.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [155/0163]
Mücken (mis moscas) anbelangt, ſo darf ich mich rühmen,
daß ich mit einer von den meinen drei von den Euren ſchlage.“
Dieſe Gefräßigkeit der Inſekten an gewiſſen Orten, dieſe
Blutgier, womit ſie den Menſchen anfallen, 1 die ungleiche
Wirkſamkeit des Giftes bei derſelben Art ſind ſehr merk-
würdige Erſcheinungen; es ſtellen ſich ihnen jedoch andere
aus den Klaſſen der großen Tiere zur Seite. In Angoſtura
greift das Krokodil den Menſchen an, während man in Nueva
Barcelona im Rio Neveri mitten unter dieſen fleiſchfreſſenden
Reptilien ruhig badet. Die Jaguare in Maturin, Cuma-
nacoa und auf der Landenge von Panama ſind feig denen
am oberen Orinoko gegenüber. Die Indianer wiſſen recht
gut, daß die Affen aus dieſem und jenem Thale leicht zu
zähmen ſind, während Individuen derſelben Art, die man
anderswo fängt, lieber Hungers ſterben, als ſich in die Ge-
fangenſchaft ergeben.
Das Volk in Amerika hat ſich hinſichtlich der Geſundheit
der Gegenden und der Krankheitserſcheinungen Syſteme ge-
bildet, ganz wie die Gelehrten in Europa, und dieſe Syſteme
widerſprechen ſich, gleichfalls wie bei uns, in den verſchiedenen
Provinzen, in die der neue Kontinent zerfällt, ganz und gar.
Am Magdalenenfluß findet man die vielen Moskiten läſtig,
aber ſie gelten für ſehr geſund. „Dieſe Tiere,“ ſagen die
Leute, „machen uns kleine Aderläſſe und ſchützen uns in
einem ſo furchtbar heißen Land vor dem Tabardillo, dem
Scharlachfieber, und anderen entzündlichen Krankheiten.“ Am
Orinoko, deſſen Ufer höchſt ungeſund ſind, ſchreiben die Kranken
alle ihre Leiden den Moskiten zu. „Dieſe Inſekten entſtehen
aus der Fäulnis und vermehren ſie; ſie entzünden das Blut
(vician y incienden el sangre).“ Der Volksglaube, als
wirkten die Moskiten durch örtliche Blutentziehung heilſam,
braucht hier nicht widerlegt zu werden. Sogar in Europa
wiſſen die Bewohner ſumpfiger Länder gar wohl, daß die
Inſekten das Hautſyſtem reizen und durch das Gift, das ſie
in die Wunden bringen, die Funktionen desſelben ſteigern.
1 Dieſe Gefräßigkeit, dieſe Blutgier bei kleinen Inſekten, die
ſonſt von Pflanzenſäften in einem faſt unbewohnten Lande leben,
hat allerdings etwas Auffallendes. „Was fräßen die Tiere, wenn
wir nicht hier vorüberkämen?“ ſagen oft die Kreolen auf dem
Wege durch ein Land, wo es nur mit einem Schuppenpanzer be-
deckte Krokodile und behaarte Affen gibt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |