wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüsch emporragen. Diese Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmischen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Kastilien; sie wiederholt sich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (780 bis 1170 m) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abständen sich erhebenden Felsen bestehen entweder aus aufgetürmten Blöcken oder sind in regelmäßige, wagerechte Bänke geteilt. Auf die ganz nahe am Orinoko stellen sich die Flamingo, die Solbados1 und und andere fischfangende Vögel, und nehmen sich dann aus wie Menschen, die Wache stehen. Dies ist zuweilen so täu- schend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angostura eines Tages kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Bestürzung gerieten, als sich auf ein- mal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Solbados und Garzas blicken ließen. Sie glaubten sich von einem Ueber- fall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieser Täuschung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte sich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft stiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoko zu fortsetzten.
Die schöne Vegetation der Berge ist, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meistens sieht man zwischen dieser schwarzen, mit Pflanzen- fasern gemischten Dammerde und dem Granitgestein eine Schichte weißen Sandes. Der Missionär versicherte uns, in der Nähe der Wasserfälle sei das Grün beständig frisch in- folge des vielen Wasserdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 5,8 bis 7,8 km in Strudel und Wasserfälle zerschlagenen Strome aufsteigt.
Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation allerorten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man sie auf den Küsten erst zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Bannisterien, Bignonien mit blauen Blüten, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baum- stamme waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beisammen, als in unserem Klima auf einem ansehnlichen Landstriche. Neben diesen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächsen sahen wir hier mitten in der heißen Zone und fast im Niveau des
1 Eine große Reiherart.
wie Pfeiler über die Bäume und das Gebüſch emporragen. Dieſe Bildung kommt allen Granitplateaus zu, im Harz, im böhmiſchen Erzgebirge, in Galizien, an der Grenze beider Kaſtilien; ſie wiederholt ſich überall, wo in unbedeutender Meereshöhe (780 bis 1170 m) ein Granit neuerer Formation zu Tage kommt. Die in Abſtänden ſich erhebenden Felſen beſtehen entweder aus aufgetürmten Blöcken oder ſind in regelmäßige, wagerechte Bänke geteilt. Auf die ganz nahe am Orinoko ſtellen ſich die Flamingo, die Solbados1 und und andere fiſchfangende Vögel, und nehmen ſich dann aus wie Menſchen, die Wache ſtehen. Dies iſt zuweilen ſo täu- ſchend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner von Angoſtura eines Tages kurz nach der Gründung der Stadt in die größte Beſtürzung gerieten, als ſich auf ein- mal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Solbados und Garzas blicken ließen. Sie glaubten ſich von einem Ueber- fall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht, und obgleich einige Leute, die mit dieſer Täuſchung bekannt waren, die Sache aufklärten, beruhigte ſich das Volk nicht eher ganz, als bis die Vögel in die Luft ſtiegen und ihre Wanderung der Mündung des Orinoko zu fortſetzten.
Die ſchöne Vegetation der Berge iſt, wo nur auf dem Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet. Meiſtens ſieht man zwiſchen dieſer ſchwarzen, mit Pflanzen- faſern gemiſchten Dammerde und dem Granitgeſtein eine Schichte weißen Sandes. Der Miſſionär verſicherte uns, in der Nähe der Waſſerfälle ſei das Grün beſtändig friſch in- folge des vielen Waſſerdampfes, der aus dem auf einer Strecke von 5,8 bis 7,8 km in Strudel und Waſſerfälle zerſchlagenen Strome aufſteigt.
Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören, und bereits zeigte die Vegetation allerorten die kräftige Fülle und den Farbenglanz, wie man ſie auf den Küſten erſt zu Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll prächtiger Orchideen, gelber Banniſterien, Bignonien mit blauen Blüten, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baum- ſtamme waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beiſammen, als in unſerem Klima auf einem anſehnlichen Landſtriche. Neben dieſen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächſen ſahen wir hier mitten in der heißen Zone und faſt im Niveau des
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Kaſtilien; ſie wiederholt ſich überall, wo in unbedeutender
Meereshöhe (780 bis 1170 m) ein Granit neuerer Formation
zu Tage kommt. Die in Abſtänden ſich erhebenden Felſen
beſtehen entweder aus aufgetürmten Blöcken oder ſind in
regelmäßige, wagerechte Bänke geteilt. Auf die ganz nahe
am Orinoko ſtellen ſich die Flamingo, die Solbados 1 und
und andere fiſchfangende Vögel, und nehmen ſich dann aus
wie Menſchen, die Wache ſtehen. Dies iſt zuweilen ſo täu-
ſchend, daß, wie mehrere Augenzeugen erzählen, die Einwohner
von Angoſtura eines Tages kurz nach der Gründung der
Stadt in die größte Beſtürzung gerieten, als ſich auf ein-
mal auf einem Berge gegen Süd Reiher, Solbados und
Garzas blicken ließen. Sie glaubten ſich von einem Ueber-
fall der Indios monteros (der wilden Indianer) bedroht,
und obgleich einige Leute, die mit dieſer Täuſchung bekannt
waren, die Sache aufklärten, beruhigte ſich das Volk nicht
eher ganz, als bis die Vögel in die Luft ſtiegen und ihre
Wanderung der Mündung des Orinoko zu fortſetzten.
Die ſchöne Vegetation der Berge iſt, wo nur auf dem
Felsboden Dammerde liegt, auch über die Ebenen verbreitet.
Meiſtens ſieht man zwiſchen dieſer ſchwarzen, mit Pflanzen-
faſern gemiſchten Dammerde und dem Granitgeſtein eine
Schichte weißen Sandes. Der Miſſionär verſicherte uns, in
der Nähe der Waſſerfälle ſei das Grün beſtändig friſch in-
folge des vielen Waſſerdampfes, der aus dem auf einer Strecke
von 5,8 bis 7,8 km in Strudel und Waſſerfälle zerſchlagenen
Strome aufſteigt.
Kaum hatte man in Atures ein paarmal donnern hören,
und bereits zeigte die Vegetation allerorten die kräftige Fülle
und den Farbenglanz, wie man ſie auf den Küſten erſt zu
Ende der Regenzeit findet. Die alten Bäume hingen voll
prächtiger Orchideen, gelber Banniſterien, Bignonien mit blauen
Blüten, Peperomia, Arum, Pothos. Auf einem einzigen Baum-
ſtamme waren mannigfaltigere Pflanzengebilde beiſammen, als
in unſerem Klima auf einem anſehnlichen Landſtriche. Neben
dieſen den heißen Klimaten eigenen Schmarotzergewächſen ſahen
wir hier mitten in der heißen Zone und faſt im Niveau des
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/131>, abgerufen am 16.02.2025.
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