Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, West und Süd ansteigen, sich durchschneiden, wodurch eine bedeutende Bodensenkung ent- stehen mußte. In diesem Becken steht in der Regenzeit das Wasser 4 bis 4,5 m hoch auf den Grasfluren, so daß sie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichsam auf Untiefen dieses Sees liegen, stehen kaum 0,6 bis 1 m über dem Wasser. Alles erinnert hier an die Ueber- schwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes, die früher bei den Geographen so vielberufen war, obgleich sie nur ein paar Monate im Jahre besteht. Das Austreten der Flüsse Apure, Meta und Orinoko ist ebenso an eine be- stimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savanne wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil sie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man sieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Teil des Tages herumschwimmen und die Gräser abweiden, die nur mit den Spitzen über das Wasser reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man sieht nicht selten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieser fleischfressenden Reptilien aufzuweisen haben. Die Aase von Pferden, Maultieren und Kühen ziehen zahllose Geier herbei. Die Zamuros1 sind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des "Huhns der Pharaonen" und leisten den Be- wohnern der Llanos dieselben Dienste, wie der Vultur Per- cnopterus den Aegyptern.
Ueberdenkt man die Wirkungen dieser Ueberschwemmungen, so kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegsam die Organisation der Tiere ist, die der Mensch seiner Herrschaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die Abfälle beim Fischfang, und gibt es keine Fische, so nährt er sich von Seegras. Der Esel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochasiens stammen, begleiten den Men- schen in die Neue Welt, treten hier in den wilden Zustand zurück und fristen im heißen tropischen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beschwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Nässe geplagt, suchen sie bald, um ihren Durst zu löschen, eine Lache auf dem kahlen, staubigten Boden, bald flüchten sie sich vor den Wassern der austretenden
1Vultur aura.
Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta drei Gehänge, die gegen Nord, Weſt und Süd anſteigen, ſich durchſchneiden, wodurch eine bedeutende Bodenſenkung ent- ſtehen mußte. In dieſem Becken ſteht in der Regenzeit das Waſſer 4 bis 4,5 m hoch auf den Grasfluren, ſo daß ſie einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die gleichſam auf Untiefen dieſes Sees liegen, ſtehen kaum 0,6 bis 1 m über dem Waſſer. Alles erinnert hier an die Ueber- ſchwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes, die früher bei den Geographen ſo vielberufen war, obgleich ſie nur ein paar Monate im Jahre beſteht. Das Austreten der Flüſſe Apure, Meta und Orinoko iſt ebenſo an eine be- ſtimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde, welche in der Savanne wild leben, zu Hunderten zu Grunde, weil ſie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den Llanos nicht erreichen konnten. Man ſieht die Stuten, hinter ihnen ihre Füllen, einen Teil des Tages herumſchwimmen und die Gräſer abweiden, die nur mit den Spitzen über das Waſſer reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und man ſieht nicht ſelten Pferde, die an den Schenkeln Spuren von den Zähnen dieſer fleiſchfreſſenden Reptilien aufzuweiſen haben. Die Aaſe von Pferden, Maultieren und Kühen ziehen zahlloſe Geier herbei. Die Zamuros1 ſind die Ibis oder vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den Habitus des „Huhns der Pharaonen“ und leiſten den Be- wohnern der Llanos dieſelben Dienſte, wie der Vultur Per- cnopterus den Aegyptern.
Ueberdenkt man die Wirkungen dieſer Ueberſchwemmungen, ſo kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar biegſam die Organiſation der Tiere iſt, die der Menſch ſeiner Herrſchaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund die Abfälle beim Fiſchfang, und gibt es keine Fiſche, ſo nährt er ſich von Seegras. Der Eſel und das Pferd, die aus den kalten, dürren Ebenen Hochaſiens ſtammen, begleiten den Men- ſchen in die Neue Welt, treten hier in den wilden Zuſtand zurück und friſten im heißen tropiſchen Klima ihr Leben unter Unruhe und Beſchwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und darauf von übermäßiger Näſſe geplagt, ſuchen ſie bald, um ihren Durſt zu löſchen, eine Lache auf dem kahlen, ſtaubigten Boden, bald flüchten ſie ſich vor den Waſſern der austretenden
1Vultur aura.
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[5/0013]
Fernando am Apure, Caycara und der Mündung des Meta
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ſtehen mußte. In dieſem Becken ſteht in der Regenzeit das
Waſſer 4 bis 4,5 m hoch auf den Grasfluren, ſo daß ſie
einem mächtigen See gleichen. Die Dörfer und Höfe, die
gleichſam auf Untiefen dieſes Sees liegen, ſtehen kaum 0,6 bis
1 m über dem Waſſer. Alles erinnert hier an die Ueber-
ſchwemmung in Unterägypten und an die Laguna de Xarayes,
die früher bei den Geographen ſo vielberufen war, obgleich
ſie nur ein paar Monate im Jahre beſteht. Das Austreten
der Flüſſe Apure, Meta und Orinoko iſt ebenſo an eine be-
ſtimmte Zeit gebunden. In der Regenzeit gehen die Pferde,
welche in der Savanne wild leben, zu Hunderten zu Grunde,
weil ſie die Plateaus oder die gewölbten Erhöhungen in den
Llanos nicht erreichen konnten. Man ſieht die Stuten, hinter
ihnen ihre Füllen, einen Teil des Tages herumſchwimmen und
die Gräſer abweiden, die nur mit den Spitzen über das Waſſer
reichen. Sie werden dabei von Krokodilen angefallen, und
man ſieht nicht ſelten Pferde, die an den Schenkeln Spuren
von den Zähnen dieſer fleiſchfreſſenden Reptilien aufzuweiſen
haben. Die Aaſe von Pferden, Maultieren und Kühen ziehen
zahlloſe Geier herbei. Die Zamuros 1 ſind die Ibis oder
vielmehr Percnopterus des Landes. Sie haben ganz den
Habitus des „Huhns der Pharaonen“ und leiſten den Be-
wohnern der Llanos dieſelben Dienſte, wie der Vultur Per-
cnopterus den Aegyptern.
Ueberdenkt man die Wirkungen dieſer Ueberſchwemmungen,
ſo kann man nicht umhin, dabei zu verweilen, wie wunderbar
biegſam die Organiſation der Tiere iſt, die der Menſch ſeiner
Herrſchaft unterworfen hat. In Grönland frißt der Hund
die Abfälle beim Fiſchfang, und gibt es keine Fiſche, ſo nährt
er ſich von Seegras. Der Eſel und das Pferd, die aus den
kalten, dürren Ebenen Hochaſiens ſtammen, begleiten den Men-
ſchen in die Neue Welt, treten hier in den wilden Zuſtand
zurück und friſten im heißen tropiſchen Klima ihr Leben unter
Unruhe und Beſchwerden. Jetzt von übermäßiger Dürre und
darauf von übermäßiger Näſſe geplagt, ſuchen ſie bald, um
ihren Durſt zu löſchen, eine Lache auf dem kahlen, ſtaubigten
Boden, bald flüchten ſie ſich vor den Waſſern der austretenden
1 Vultur aura.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/13>, abgerufen am 16.07.2024.
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