ersteren ist rauher, kürzer, leidenschaftlicher; beim zweiten ist sie sanfter, weitschweifiger und reicher an abgeleiteten Aus- drücken.
In der Mission Atures, wie in den meisten Missionen am Orinoko zwischen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volks- stämmen nebeneinander; man trifft daselbst Indianer aus den Wäldern und früher nomadische Indianer (Indios mon- teros und Indios andantes oder llaneros). Wir besuchten mit dem Missionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. Im ersteren zeigt sich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlstand. Die unabhängigen Macos (Wilde möchte ich sie nicht nennen) haben ihre Rochelas oder festen Wohnplätze zwei bis drei Tage- reisen östlich von Atures bei den Quellen des kleinen Flusses Cataniapo. Sie sind sehr zahlreich, bauen, wie die meisten Waldindianer, keinen Mais, sondern Maniok, und leben im besten Einvernehmen mit den christlichen Indianern in der Mission. Diese Eintracht hat der Franziskaner Pater Ber- nardo Zea gestiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alkalde der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung des Missionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos besaß. Infolge dieses friedlichen Verkehres hatten sich vor einiger Zeit mehrere dieser Indios monteros in der Mission nieder- gelassen. Sie baten dringend um Messer, Fischangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbotes der Ordensleute nicht als Halsbänder, sondern zum Aufputz des Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem sie das Gewünschte erhalten, gingen sie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Mission schlecht behagte. Epidemische Fieber, wie sie bei Eintritt der Regenzeit nicht selten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahre 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures sehr stark. Dem Waldindianer wird das Leben des civilisierten Menschen zum Greuel, sobald seiner in der Mission lebenden Familie, ich will nicht sagen ein Unglück, sondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zustößt. So sah man neubekehrte Indianer wegen herrschender großer Trockenheit für immer aus den christlichen Nieder- lassungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen
erſteren iſt rauher, kürzer, leidenſchaftlicher; beim zweiten iſt ſie ſanfter, weitſchweifiger und reicher an abgeleiteten Aus- drücken.
In der Miſſion Atures, wie in den meiſten Miſſionen am Orinoko zwiſchen den Mündungen des Apure und des Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volks- ſtämmen nebeneinander; man trifft daſelbſt Indianer aus den Wäldern und früher nomadiſche Indianer (Indios mon- teros und Indios andantes oder llaneros). Wir beſuchten mit dem Miſſionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern Piraoas genannt, und der Guahibos. Im erſteren zeigt ſich mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlſtand. Die unabhängigen Macos (Wilde möchte ich ſie nicht nennen) haben ihre Rochelas oder feſten Wohnplätze zwei bis drei Tage- reiſen öſtlich von Atures bei den Quellen des kleinen Fluſſes Cataniapo. Sie ſind ſehr zahlreich, bauen, wie die meiſten Waldindianer, keinen Mais, ſondern Maniok, und leben im beſten Einvernehmen mit den chriſtlichen Indianern in der Miſſion. Dieſe Eintracht hat der Franziskaner Pater Ber- nardo Zea geſtiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alkalde der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung des Miſſionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos beſaß. Infolge dieſes friedlichen Verkehres hatten ſich vor einiger Zeit mehrere dieſer Indios monteros in der Miſſion nieder- gelaſſen. Sie baten dringend um Meſſer, Fiſchangeln und farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbotes der Ordensleute nicht als Halsbänder, ſondern zum Aufputz des Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem ſie das Gewünſchte erhalten, gingen ſie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht in der Miſſion ſchlecht behagte. Epidemiſche Fieber, wie ſie bei Eintritt der Regenzeit nicht ſelten heftig auftreten, trugen viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahre 1799 war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und im Raudal von Atures ſehr ſtark. Dem Waldindianer wird das Leben des civiliſierten Menſchen zum Greuel, ſobald ſeiner in der Miſſion lebenden Familie, ich will nicht ſagen ein Unglück, ſondern nur unerwartet irgend etwas Widriges zuſtößt. So ſah man neubekehrte Indianer wegen herrſchender großer Trockenheit für immer aus den chriſtlichen Nieder- laſſungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen
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erſteren iſt rauher, kürzer, leidenſchaftlicher; beim zweiten iſt
ſie ſanfter, weitſchweifiger und reicher an abgeleiteten Aus-
drücken.
In der Miſſion Atures, wie in den meiſten Miſſionen
am Orinoko zwiſchen den Mündungen des Apure und des
Atabapo, leben die eben erwähnten beiden Arten von Volks-
ſtämmen nebeneinander; man trifft daſelbſt Indianer aus
den Wäldern und früher nomadiſche Indianer (Indios mon-
teros und Indios andantes oder llaneros). Wir beſuchten
mit dem Miſſionär die Hütten der Macos, bei den Spaniern
Piraoas genannt, und der Guahibos. Im erſteren zeigt ſich
mehr Sinn für Ordnung, mehr Reinlichkeit und Wohlſtand.
Die unabhängigen Macos (Wilde möchte ich ſie nicht nennen)
haben ihre Rochelas oder feſten Wohnplätze zwei bis drei Tage-
reiſen öſtlich von Atures bei den Quellen des kleinen Fluſſes
Cataniapo. Sie ſind ſehr zahlreich, bauen, wie die meiſten
Waldindianer, keinen Mais, ſondern Maniok, und leben im
beſten Einvernehmen mit den chriſtlichen Indianern in der
Miſſion. Dieſe Eintracht hat der Franziskaner Pater Ber-
nardo Zea geſtiftet und durch Klugheit erhalten. Der Alkalde
der unterworfenen Macos verließ mit der Genehmigung
des Miſſionärs jedes Jahr das Dorf Atures, um ein paar
Monate auf den Pflanzungen zuzubringen, die er mitten in
den Wäldern beim Dorfe der unabhängigen Macos beſaß.
Infolge dieſes friedlichen Verkehres hatten ſich vor einiger
Zeit mehrere dieſer Indios monteros in der Miſſion nieder-
gelaſſen. Sie baten dringend um Meſſer, Fiſchangeln und
farbige Glasperlen, die trotz des ausdrücklichen Verbotes der
Ordensleute nicht als Halsbänder, ſondern zum Aufputz des
Guayuco (Gürtels) dienen. Nachdem ſie das Gewünſchte
erhalten, gingen ſie in die Wälder zurück, da ihnen die Zucht
in der Miſſion ſchlecht behagte. Epidemiſche Fieber, wie ſie
bei Eintritt der Regenzeit nicht ſelten heftig auftreten, trugen
viel zu der unerwarteten Ausreißerei bei. Im Jahre 1799
war die Sterblichkeit in Carichana, am Ufer des Meta und
im Raudal von Atures ſehr ſtark. Dem Waldindianer
wird das Leben des civiliſierten Menſchen zum Greuel, ſobald
ſeiner in der Miſſion lebenden Familie, ich will nicht ſagen
ein Unglück, ſondern nur unerwartet irgend etwas Widriges
zuſtößt. So ſah man neubekehrte Indianer wegen herrſchender
großer Trockenheit für immer aus den chriſtlichen Nieder-
laſſungen fortlaufen, als ob das Unheil ihre Pflanzungen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/115>, abgerufen am 16.07.2024.
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