auf seiner Fahrt gekommen war, 1 und stiegen wieder aus. Unser Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, seit zwei Jahren bestehenden Mission San Borja die Messe lesen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; sie wollten ihn nicht einmal kosten. Die Gesichter der jungen Mädchen waren alle mit runden schwarzen Tupfen bemalt; dieselben nahmen sich aus wie die Schönpflästerchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht be- malt. Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu ver- stehen, sie seien wie wir. Sie sind meist ziemlich schlank gewachsen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoko in der Gesichtsbildung miteinander haben. Ihr Blick ist düster, trübselig, aber weder streng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den christlichen Religionsgebräuchen (der Missionär von Carichana liest in San Borja nur drei- oder viermal im Jahre Messe); dennoch benahmen sie sich in der Kirche durchaus anständig. Die Indianer lieben es, sich ein Ansehen zu geben; gern dulden sie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn sie nur wissen, daß man auf sie sieht. Bei der Kommunion machten sie einander Zeichen, daß jetzt der Priester den Kelch zum Munde führen werde. Diese Gebärde ausgenommen, saßen sie da, ohne sich zu rühren, völlig teilnahmlos.
Die Teilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht schuld daran, daß die Mission einging. Einige derselben, die lieber umherzogen, als das Land bauten, beredeten die anderen, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; sie sagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und sie dann in ihren Kanoen fort- schleppen und in Angostura als Poitos, als Sklaven ver- kaufen. Die Guahibos warteten, bis sie hörten, daß wir
1 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren sein. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4' der Breite, was um 5° 10' zu wenig ist.
A. v. Humboldt, Reise. III. 7
auf ſeiner Fahrt gekommen war, 1 und ſtiegen wieder aus. Unſer Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, ſeit zwei Jahren beſtehenden Miſſion San Borja die Meſſe leſen. Wir fanden daſelbſt ſechs von noch nicht katechiſierten Guahibos bewohnte Häuſer. Sie unterſchieden ſich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen ſchwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Miſſionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; ſie wollten ihn nicht einmal koſten. Die Geſichter der jungen Mädchen waren alle mit runden ſchwarzen Tupfen bemalt; dieſelben nahmen ſich aus wie die Schönpfläſterchen, mit denen früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht be- malt. Mehrere hatten einen Bart; ſie ſchienen ſtolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu ver- ſtehen, ſie ſeien wie wir. Sie ſind meiſt ziemlich ſchlank gewachſen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am Orinoko in der Geſichtsbildung miteinander haben. Ihr Blick iſt düſter, trübſelig, aber weder ſtreng noch wild. Sie haben keinen Begriff von den chriſtlichen Religionsgebräuchen (der Miſſionär von Carichana lieſt in San Borja nur drei- oder viermal im Jahre Meſſe); dennoch benahmen ſie ſich in der Kirche durchaus anſtändig. Die Indianer lieben es, ſich ein Anſehen zu geben; gern dulden ſie eine Weile Zwang und Unterwürfigkeit aller Art, wenn ſie nur wiſſen, daß man auf ſie ſieht. Bei der Kommunion machten ſie einander Zeichen, daß jetzt der Prieſter den Kelch zum Munde führen werde. Dieſe Gebärde ausgenommen, ſaßen ſie da, ohne ſich zu rühren, völlig teilnahmlos.
Die Teilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet hatten, war vielleicht ſchuld daran, daß die Miſſion einging. Einige derſelben, die lieber umherzogen, als das Land bauten, beredeten die anderen, wieder auf die Ebenen am Meta zu ziehen; ſie ſagten ihnen, die Weißen würden wieder nach San Borja kommen und ſie dann in ihren Kanoen fort- ſchleppen und in Angoſtura als Poitos, als Sklaven ver- kaufen. Die Guahibos warteten, bis ſie hörten, daß wir
1 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren ſein. Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4′ der Breite, was um 5° 10′ zu wenig iſt.
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 7
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auf ſeiner Fahrt gekommen war, 1 und ſtiegen wieder aus.
Unſer Begleiter, Pater Zea, wollte in der neuen, ſeit zwei
Jahren beſtehenden Miſſion San Borja die Meſſe leſen. Wir
fanden daſelbſt ſechs von noch nicht katechiſierten Guahibos
bewohnte Häuſer. Sie unterſchieden ſich in nichts von den
wilden Indianern. Ihre ziemlich großen ſchwarzen Augen
verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen
Miſſionen. Vergeblich boten wir ihnen Branntwein an; ſie
wollten ihn nicht einmal koſten. Die Geſichter der jungen
Mädchen waren alle mit runden ſchwarzen Tupfen bemalt;
dieſelben nahmen ſich aus wie die Schönpfläſterchen, mit denen
früher die Weiber in Europa die Weiße ihrer Haut zu heben
meinten. Am übrigen Körper waren die Guahibos nicht be-
malt. Mehrere hatten einen Bart; ſie ſchienen ſtolz darauf,
faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu ver-
ſtehen, ſie ſeien wie wir. Sie ſind meiſt ziemlich ſchlank
gewachſen. Auch hier, wie bei den Salivas und Macos, fiel
mir wieder auf, wie wenig Aehnlichkeit die Indianer am
Orinoko in der Geſichtsbildung miteinander haben. Ihr Blick
iſt düſter, trübſelig, aber weder ſtreng noch wild. Sie haben
keinen Begriff von den chriſtlichen Religionsgebräuchen (der
Miſſionär von Carichana lieſt in San Borja nur drei- oder
viermal im Jahre Meſſe); dennoch benahmen ſie ſich in der
Kirche durchaus anſtändig. Die Indianer lieben es, ſich ein
Anſehen zu geben; gern dulden ſie eine Weile Zwang und
Unterwürfigkeit aller Art, wenn ſie nur wiſſen, daß man auf
ſie ſieht. Bei der Kommunion machten ſie einander Zeichen,
daß jetzt der Prieſter den Kelch zum Munde führen werde.
Dieſe Gebärde ausgenommen, ſaßen ſie da, ohne ſich zu rühren,
völlig teilnahmlos.
Die Teilnahme, mit der wir die armen Wilden betrachtet
hatten, war vielleicht ſchuld daran, daß die Miſſion einging.
Einige derſelben, die lieber umherzogen, als das Land bauten,
beredeten die anderen, wieder auf die Ebenen am Meta zu
ziehen; ſie ſagten ihnen, die Weißen würden wieder nach
San Borja kommen und ſie dann in ihren Kanoen fort-
ſchleppen und in Angoſtura als Poitos, als Sklaven ver-
kaufen. Die Guahibos warteten, bis ſie hörten, daß wir
1 Und doch will Gumilla auf dem Guaviare gefahren ſein.
Nach ihm liegt der Raudal de Tabaje unter 1° 4′ der Breite,
was um 5° 10′ zu wenig iſt.
A. v. Humboldt, Reiſe. III. 7
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/105>, abgerufen am 16.07.2024.
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