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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwischen Terra
Firma und der südlichsten der Pirituinseln. Da dieselben
sehr niedrig sind, so ist ihre Nordspitze von den Schiffern,
die in diesen Strichen dem Lande zufahren, sehr gefürchtet.
Als wir uns westlich vom Morro von Barcelona und der
Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das
bisher sehr still gewesen, immer unruhiger, je näher wir Kap
Codera kamen. Der Einfluß dieses großen Vorgebirges ist
in diesem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar.
Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt
davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera
herumkommt. Jenseits dieses Kaps ist die See beständig so
unruhig, daß man nicht mehr an der Küste zu sein glaubt,
wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge
San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß
der Wellen wurde auf unserem Fahrzeuge schwer empfunden.
Meine Reisegefährten litten sehr; ich aber schlief ganz ruhig,
da ich, ein ziemlich seltenes Glück, nie seekrank werde. Es
windete stark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am
20. November waren wir so weit, daß wir hoffen konnten,
das Kap in wenigen Stunden zu umschiffen, und wir ge-
dachten noch am selben Tage nach Guayra zu kommen; aber
unser Schiffer bekam wieder Angst vor den Kapern, die dort
vor dem Hafen lagen. Es schien ihm geraten, sich ans Land
zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir schon
hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten,
um die Ueberfahrt fortzusetzen. Wenn man Leuten, die see-
krank sind, vom Landen spricht, so weiß man zum voraus,
wofür sie stimmen. Alle Vorstellungen halfen nichts, man
mußte nachgeben, und schon um 9 Uhr morgens am 20. No-
vember lagen wir auf der Reede in der Bucht von Higuerote,
westwärts von der Mündung des Rio Capaya.

Wir fanden daselbst weder Dorf noch Hof, nur zwei
oder drei von armen Fischern, Mestizen, bewohnte Hütten.
Ihre gelbe Gesichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der
Kinder mahnten daran, daß diese Gegend eine der ungesün-
desten, den Fiebern am meisten unterworfenen auf der ganzen
Küste ist. Die See ist hier so seicht, daß man in der kleinsten
Barke nicht landen kann, ohne durch das Wasser zu gehen.
Die Wälder ziehen sich bis zum Strande herunter, und diesen
überzieht ein dichtes Buschwerk von sogenannten Wurzel-
trägern, Avicennien, Manschenillbäumen und der neuen Art

Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwiſchen Terra
Firma und der ſüdlichſten der Pirituinſeln. Da dieſelben
ſehr niedrig ſind, ſo iſt ihre Nordſpitze von den Schiffern,
die in dieſen Strichen dem Lande zufahren, ſehr gefürchtet.
Als wir uns weſtlich vom Morro von Barcelona und der
Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das
bisher ſehr ſtill geweſen, immer unruhiger, je näher wir Kap
Codera kamen. Der Einfluß dieſes großen Vorgebirges iſt
in dieſem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar.
Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt
davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera
herumkommt. Jenſeits dieſes Kaps iſt die See beſtändig ſo
unruhig, daß man nicht mehr an der Küſte zu ſein glaubt,
wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge
San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß
der Wellen wurde auf unſerem Fahrzeuge ſchwer empfunden.
Meine Reiſegefährten litten ſehr; ich aber ſchlief ganz ruhig,
da ich, ein ziemlich ſeltenes Glück, nie ſeekrank werde. Es
windete ſtark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am
20. November waren wir ſo weit, daß wir hoffen konnten,
das Kap in wenigen Stunden zu umſchiffen, und wir ge-
dachten noch am ſelben Tage nach Guayra zu kommen; aber
unſer Schiffer bekam wieder Angſt vor den Kapern, die dort
vor dem Hafen lagen. Es ſchien ihm geraten, ſich ans Land
zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir ſchon
hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten,
um die Ueberfahrt fortzuſetzen. Wenn man Leuten, die ſee-
krank ſind, vom Landen ſpricht, ſo weiß man zum voraus,
wofür ſie ſtimmen. Alle Vorſtellungen halfen nichts, man
mußte nachgeben, und ſchon um 9 Uhr morgens am 20. No-
vember lagen wir auf der Reede in der Bucht von Higuerote,
weſtwärts von der Mündung des Rio Capaya.

Wir fanden daſelbſt weder Dorf noch Hof, nur zwei
oder drei von armen Fiſchern, Meſtizen, bewohnte Hütten.
Ihre gelbe Geſichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der
Kinder mahnten daran, daß dieſe Gegend eine der ungeſün-
deſten, den Fiebern am meiſten unterworfenen auf der ganzen
Küſte iſt. Die See iſt hier ſo ſeicht, daß man in der kleinſten
Barke nicht landen kann, ohne durch das Waſſer zu gehen.
Die Wälder ziehen ſich bis zum Strande herunter, und dieſen
überzieht ein dichtes Buſchwerk von ſogenannten Wurzel-
trägern, Avicennien, Manſchenillbäumen und der neuen Art

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[71/0079] Schiffe mit bedeutendem Tiefgang fahren zwiſchen Terra Firma und der ſüdlichſten der Pirituinſeln. Da dieſelben ſehr niedrig ſind, ſo iſt ihre Nordſpitze von den Schiffern, die in dieſen Strichen dem Lande zufahren, ſehr gefürchtet. Als wir uns weſtlich vom Morro von Barcelona und der Mündung des Rio Unare befanden, wurde das Meer, das bisher ſehr ſtill geweſen, immer unruhiger, je näher wir Kap Codera kamen. Der Einfluß dieſes großen Vorgebirges iſt in dieſem Striche des Meeres der Antillen weithin fühlbar. Die Dauer der Ueberfahrt von Cumana nach Guayra hängt davon ab, ob man mehr oder weniger leicht um Cabo Codera herumkommt. Jenſeits dieſes Kaps iſt die See beſtändig ſo unruhig, daß man nicht mehr an der Küſte zu ſein glaubt, wo man (von der Spitze von Paria bis zum Vorgebirge San Romano) gar nichts von Stürmen weiß. Der Stoß der Wellen wurde auf unſerem Fahrzeuge ſchwer empfunden. Meine Reiſegefährten litten ſehr; ich aber ſchlief ganz ruhig, da ich, ein ziemlich ſeltenes Glück, nie ſeekrank werde. Es windete ſtark die Nacht über. Bei Sonnenaufgang am 20. November waren wir ſo weit, daß wir hoffen konnten, das Kap in wenigen Stunden zu umſchiffen, und wir ge- dachten noch am ſelben Tage nach Guayra zu kommen; aber unſer Schiffer bekam wieder Angſt vor den Kapern, die dort vor dem Hafen lagen. Es ſchien ihm geraten, ſich ans Land zu machen, im kleinen Hafen Higuerote, über den wir ſchon hinaus waren, vor Anker zu gehen und die Nacht abzuwarten, um die Ueberfahrt fortzuſetzen. Wenn man Leuten, die ſee- krank ſind, vom Landen ſpricht, ſo weiß man zum voraus, wofür ſie ſtimmen. Alle Vorſtellungen halfen nichts, man mußte nachgeben, und ſchon um 9 Uhr morgens am 20. No- vember lagen wir auf der Reede in der Bucht von Higuerote, weſtwärts von der Mündung des Rio Capaya. Wir fanden daſelbſt weder Dorf noch Hof, nur zwei oder drei von armen Fiſchern, Meſtizen, bewohnte Hütten. Ihre gelbe Geſichtsfarbe und die auffallende Magerkeit der Kinder mahnten daran, daß dieſe Gegend eine der ungeſün- deſten, den Fiebern am meiſten unterworfenen auf der ganzen Küſte iſt. Die See iſt hier ſo ſeicht, daß man in der kleinſten Barke nicht landen kann, ohne durch das Waſſer zu gehen. Die Wälder ziehen ſich bis zum Strande herunter, und dieſen überzieht ein dichtes Buſchwerk von ſogenannten Wurzel- trägern, Avicennien, Manſchenillbäumen und der neuen Art

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/79>, abgerufen am 24.11.2024.