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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Sturm ein, dem ein elektrischer Regen mit großen Tropfen
folgte. Ich beobachtete sogleich die Elektrizität der Luft mit
dem Voltaschen Elektrometer. Die Kügelchen wichen 8,88 mm
auseinander; die Elektrizität wechselte oft zwischen positiv und
negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa
zuweilen selbst bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und
auf den Sturm folgte eine Windstille, welche die ganze Nacht
anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauspiel von seltener
Pracht. Der dicke Wolkenschleier zerriß dicht am Horizont
wie zu Fetzen, und die Sonne erschien 12° hoch auf indigo-
blauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein stark in die
Breite gezogen, verschoben und am Rande ausgeschweift. Die
Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den schönsten
Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels aus-
einander. Auf dem großen Platze war viel Volk versammelt.
Letztere Erscheinung, das Erdbeben, der Donnerschlag während
desselben, der rote Nebel seit so vielen Tagen, alles wurde
der Sonnenfinsternis zugeschrieben.

Gegen 9 Uhr abends erfolgte ein dritter Erdstoß, weit
schwächer als die ersten, aber begleitet von einem deutlich
vernehmbaren unterirdischen Geräusch. Der Barometer stand
ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der
stündlichen Schwankungen oder der kleinen atmosphärischen
Ebbe und Flut wurde durchaus nicht unterbrochen. Das
Quecksilber stand im Moment, wo der Erdstoß eintrat, eben
auf dem Minimum der Höhe; es stieg wieder bis 11 Uhr
abends und fiel dann wieder bis 4 1/2 Uhr morgens, voll-
kommen entsprechend dem Gesetze der barometrischen Schwan-
kungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der
rötlichte Nebel so dick, daß ich den Ort, wo der Mond
stand, nur an einem schönen Hofe von 12° Durchmesser er-
kennen konnte.

Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verflossen, seit
die Stadt Cumana durch ein Erdbeben fast gänzlich zerstört
worden. Das Volk sieht die Nebel, welche den Horizont um-
ziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei Nacht für
sichere schlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Besuche,
die sich erkundigten, ob unsere Instrumente neue Stöße für
den anderen Tag anzeigten. Besonders groß und allgemein
wurde die Unruhe, als am 5. November, zur selben Stunde
wie tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donner-
schlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ sich

Sturm ein, dem ein elektriſcher Regen mit großen Tropfen
folgte. Ich beobachtete ſogleich die Elektrizität der Luft mit
dem Voltaſchen Elektrometer. Die Kügelchen wichen 8,88 mm
auseinander; die Elektrizität wechſelte oft zwiſchen poſitiv und
negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa
zuweilen ſelbſt bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und
auf den Sturm folgte eine Windſtille, welche die ganze Nacht
anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauſpiel von ſeltener
Pracht. Der dicke Wolkenſchleier zerriß dicht am Horizont
wie zu Fetzen, und die Sonne erſchien 12° hoch auf indigo-
blauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein ſtark in die
Breite gezogen, verſchoben und am Rande ausgeſchweift. Die
Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den ſchönſten
Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels aus-
einander. Auf dem großen Platze war viel Volk verſammelt.
Letztere Erſcheinung, das Erdbeben, der Donnerſchlag während
desſelben, der rote Nebel ſeit ſo vielen Tagen, alles wurde
der Sonnenfinſternis zugeſchrieben.

Gegen 9 Uhr abends erfolgte ein dritter Erdſtoß, weit
ſchwächer als die erſten, aber begleitet von einem deutlich
vernehmbaren unterirdiſchen Geräuſch. Der Barometer ſtand
ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der
ſtündlichen Schwankungen oder der kleinen atmoſphäriſchen
Ebbe und Flut wurde durchaus nicht unterbrochen. Das
Queckſilber ſtand im Moment, wo der Erdſtoß eintrat, eben
auf dem Minimum der Höhe; es ſtieg wieder bis 11 Uhr
abends und fiel dann wieder bis 4 ½ Uhr morgens, voll-
kommen entſprechend dem Geſetze der barometriſchen Schwan-
kungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der
rötlichte Nebel ſo dick, daß ich den Ort, wo der Mond
ſtand, nur an einem ſchönen Hofe von 12° Durchmeſſer er-
kennen konnte.

Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verfloſſen, ſeit
die Stadt Cumana durch ein Erdbeben faſt gänzlich zerſtört
worden. Das Volk ſieht die Nebel, welche den Horizont um-
ziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei Nacht für
ſichere ſchlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Beſuche,
die ſich erkundigten, ob unſere Inſtrumente neue Stöße für
den anderen Tag anzeigten. Beſonders groß und allgemein
wurde die Unruhe, als am 5. November, zur ſelben Stunde
wie tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donner-
ſchlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ ſich

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[48/0056] Sturm ein, dem ein elektriſcher Regen mit großen Tropfen folgte. Ich beobachtete ſogleich die Elektrizität der Luft mit dem Voltaſchen Elektrometer. Die Kügelchen wichen 8,88 mm auseinander; die Elektrizität wechſelte oft zwiſchen poſitiv und negativ, wie immer bei Gewittern und im nördlichen Europa zuweilen ſelbſt bei Schneefall. Der Himmel blieb bedeckt und auf den Sturm folgte eine Windſtille, welche die ganze Nacht anhielt. Der Sonnenuntergang bot ein Schauſpiel von ſeltener Pracht. Der dicke Wolkenſchleier zerriß dicht am Horizont wie zu Fetzen, und die Sonne erſchien 12° hoch auf indigo- blauem Grunde. Ihre Scheibe war ungemein ſtark in die Breite gezogen, verſchoben und am Rande ausgeſchweift. Die Wolken waren vergoldet und Strahlenbündel in den ſchönſten Regenbogenfarben liefen bis zur Mitte des Himmels aus- einander. Auf dem großen Platze war viel Volk verſammelt. Letztere Erſcheinung, das Erdbeben, der Donnerſchlag während desſelben, der rote Nebel ſeit ſo vielen Tagen, alles wurde der Sonnenfinſternis zugeſchrieben. Gegen 9 Uhr abends erfolgte ein dritter Erdſtoß, weit ſchwächer als die erſten, aber begleitet von einem deutlich vernehmbaren unterirdiſchen Geräuſch. Der Barometer ſtand ein klein wenig tiefer als gewöhnlich, aber der Gang der ſtündlichen Schwankungen oder der kleinen atmoſphäriſchen Ebbe und Flut wurde durchaus nicht unterbrochen. Das Queckſilber ſtand im Moment, wo der Erdſtoß eintrat, eben auf dem Minimum der Höhe; es ſtieg wieder bis 11 Uhr abends und fiel dann wieder bis 4 ½ Uhr morgens, voll- kommen entſprechend dem Geſetze der barometriſchen Schwan- kungen. In der Nacht vom 3. zum 4. November war der rötlichte Nebel ſo dick, daß ich den Ort, wo der Mond ſtand, nur an einem ſchönen Hofe von 12° Durchmeſſer er- kennen konnte. Es waren kaum zweiundzwanzig Monate verfloſſen, ſeit die Stadt Cumana durch ein Erdbeben faſt gänzlich zerſtört worden. Das Volk ſieht die Nebel, welche den Horizont um- ziehen, und das Ausbleiben des Seewindes bei Nacht für ſichere ſchlimme Vorzeichen an. Wir erhielten viele Beſuche, die ſich erkundigten, ob unſere Inſtrumente neue Stöße für den anderen Tag anzeigten. Beſonders groß und allgemein wurde die Unruhe, als am 5. November, zur ſelben Stunde wie tags zuvor, ein heftiger Sturm eintrat, dem ein Donner- ſchlag und ein paar Tropfen Regen folgten; aber es ließ ſich

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/56>, abgerufen am 22.11.2024.