Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spanischen so ge- ringe Fortschritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf-, sechs- hundert Indianern ein Weißer, ein Missionär gegenübersteht, und daß dieser alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden oder Fiskal zum Dolmetscher heranzubilden! Könnte man statt der Zucht der Missionäre die Indianer auf anderem Wege civilisieren oder vielmehr ihre Sitten sänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deshalb gebildeter zu sein), könnte man die Weißen, statt sie fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein- geborenen leben lassen, so wären die amerikanischen Sprachen bald von den europäischen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Masse neuer Vor- stellungen, welche die Früchte der Kultur sind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Missionen des südlichen Amerikas so lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes der Missionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Ansicht aus- sprechen, daß dieses Regiment nicht so leicht abzuschaffen sein wird, ein System, das sich gar wohl bedeutend verbessern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unseren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entsprechenderen erscheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr- schaft schnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge- borenen Völker dieser Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, sie kannten den Gebrauch des Geldes, sie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Kultur voraussetzen. Durch die Lockungen des Warentausches und den langen Aufenthalt der Legionen waren sie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen sehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall fast unüberwindliche Hindernisse entgegentreten, wo karthaginensische, griechische oder römische Kolonieen auf wirk- lich barbarischen Küsten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsstrichen ist Flucht der erste Gedanke des Wilden dem civilisierten Menschen gegenüber.
Die Sprache der Chaymas schien mir nicht so wohl- klingend wie das Karibische, das Salivische und andere Orinoko- sprachen. Namentlich hat sie weniger in accentuierten Vo- kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic,
Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spaniſchen ſo ge- ringe Fortſchritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf-, ſechs- hundert Indianern ein Weißer, ein Miſſionär gegenüberſteht, und daß dieſer alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden oder Fiskal zum Dolmetſcher heranzubilden! Könnte man ſtatt der Zucht der Miſſionäre die Indianer auf anderem Wege civiliſieren oder vielmehr ihre Sitten ſänftigen (denn der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne deshalb gebildeter zu ſein), könnte man die Weißen, ſtatt ſie fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein- geborenen leben laſſen, ſo wären die amerikaniſchen Sprachen bald von den europäiſchen verdrängt, und die Eingeborenen überkämen mit den letzteren die gewaltige Maſſe neuer Vor- ſtellungen, welche die Früchte der Kultur ſind. Dann brauchte man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in den Miſſionen des ſüdlichen Amerikas ſo lange aufgehalten, nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes der Miſſionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Anſicht aus- ſprechen, daß dieſes Regiment nicht ſo leicht abzuſchaffen ſein wird, ein Syſtem, das ſich gar wohl bedeutend verbeſſern läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem unſeren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entſprechenderen erſcheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr- ſchaft ſchnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge- borenen Völker dieſer Länder waren keine Wilde. Sie wohnten in Städten, ſie kannten den Gebrauch des Geldes, ſie hatten bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der Kultur vorausſetzen. Durch die Lockungen des Warentauſches und den langen Aufenthalt der Legionen waren ſie mit den Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen ſehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer überall faſt unüberwindliche Hinderniſſe entgegentreten, wo karthaginenſiſche, griechiſche oder römiſche Kolonieen auf wirk- lich barbariſchen Küſten angelegt wurden. Zu allen Zeiten und unter allen Himmelsſtrichen iſt Flucht der erſte Gedanke des Wilden dem civiliſierten Menſchen gegenüber.
Die Sprache der Chaymas ſchien mir nicht ſo wohl- klingend wie das Karibiſche, das Saliviſche und andere Orinoko- ſprachen. Namentlich hat ſie weniger in accentuierten Vo- kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic,
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Kariben, die Saliven oder Otomaken im Spaniſchen ſo ge-
ringe Fortſchritte machen, wenn man bedenkt, daß fünf-, ſechs-
hundert Indianern ein Weißer, ein Miſſionär gegenüberſteht,
und daß dieſer alle Mühe hat, einen Governador, Alkaden
oder Fiskal zum Dolmetſcher heranzubilden! Könnte man
ſtatt der Zucht der Miſſionäre die Indianer auf anderem
Wege civiliſieren oder vielmehr ihre Sitten ſänftigen (denn
der unterworfene Indianer hat weniger rohe Sitten, ohne
deshalb gebildeter zu ſein), könnte man die Weißen, ſtatt ſie
fern zu halten, in neugebildeten Gemeinden unter den Ein-
geborenen leben laſſen, ſo wären die amerikaniſchen Sprachen
bald von den europäiſchen verdrängt, und die Eingeborenen
überkämen mit den letzteren die gewaltige Maſſe neuer Vor-
ſtellungen, welche die Früchte der Kultur ſind. Dann brauchte
man allerdings keine allgemeinen Sprachen, wie die der Inka
oder das Guarani, einzuführen. Aber nachdem ich mich in
den Miſſionen des ſüdlichen Amerikas ſo lange aufgehalten,
nachdem ich die Vorzüge und die Mißbräuche des Regimentes
der Miſſionäre kennen gelernt, darf ich wohl die Anſicht aus-
ſprechen, daß dieſes Regiment nicht ſo leicht abzuſchaffen ſein
wird, ein Syſtem, das ſich gar wohl bedeutend verbeſſern
läßt und das als Vorbereitung und Uebergang zu einem
unſeren Begriffen von bürgerlicher Freiheit entſprechenderen
erſcheint. Man wird mir einwenden, die Römer haben in
Gallien, in Bätika, in der Provinz Afrika mit ihrer Herr-
ſchaft ſchnell auch ihre Sprache eingeführt, aber die einge-
borenen Völker dieſer Länder waren keine Wilde. Sie wohnten
in Städten, ſie kannten den Gebrauch des Geldes, ſie hatten
bürgerliche Einrichtungen, die eine ziemlich hohe Stufe der
Kultur vorausſetzen. Durch die Lockungen des Warentauſches
und den langen Aufenthalt der Legionen waren ſie mit den
Eroberern in unmittelbare Berührung gekommen. Dagegen
ſehen wir der Einführung der Sprachen der Mutterländer
überall faſt unüberwindliche Hinderniſſe entgegentreten, wo
karthaginenſiſche, griechiſche oder römiſche Kolonieen auf wirk-
lich barbariſchen Küſten angelegt wurden. Zu allen Zeiten
und unter allen Himmelsſtrichen iſt Flucht der erſte Gedanke
des Wilden dem civiliſierten Menſchen gegenüber.
Die Sprache der Chaymas ſchien mir nicht ſo wohl-
klingend wie das Karibiſche, das Saliviſche und andere Orinoko-
ſprachen. Namentlich hat ſie weniger in accentuierten Vo-
kalen ausklingende Endungen. Silben wie guaz, ez, puic,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/33>, abgerufen am 16.07.2024.
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