Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Ermüdung und Durst erschöpft, Augen, Nase, Mund voll Staub, In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub, In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0308" n="300"/> Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub,<lb/> der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben<lb/> ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück<lb/> hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir<lb/> brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht<lb/> wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war<lb/> anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie<lb/> beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern.<lb/> Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere<lb/> Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu<lb/> bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht<lb/> nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe<lb/> gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil<lb/> ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten<lb/> konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten<lb/> nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in<lb/> die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge-<lb/> fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani-<lb/> ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir<lb/> ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit<lb/> Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie<lb/> ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub-<lb/> wolke unſeren Blicken.</p><lb/> <p>In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in<lb/> dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte<lb/> uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es<lb/> gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus<lb/> dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche<lb/> Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 <hi rendition="#aq">km</hi> von da, im Rio<lb/> Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind.<lb/> Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab-<lb/> weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären<lb/> ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art<lb/> Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin,<lb/> einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief<lb/> mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank,<lb/> da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen<lb/> furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die<lb/> Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis<lb/> 90 <hi rendition="#aq">cm</hi> langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt<lb/> auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt<lb/> ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [300/0308]
Ermüdung und Durſt erſchöpft, Augen, Naſe, Mund voll Staub,
der Atem röchelnd; ſie konnte uns keine Antwort geben. Neben
ihr lag ein umgeworfener Krug, halb voll Sand. Zum Glück
hatten wir ein Maultier bei uns, das Waſſer trug. Wir
brachten das Mädchen zu ſich, indem wir ihr das Geſicht
wuſchen und ihr einige Tropfen Wein aufdrangen. Sie war
anfangs erſchrocken über die vielen Leute um ſie her, aber ſie
beruhigte ſich nach und nach und ſprach mit unſeren Führern.
Sie meinte, dem Stand der Sonne nach müſſe ſie mehrere
Stunden betäubt dagelegen haben. Sie war nicht dazu zu
bringen, eines unſerer Laſttiere zu beſteigen. Sie wollte nicht
nach Uritucu zurück; ſie hatte in einem Hofe in der Nähe
gedient und war von ihrer Herrſchaft verſtoßen worden, weil
ſie infolge einer langen Krankheit nicht mehr ſo viel leiſten
konnte als zuvor. Unſere Drohungen und Bitten fruchteten
nichts; für Leiden unempfindlich, wie ihre ganze Raſſe, in
die Gegenwart verſunken ohne Bangen vor künftiger Ge-
fahr, beharrte ſie auf ihrem Entſchluß, in eine der indiani-
ſchen Miſſionen um die Stadt Calabozo her zu gehen. Wir
ſchütteten den Sand aus ihrem Kruge und füllten ihn mit
Waſſer. Noch ehe wir wieder zu Pferde waren, ſetzte ſie
ihren Weg in der Steppe fort. Bald entzog ſie eine Staub-
wolke unſeren Blicken.
In der Nacht durchwateten wir den Rio Uritucu, in
dem zahlreiche, auffallend wilde Krokodile hauſen. Man warnte
uns, unſere Hunde nicht am Fluß ſaufen zu laſſen, weil es
gar nicht ſelten vorkomme, daß die Krokodile im Uritucu aus
dem Waſſer gehen und die Hunde aufs Ufer verfolgen. Solche
Keckheit fällt deſto mehr auf, da 27 km von da, im Rio
Tisnao, die Krokodile ziemlich ſchüchtern und unſchädlich ſind.
Die Sitten der Tiere einer und derſelben Art zeigen Ab-
weichungen nach örtlichen Einflüſſen, die ſchwer aufzuklären
ſind. Man zeigte uns eine Hütte oder vielmehr eine Art
Schuppen, wo unſer Wirt in Calabozo, Don Miguel Couſin,
einen höchſt merkwürdigen Auftritt erlebt hatte. Er ſchlief
mit einem Freunde auf einer mit Leder überzogenen Bank,
da wird er frühmorgens durch heftige Stöße und einen
furchtbaren Lärm aufgeſchreckt. Erdſchollen werden in die
Hütte geſchleudert. Nicht lange, ſo kommt ein junges 60 bis
90 cm langes Krokodil unter der Schlafſtätte hervor, fährt
auf einen Hund los, der auf der Thürſchwelle lag, verfehlt
ihn im ungeſtümen Lauf, eilt dem Ufer zu und entkommt in
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