Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.umherschweifenden Leben entsagten, die kultivierten Völker Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde gewesen und ver- 1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca.
Er teilte die oberste Gewalt mit dem Hohenpriester (Lama) von Iraca. umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver- 1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca.
Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von Iraca. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0288" n="280"/> umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker<lb/> von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka<lb/> und des Zaque <note place="foot" n="1">Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca.<lb/> Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von<lb/> Iraca.</note> umſtürzten und an die Stelle des Deſpo-<lb/> tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus<lb/> ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker<lb/> mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe<lb/> großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht,<lb/> und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die<lb/> aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die<lb/> reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich<lb/> iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das<lb/> Mittelglied zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern<lb/> fehlte.</p><lb/> <p>Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die<lb/> Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten<lb/> gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen<lb/> Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch<lb/> ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber<lb/> mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani-<lb/> ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der<lb/> Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas<lb/> begleiten.</p><lb/> <p>Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver-<lb/> geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die<lb/> Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen<lb/> Hofe „El Cayman“, auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies<lb/> ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der<lb/> Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte<lb/> Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein-<lb/> gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren<lb/> Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis<lb/> zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu<lb/> Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be-<lb/> halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des<lb/> Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was<lb/> noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far-<lb/> bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [280/0288]
umherſchweifenden Leben entſagten, die kultivierten Völker
von Peru und Neugranada unterjochten, den Thron der Inka
und des Zaque 1 umſtürzten und an die Stelle des Deſpo-
tismus, wie er aus der Theokratie fließt, den Deſpotismus
ſetzten, wie ihn das patriarchaliſche Regiment der Hirtenvölker
mit ſich bringt. Die Menſchheit der Neuen Welt hat dieſe
großen moraliſchen und politiſchen Wechſel nicht durchgemacht,
und zwar weil die Steppen, obgleich fruchtbarer als die
aſiatiſchen, ohne Herden waren, weil keines der Tiere, die
reichliche Milch geben, den Ebenen Südamerikas eigentümlich
iſt, und weil in der Entwickelung amerikaniſcher Kultur das
Mittelglied zwiſchen Jägervölkern und ackerbauenden Völkern
fehlte.
Die hier mitgeteilten allgemeinen Bemerkungen über die
Ebenen des neuen Kontinentes und ihre Eigentümlichkeiten
gegenüber den Wüſten Afrikas und den fruchtbaren Steppen
Aſiens ſchienen mir geeignet, den Bericht einer Reiſe durch
ſo einförmige Landſtriche anziehender zu machen. Jetzt aber
mag mich der Leſer auf unſerem Wege von den vulkani-
ſchen Bergen von Parapara und dem nördlichen Saum der
Llanos zu den Ufern des Apure in der Provinz Varinas
begleiten.
Nachdem wir zwei Nächte zu Pferde geweſen und ver-
geblich unter Gebüſch von Murichipalmen Schutz gegen die
Sonnenglut geſucht hatten, kamen wir vor Nacht zum kleinen
Hofe „El Cayman“, auch la Guadelupe genannt. Es iſt dies
ein Hato de Ganado, das heißt ein einſames Haus in der
Steppe, umher ein paar kleine mit Rohr und Häuten bedeckte
Hütten. Das Vieh, Rinder, Pferde, Maultiere, iſt nicht ein-
gepfercht; es läuft frei auf einem Flächenraum von mehreren
Quadratmeilen. Nirgends iſt eine Umzäunung. Männer, bis
zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, ſtreifen zu
Pferd über die Savannen, um die Herden im Auge zu be-
halten, zurückzutreiben, was ſich zu weit von den Weiden des
Hofes verläuft, mit dem glühenden Eiſen zu zeichnen, was
noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Dieſe Far-
bigen, Peones Llaneros genannt, ſind zum Teil Freie oder
1 Der Zaque war das weltliche Oberhaupt von Cundinamarca.
Er teilte die oberſte Gewalt mit dem Hohenprieſter (Lama) von
Iraca.
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