Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.Kindern. Es ist, als sähe man einen Hirten, der die Milch Ich habe den Eindruck geschildert, den der Kuhbaum auf Lange bevor die Chemie im Blütenstaube, im Eiweiß der 1 Ceroxylon andicola.
Kindern. Es iſt, als ſähe man einen Hirten, der die Milch Ich habe den Eindruck geſchildert, den der Kuhbaum auf Lange bevor die Chemie im Blütenſtaube, im Eiweiß der 1 Ceroxylon andicola.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0251" n="243"/> Kindern. Es iſt, als ſähe man einen Hirten, der die Milch<lb/> ſeiner Herde unter die Seinigen verteilt.</p><lb/> <p>Ich habe den Eindruck geſchildert, den der Kuhbaum auf<lb/> die Einbildungskraft des Reiſenden macht, wenn er ihn zum<lb/> erſtenmal ſieht. Die wiſſenſchaftliche Unterſuchung zeigt, daß<lb/> die phyſiſchen Eigenſchaften der tieriſchen und der vegetabi-<lb/> liſchen Stoffe im engſten Zuſammenhange ſtehen; aber ſie<lb/> benimmt dem Gegenſtande, der uns in Erſtaunen ſetzte, den<lb/> Anſtrich des Wunderbaren, ſie entkleidet ihn wohl auch zum<lb/> Teil ſeines Reizes. Nichts ſteht für ſich allein da; chemiſche<lb/> Grundſtoffe, die, wie man glaubte, nur den Tieren zukommen,<lb/> finden ſich in den Gewächſen gleichfalls. Ein gemeinſames<lb/> Band umſchlingt die ganze organiſche Natur.</p><lb/> <p>Lange bevor die Chemie im Blütenſtaube, im Eiweiß der<lb/> Blätter und im weißlichen Anfluge unſerer Pflaumen und<lb/> Trauben kleine Wachsteilchen entdeckte, verfertigten die Be-<lb/> wohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der dicken Wachs-<lb/> ſchicht, welche den Stamm einer Palme überzieht. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Ceroxylon andicola.</hi></note> Vor<lb/> wenigen Jahren wurde in Europa das <hi rendition="#g">Caſeum</hi>, der Grund-<lb/> ſtoff des Käſes, in der Mandelmilch entdeckt; aber ſeit Jahr-<lb/> hunderten gilt in den Gebirgen an der Küſte von Venezuela<lb/> die Milch eines Baumes und der Käſe, der ſich in dieſer<lb/> vegetabiliſchen Milch abſondert, für ein geſundes Nahrungs-<lb/> mittel. Woher rührt dieſer ſeltſame Gang in der Entwicke-<lb/> lung unſerer Kenntniſſe? Wie konnte das Volk in der einen<lb/> Halbkugel auf etwas kommen, was in der anderen dem Scharf-<lb/> blick der Scheidekünſtler, die doch gewöhnt ſind, die Natur<lb/> zu befragen und ſie auf ihrem geheimnisvollen Gange zu be-<lb/> lauſchen, ſo lange entgangen iſt? Daher, daß einige wenige<lb/> Elemente und verſchiedenartig zuſammengeſetzte Grundſtoffe<lb/> in mehreren Pflanzenfamilien vorkommen; daher, daß die<lb/> Gattungen und Arten dieſer natürlichen Familien nicht über<lb/> die tropiſchen und die kalten und gemäßigten Himmelsſtriche<lb/> gleich verteilt ſind; daher, daß Völker, die faſt ganz von<lb/> Pflanzenſtoffen leben, vom Bedürfnis getrieben, mehlige näh-<lb/> rende Stoffe überall finden, wo ſie nur die Natur im Pflan-<lb/> zenſaft, in Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat.<lb/> Das Stärkemehl, das ſich am reinſten in den Getreidekörnern<lb/> findet, iſt in den Wurzeln der Arumarten, der <hi rendition="#aq">Tacca pinna-<lb/> tifida</hi> und der <hi rendition="#aq">Jatropha Manihot</hi> mit einem ſcharfen, zu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [243/0251]
Kindern. Es iſt, als ſähe man einen Hirten, der die Milch
ſeiner Herde unter die Seinigen verteilt.
Ich habe den Eindruck geſchildert, den der Kuhbaum auf
die Einbildungskraft des Reiſenden macht, wenn er ihn zum
erſtenmal ſieht. Die wiſſenſchaftliche Unterſuchung zeigt, daß
die phyſiſchen Eigenſchaften der tieriſchen und der vegetabi-
liſchen Stoffe im engſten Zuſammenhange ſtehen; aber ſie
benimmt dem Gegenſtande, der uns in Erſtaunen ſetzte, den
Anſtrich des Wunderbaren, ſie entkleidet ihn wohl auch zum
Teil ſeines Reizes. Nichts ſteht für ſich allein da; chemiſche
Grundſtoffe, die, wie man glaubte, nur den Tieren zukommen,
finden ſich in den Gewächſen gleichfalls. Ein gemeinſames
Band umſchlingt die ganze organiſche Natur.
Lange bevor die Chemie im Blütenſtaube, im Eiweiß der
Blätter und im weißlichen Anfluge unſerer Pflaumen und
Trauben kleine Wachsteilchen entdeckte, verfertigten die Be-
wohner der Anden von Quindiu Kerzen aus der dicken Wachs-
ſchicht, welche den Stamm einer Palme überzieht. 1 Vor
wenigen Jahren wurde in Europa das Caſeum, der Grund-
ſtoff des Käſes, in der Mandelmilch entdeckt; aber ſeit Jahr-
hunderten gilt in den Gebirgen an der Küſte von Venezuela
die Milch eines Baumes und der Käſe, der ſich in dieſer
vegetabiliſchen Milch abſondert, für ein geſundes Nahrungs-
mittel. Woher rührt dieſer ſeltſame Gang in der Entwicke-
lung unſerer Kenntniſſe? Wie konnte das Volk in der einen
Halbkugel auf etwas kommen, was in der anderen dem Scharf-
blick der Scheidekünſtler, die doch gewöhnt ſind, die Natur
zu befragen und ſie auf ihrem geheimnisvollen Gange zu be-
lauſchen, ſo lange entgangen iſt? Daher, daß einige wenige
Elemente und verſchiedenartig zuſammengeſetzte Grundſtoffe
in mehreren Pflanzenfamilien vorkommen; daher, daß die
Gattungen und Arten dieſer natürlichen Familien nicht über
die tropiſchen und die kalten und gemäßigten Himmelsſtriche
gleich verteilt ſind; daher, daß Völker, die faſt ganz von
Pflanzenſtoffen leben, vom Bedürfnis getrieben, mehlige näh-
rende Stoffe überall finden, wo ſie nur die Natur im Pflan-
zenſaft, in Rinden, Wurzeln oder Früchten niedergelegt hat.
Das Stärkemehl, das ſich am reinſten in den Getreidekörnern
findet, iſt in den Wurzeln der Arumarten, der Tacca pinna-
tifida und der Jatropha Manihot mit einem ſcharfen, zu-
1 Ceroxylon andicola.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |