naturgeschichtliche Bücher, meteorologische Notizen, Bälge von Jaguaren und großen Wasserschlangen, lebendige Tiere, Affen, Gürteltiere, Vögel. Unser Hausherr war Oberwundarzt am königlichen Hospital in Porto Cabello und im Lande wegen seiner tiefeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber vorteilhaft bekannt. Er hatte in sieben Jahren 600 bis 800 von dieser schrecklichen Krankheit Befallene in das Spital aufnehmen sehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche im Jahre 1793 auf der Flotte des Admirals Arizti- zabal angerichtet. Die Flotte verlor fast ein Dritteil ihrer Bemannung, weil die Matrosen fast sämtlich nicht akklimati- sierte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten. Juliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inseln gebräuchlich ist, die Kranken mit Blutlassen, gelinde abführen- den Mitteln und säuerlichen Getränken behandelt. Bei diesem Verfahren denkt man nicht daran, die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und steigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht beisammen lagen, starben damals von den weißen Kreolen 33 Prozent, von den frisch angekommenen Europäern 63 Prozent. Seit man das alte herabstimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete, Opium, Benzoe, weingeistige Ge- tränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man glaubte, sie betrage nunmehr nur 20 Prozent bei Europäern und 10 Prozent bei Kreolen, selbst dann, wenn sich schwarzes Erbrechen und Blutungen aus der Nase, den Ohren und dem Zahnfleisch einstellen und so die Krankheit in hohem Grade bösartig erscheint. Ich berichte genau, was mir damals als allgemeines Ergebnis der Beobachtungen mitgeteilt wurde; man darf aber, denke ich, bei solchen Zahlenzusammenstellungen nicht vergessen, daß, trotz der scheinbaren Uebereinstimmung, die Epidemieen mehrerer aufeinanderfolgenden Jahre voneinander abweichen, und daß man bei der Wahl zwischen stärkenden und herabstimmenden Mitteln (wenn je ein absoluter Unter- schied zwischen beiden besteht) die verschiedenen Stadien der Krankheit zu unterscheiden hat.
Die Hitze ist in Porto Cabello nicht so stark als in Guayra. Der Seewind ist stärker, häufiger, regelmäßiger; auch lehnen sich die Häuser nicht an Felsen, die bei Tag die Sonnenstrahlen absorbieren und bei Nacht die Wärme wieder von sich geben. Die Luft kann zwischen der Küste und den Bergen von Ilaria freier zirkulieren. Der Grund der Un-
naturgeſchichtliche Bücher, meteorologiſche Notizen, Bälge von Jaguaren und großen Waſſerſchlangen, lebendige Tiere, Affen, Gürteltiere, Vögel. Unſer Hausherr war Oberwundarzt am königlichen Hoſpital in Porto Cabello und im Lande wegen ſeiner tiefeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber vorteilhaft bekannt. Er hatte in ſieben Jahren 600 bis 800 von dieſer ſchrecklichen Krankheit Befallene in das Spital aufnehmen ſehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die Seuche im Jahre 1793 auf der Flotte des Admirals Arizti- zabal angerichtet. Die Flotte verlor faſt ein Dritteil ihrer Bemannung, weil die Matroſen faſt ſämtlich nicht akklimati- ſierte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten. Juliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inſeln gebräuchlich iſt, die Kranken mit Blutlaſſen, gelinde abführen- den Mitteln und ſäuerlichen Getränken behandelt. Bei dieſem Verfahren denkt man nicht daran, die Kräfte durch Reizmittel zu heben; man will beruhigen und ſteigert nur die Schwäche und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht beiſammen lagen, ſtarben damals von den weißen Kreolen 33 Prozent, von den friſch angekommenen Europäern 63 Prozent. Seit man das alte herabſtimmende Verfahren aufgegeben hatte und Reizmittel anwendete, Opium, Benzoe, weingeiſtige Ge- tränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man glaubte, ſie betrage nunmehr nur 20 Prozent bei Europäern und 10 Prozent bei Kreolen, ſelbſt dann, wenn ſich ſchwarzes Erbrechen und Blutungen aus der Naſe, den Ohren und dem Zahnfleiſch einſtellen und ſo die Krankheit in hohem Grade bösartig erſcheint. Ich berichte genau, was mir damals als allgemeines Ergebnis der Beobachtungen mitgeteilt wurde; man darf aber, denke ich, bei ſolchen Zahlenzuſammenſtellungen nicht vergeſſen, daß, trotz der ſcheinbaren Uebereinſtimmung, die Epidemieen mehrerer aufeinanderfolgenden Jahre voneinander abweichen, und daß man bei der Wahl zwiſchen ſtärkenden und herabſtimmenden Mitteln (wenn je ein abſoluter Unter- ſchied zwiſchen beiden beſteht) die verſchiedenen Stadien der Krankheit zu unterſcheiden hat.
Die Hitze iſt in Porto Cabello nicht ſo ſtark als in Guayra. Der Seewind iſt ſtärker, häufiger, regelmäßiger; auch lehnen ſich die Häuſer nicht an Felſen, die bei Tag die Sonnenſtrahlen abſorbieren und bei Nacht die Wärme wieder von ſich geben. Die Luft kann zwiſchen der Küſte und den Bergen von Ilaria freier zirkulieren. Der Grund der Un-
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naturgeſchichtliche Bücher, meteorologiſche Notizen, Bälge von
Jaguaren und großen Waſſerſchlangen, lebendige Tiere, Affen,
Gürteltiere, Vögel. Unſer Hausherr war Oberwundarzt am
königlichen Hoſpital in Porto Cabello und im Lande wegen
ſeiner tiefeingehenden Beobachtungen über das gelbe Fieber
vorteilhaft bekannt. Er hatte in ſieben Jahren 600 bis 800
von dieſer ſchrecklichen Krankheit Befallene in das Spital
aufnehmen ſehen; er war Zeuge der Verheerungen, welche die
Seuche im Jahre 1793 auf der Flotte des Admirals Arizti-
zabal angerichtet. Die Flotte verlor faſt ein Dritteil ihrer
Bemannung, weil die Matroſen faſt ſämtlich nicht akklimati-
ſierte Europäer waren und frei mit dem Lande verkehrten.
Juliac hatte früher, wie in Terra Firma und auf den Inſeln
gebräuchlich iſt, die Kranken mit Blutlaſſen, gelinde abführen-
den Mitteln und ſäuerlichen Getränken behandelt. Bei dieſem
Verfahren denkt man nicht daran, die Kräfte durch Reizmittel
zu heben; man will beruhigen und ſteigert nur die Schwäche
und Entkräftung. In den Spitälern, wo die Kranken dicht
beiſammen lagen, ſtarben damals von den weißen Kreolen
33 Prozent, von den friſch angekommenen Europäern 63 Prozent.
Seit man das alte herabſtimmende Verfahren aufgegeben hatte
und Reizmittel anwendete, Opium, Benzoe, weingeiſtige Ge-
tränke, hatte die Sterblichkeit bedeutend abgenommen. Man
glaubte, ſie betrage nunmehr nur 20 Prozent bei Europäern
und 10 Prozent bei Kreolen, ſelbſt dann, wenn ſich ſchwarzes
Erbrechen und Blutungen aus der Naſe, den Ohren und dem
Zahnfleiſch einſtellen und ſo die Krankheit in hohem Grade
bösartig erſcheint. Ich berichte genau, was mir damals als
allgemeines Ergebnis der Beobachtungen mitgeteilt wurde; man
darf aber, denke ich, bei ſolchen Zahlenzuſammenſtellungen nicht
vergeſſen, daß, trotz der ſcheinbaren Uebereinſtimmung, die
Epidemieen mehrerer aufeinanderfolgenden Jahre voneinander
abweichen, und daß man bei der Wahl zwiſchen ſtärkenden
und herabſtimmenden Mitteln (wenn je ein abſoluter Unter-
ſchied zwiſchen beiden beſteht) die verſchiedenen Stadien der
Krankheit zu unterſcheiden hat.
Die Hitze iſt in Porto Cabello nicht ſo ſtark als in
Guayra. Der Seewind iſt ſtärker, häufiger, regelmäßiger;
auch lehnen ſich die Häuſer nicht an Felſen, die bei Tag die
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von ſich geben. Die Luft kann zwiſchen der Küſte und den
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/244>, abgerufen am 17.07.2024.
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