von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchstens 74°, bei einer Temperatur von 25,5°. In dieser warmen und doch gar nicht sehr feuchten Luft ist nun aber eine ungeheure Menge verdunsteten Wassers. Nach der Daltonschen Theorie berechnet sich die Dicke der Wasserschicht, die unter den oben erwähnten Umständen in einer Stunde verdunstet, auf 0,36 mm, oder auf 8,3 mm in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B. für Paris, die mittlere Tem- peratur zu 10,6° und die mittlere Feuchtigkeit zu 82° an, so ergibt sich nach denselben Formeln 0,10 mm in der Stunde und 2,2 mm in vierundzwanzig Stunden. Will man sich statt dieses unzuverlässigen theoretischen Kalküls an die Er- gebnisse unmittelbarer Beobachtung halten, so bedenke man, daß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunstung gleich 855 mm und 1,015 m gefunden wurde. Im südlichen Frankreich haben zwei ge- schickte Ingenieure, Clausade und Pin, berechnet, daß der Kanal von Languedoc und das Bassin von Saint Ferreol, über Abzug des Betrages der Versickerung, jährlich 746 bis 780 mm verlieren. In den Pontinischen Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebnis erhalten. Aus allen diesen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grade der Breite und bei einer mittleren Temperatur von 10,5 und 16° ergibt sich eine mittlere Verdunstung von 2,2 bis 2,8 mm im Tage. In der heißen Zone, z. B. auf den Antillen, ist die Ver- dunstung nach Le Gaux dreimal, nach Cassan zweimal stärker. In Cumana, also an einem Orte, wo die Luft weit stärker mit Feuchtigkeit geschwängert ist als in den Thälern von Aragua, sah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 mm, im Schatten 3,4 mm Wasser verdunsten. Versuche dieser Art sind sehr fein und schwankend; aber das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Masse des Wasser- dunstes sein muß, der aus dem See von Valencia und auf dem Gebiete aufsteigt, dessen Gewässer sich in den See er- gießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenstand zurückzukommen; in einem Werke, das die großen Gesetze der Natur in den verschiedenen Erdstrichen zur An- schauung bringt, muß auch der Versuch gemacht werden, das Problem von der mittleren Spannung der in der Luft enthaltenen Wasserdämpfe unter verschiedenen Breiten und in verschiedenen Meereshöhen zu lösen.
Das Maß der Verdunstung hängt von einer Menge
A. v. Humboldt, Reise. II. 14
von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchſtens 74°, bei einer Temperatur von 25,5°. In dieſer warmen und doch gar nicht ſehr feuchten Luft iſt nun aber eine ungeheure Menge verdunſteten Waſſers. Nach der Daltonſchen Theorie berechnet ſich die Dicke der Waſſerſchicht, die unter den oben erwähnten Umſtänden in einer Stunde verdunſtet, auf 0,36 mm, oder auf 8,3 mm in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in der gemäßigten Zone, z. B. für Paris, die mittlere Tem- peratur zu 10,6° und die mittlere Feuchtigkeit zu 82° an, ſo ergibt ſich nach denſelben Formeln 0,10 mm in der Stunde und 2,2 mm in vierundzwanzig Stunden. Will man ſich ſtatt dieſes unzuverläſſigen theoretiſchen Kalküls an die Er- gebniſſe unmittelbarer Beobachtung halten, ſo bedenke man, daß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die jährliche mittlere Verdunſtung gleich 855 mm und 1,015 m gefunden wurde. Im ſüdlichen Frankreich haben zwei ge- ſchickte Ingenieure, Clauſade und Pin, berechnet, daß der Kanal von Languedoc und das Baſſin von Saint Ferréol, über Abzug des Betrages der Verſickerung, jährlich 746 bis 780 mm verlieren. In den Pontiniſchen Sümpfen hat de Prony ungefähr das gleiche Ergebnis erhalten. Aus allen dieſen Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grade der Breite und bei einer mittleren Temperatur von 10,5 und 16° ergibt ſich eine mittlere Verdunſtung von 2,2 bis 2,8 mm im Tage. In der heißen Zone, z. B. auf den Antillen, iſt die Ver- dunſtung nach Le Gaux dreimal, nach Caſſan zweimal ſtärker. In Cumana, alſo an einem Orte, wo die Luft weit ſtärker mit Feuchtigkeit geſchwängert iſt als in den Thälern von Aragua, ſah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 mm, im Schatten 3,4 mm Waſſer verdunſten. Verſuche dieſer Art ſind ſehr fein und ſchwankend; aber das eben Angeführte reicht hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Maſſe des Waſſer- dunſtes ſein muß, der aus dem See von Valencia und auf dem Gebiete aufſteigt, deſſen Gewäſſer ſich in den See er- gießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den Gegenſtand zurückzukommen; in einem Werke, das die großen Geſetze der Natur in den verſchiedenen Erdſtrichen zur An- ſchauung bringt, muß auch der Verſuch gemacht werden, das Problem von der mittleren Spannung der in der Luft enthaltenen Waſſerdämpfe unter verſchiedenen Breiten und in verſchiedenen Meereshöhen zu löſen.
Das Maß der Verdunſtung hängt von einer Menge
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 14
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von Aragua eine mittlere Feuchtigkeit von höchſtens 74°, bei
einer Temperatur von 25,5°. In dieſer warmen und doch
gar nicht ſehr feuchten Luft iſt nun aber eine ungeheure Menge
verdunſteten Waſſers. Nach der Daltonſchen Theorie berechnet
ſich die Dicke der Waſſerſchicht, die unter den oben erwähnten
Umſtänden in einer Stunde verdunſtet, auf 0,36 mm, oder
auf 8,3 mm in vierundzwanzig Stunden. Nimmt man in
der gemäßigten Zone, z. B. für Paris, die mittlere Tem-
peratur zu 10,6° und die mittlere Feuchtigkeit zu 82° an,
ſo ergibt ſich nach denſelben Formeln 0,10 mm in der Stunde
und 2,2 mm in vierundzwanzig Stunden. Will man ſich
ſtatt dieſes unzuverläſſigen theoretiſchen Kalküls an die Er-
gebniſſe unmittelbarer Beobachtung halten, ſo bedenke man,
daß in Paris und Montmorency von Sedileau und Cotte die
jährliche mittlere Verdunſtung gleich 855 mm und 1,015 m
gefunden wurde. Im ſüdlichen Frankreich haben zwei ge-
ſchickte Ingenieure, Clauſade und Pin, berechnet, daß der
Kanal von Languedoc und das Baſſin von Saint Ferréol,
über Abzug des Betrages der Verſickerung, jährlich 746 bis
780 mm verlieren. In den Pontiniſchen Sümpfen hat de Prony
ungefähr das gleiche Ergebnis erhalten. Aus allen dieſen
Beobachtungen unter dem 41. und 49. Grade der Breite und
bei einer mittleren Temperatur von 10,5 und 16° ergibt
ſich eine mittlere Verdunſtung von 2,2 bis 2,8 mm im Tage.
In der heißen Zone, z. B. auf den Antillen, iſt die Ver-
dunſtung nach Le Gaux dreimal, nach Caſſan zweimal ſtärker.
In Cumana, alſo an einem Orte, wo die Luft weit ſtärker
mit Feuchtigkeit geſchwängert iſt als in den Thälern von
Aragua, ſah ich oft in zwölf Stunden in der Sonne 8,8 mm,
im Schatten 3,4 mm Waſſer verdunſten. Verſuche dieſer Art
ſind ſehr fein und ſchwankend; aber das eben Angeführte reicht
hin, um zu zeigen, wie ungemein groß die Maſſe des Waſſer-
dunſtes ſein muß, der aus dem See von Valencia und auf
dem Gebiete aufſteigt, deſſen Gewäſſer ſich in den See er-
gießen. Ich werde Gelegenheit finden, anderswo auf den
Gegenſtand zurückzukommen; in einem Werke, das die großen
Geſetze der Natur in den verſchiedenen Erdſtrichen zur An-
ſchauung bringt, muß auch der Verſuch gemacht werden, das
Problem von der mittleren Spannung der in der Luft
enthaltenen Waſſerdämpfe unter verſchiedenen Breiten und in
verſchiedenen Meereshöhen zu löſen.
Das Maß der Verdunſtung hängt von einer Menge
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 14
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/217>, abgerufen am 16.02.2025.
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