für den Kontrast zwischen beiden Kontinenten gesehen, den man in allem herausfand. Um darzuthun, daß Amerika später als Asien und Europa aus dem Wasser emporgestiegen, hätte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt als eines der Becken im inneren Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch unausgesetzte allmähliche Verdunstung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß in sehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuße des Gebirges Cocuysa bis zum Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette von Guigue, zum Guarimo und der Palma, unter Wasser stand. Ueberall läßt die Gestalt der Vorberge und ihr steiler Abfall das alte Ufer eines Alpsees, ähnlich den Steiermärker und Tiroler Seen, erkennen. Kleine Helix- und Valvaarten, die mit den jetzt im See lebenden identisch sind, kommen in 1 bis 1,3 m dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero und Concesion bei Victoria vor. Diese Thatsachen beweisen nun allerdings, daß das Wasser gefallen ist; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß es seit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragua gehören zu den Strichen von Venezuela, die am frühesten bevölkert worden, und doch spricht weder Oviedo, noch irgend eine alte Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees. Soll man geradezu annehmen, die Erscheinung sei zu einer Zeit, wo die indianische Bevölkerung die weiße noch weit überwog und das Seeufer schwächer bewohnt war, eben nicht bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhunderte, besonders aber seit dreißig Jahren fällt es jedermann in die Augen, daß dieses große Wasserbecken von selbst eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Wasser standen, liegen jetzt trocken und sind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baum- wolle bepflanzt. Wo man am Gestade des Sees eine Hütte baut, sieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichsam fliehen. Man sieht Inseln, die beim Sinken des Wasserspiegels eben erst mit dem Festlande zu verschmelzen anfangen (wie die Felseninsel Culebra, Guigue zu); andere Inseln bilden bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwischen Guigue und Nueva Valencia, und die Cabrera südöstlich von Mariara); noch andere stehen tief im Lande in Gestalt zerstreuter Hügel. Diese, die man schon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelsee- meile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigsten sind drei 60 bis 80 m hohe Eilande aus Granit auf dem Wege von der Hacienda de Cura nach Aguas calientes, und
für den Kontraſt zwiſchen beiden Kontinenten geſehen, den man in allem herausfand. Um darzuthun, daß Amerika ſpäter als Aſien und Europa aus dem Waſſer emporgeſtiegen, hätte man wohl auch den See von Tacarigua angeführt als eines der Becken im inneren Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch unausgeſetzte allmähliche Verdunſtung auszutrocknen. Ich zweifle nicht, daß in ſehr alter Zeit das ganze Thal vom Fuße des Gebirges Cocuyſa bis zum Torito und den Bergen von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette von Guigue, zum Guarimo und der Palma, unter Waſſer ſtand. Ueberall läßt die Geſtalt der Vorberge und ihr ſteiler Abfall das alte Ufer eines Alpſees, ähnlich den Steiermärker und Tiroler Seen, erkennen. Kleine Helix- und Valvaarten, die mit den jetzt im See lebenden identiſch ſind, kommen in 1 bis 1,3 m dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero und Conceſion bei Victoria vor. Dieſe Thatſachen beweiſen nun allerdings, daß das Waſſer gefallen iſt; aber nirgends liegt ein Beweis dafür vor, daß es ſeit jener weit entlegenen Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragua gehören zu den Strichen von Venezuela, die am früheſten bevölkert worden, und doch ſpricht weder Oviedo, noch irgend eine alte Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees. Soll man geradezu annehmen, die Erſcheinung ſei zu einer Zeit, wo die indianiſche Bevölkerung die weiße noch weit überwog und das Seeufer ſchwächer bewohnt war, eben nicht bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhunderte, beſonders aber ſeit dreißig Jahren fällt es jedermann in die Augen, daß dieſes große Waſſerbecken von ſelbſt eintrocknet. Weite Strecken Landes, die früher unter Waſſer ſtanden, liegen jetzt trocken und ſind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baum- wolle bepflanzt. Wo man am Geſtade des Sees eine Hütte baut, ſieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichſam fliehen. Man ſieht Inſeln, die beim Sinken des Waſſerſpiegels eben erſt mit dem Feſtlande zu verſchmelzen anfangen (wie die Felſeninſel Culebra, Guigue zu); andere Inſeln bilden bereits Vorgebirge (wie der Morro, zwiſchen Guigue und Nueva Valencia, und die Cabrera ſüdöſtlich von Mariara); noch andere ſtehen tief im Lande in Geſtalt zerſtreuter Hügel. Dieſe, die man ſchon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelſee- meile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigſten ſind drei 60 bis 80 m hohe Eilande aus Granit auf dem Wege von der Hacienda de Cura nach Aguas calientes, und
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man wohl auch den See von Tacarigua angeführt als eines
der Becken im inneren Lande, die noch nicht Zeit gehabt, durch
unausgeſetzte allmähliche Verdunſtung auszutrocknen. Ich
zweifle nicht, daß in ſehr alter Zeit das ganze Thal vom
Fuße des Gebirges Cocuyſa bis zum Torito und den Bergen
von Nirgua, von der Sierra de Mariara bis zu der Bergkette
von Guigue, zum Guarimo und der Palma, unter Waſſer
ſtand. Ueberall läßt die Geſtalt der Vorberge und ihr ſteiler
Abfall das alte Ufer eines Alpſees, ähnlich den Steiermärker
und Tiroler Seen, erkennen. Kleine Helix- und Valvaarten,
die mit den jetzt im See lebenden identiſch ſind, kommen in
1 bis 1,3 m dicken Schichten tief im Lande, bis Turmero
und Conceſion bei Victoria vor. Dieſe Thatſachen beweiſen
nun allerdings, daß das Waſſer gefallen iſt; aber nirgends
liegt ein Beweis dafür vor, daß es ſeit jener weit entlegenen
Zeit fortwährend abgenommen habe. Die Thäler von Aragua
gehören zu den Strichen von Venezuela, die am früheſten
bevölkert worden, und doch ſpricht weder Oviedo, noch irgend
eine alte Chronik von einer merklichen Abnahme des Sees.
Soll man geradezu annehmen, die Erſcheinung ſei zu einer
Zeit, wo die indianiſche Bevölkerung die weiße noch weit
überwog und das Seeufer ſchwächer bewohnt war, eben nicht
bemerkt worden? Seit einem halben Jahrhunderte, beſonders
aber ſeit dreißig Jahren fällt es jedermann in die Augen,
daß dieſes große Waſſerbecken von ſelbſt eintrocknet. Weite
Strecken Landes, die früher unter Waſſer ſtanden, liegen jetzt
trocken und ſind bereits mit Bananen, Zuckerrohr und Baum-
wolle bepflanzt. Wo man am Geſtade des Sees eine Hütte
baut, ſieht man das Ufer von Jahr zu Jahr gleichſam fliehen.
Man ſieht Inſeln, die beim Sinken des Waſſerſpiegels eben
erſt mit dem Feſtlande zu verſchmelzen anfangen (wie die
Felſeninſel Culebra, Guigue zu); andere Inſeln bilden bereits
Vorgebirge (wie der Morro, zwiſchen Guigue und Nueva
Valencia, und die Cabrera ſüdöſtlich von Mariara); noch andere
ſtehen tief im Lande in Geſtalt zerſtreuter Hügel. Dieſe, die
man ſchon von weitem leicht erkennt, liegen eine Viertelſee-
meile bis eine Lieue vom jetzigen Ufer ab. Die merkwürdigſten
ſind drei 60 bis 80 m hohe Eilande aus Granit auf dem
Wege von der Hacienda de Cura nach Aguas calientes, und
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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