behauptet, die Stadt Nueva Valencia de el Rey sei im Jahre 1555 2,25 km vom See erbaut worden, und daß sich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwischen dem See und der Stadt ein ebener Landstrich von mehr als 5260 m, den Oviedo sicher zu 7 km angeschlagen hätte, und die Länge des Seebeckens verhält sich zur Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das Aussehen des Bodens zwischen Valencia und Guigue, die Hügel, die auf der Ebene östlich vom Cano de Cambury steil aufsteigen und zum Teil (el Islote und la Isla de la Negra oder Caratapona) sogar noch jetzt Inseln heißen, beweisen zur Genüge, daß seit Oviedos Zeit das Wasser be- deutend zurückgewichen ist. Was die Veränderung des Um- risses des Sees betrifft, so scheint es mir nicht sehr wahr- scheinlich, daß er im 17. Jahrhundert beinahe zur Hälfte so breit als lang gewesen sein sollte. Die Lage der Granit- berge von Mariara und Guigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd rascher steigt als gegen Ost und West, streiten gleichermaßen gegen diese Annahme.
Wenn das so vielfach besprochene Problem von der Ab- nahme der Gewässer zur Sprache kommt, so hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterscheiden, in welchen das Sinken des Wasserspiegels stattgefunden.
Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau be- trachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand leugnet wohl jetzt mehr, daß unsere Flüsse und Seen in sehr bedeutendem Maße abgenommen haben; aber zahlreiche geologische Thatsachen weisen auch dar- auf hin, daß dieser große Wechsel in der Verteilung der Gewässer vor aller Geschichte eingetreten ist, und daß sich seit mehreren Jahrtausenden bei den meisten Seen ein festes Gleichgewicht zwischen dem Betrage der Zuflüsse einerseits, und der Verdunstung und Versickerung andererseits hergestellt hat. So oft dieses Gleichgewicht gestört ist, thut man gut, sich umzusehen, ob solches nicht von rein örtlichen Verhältnissen und aus jüngster Zeit herrührt, ehe man eine beständige Ab- nahme des Wassers annimmt. Ein solcher Gedankengang entspricht dem vorsichtigeren Verfahren der heutigen Wissen- schaften. Zu einer Zeit, wo die physische Weltbeschreibung das freie Geisteserzeugnis einiger beredten Schriftsteller war und nur durch Phantasiebilder wirkte, hätte man in der Er- scheinung, von der es sich hier handelt, einen neuen Beweis
behauptet, die Stadt Nueva Valencia de el Rey ſei im Jahre 1555 2,25 km vom See erbaut worden, und daß ſich bei ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3. Gegenwärtig liegt zwiſchen dem See und der Stadt ein ebener Landſtrich von mehr als 5260 m, den Oviedo ſicher zu 7 km angeſchlagen hätte, und die Länge des Seebeckens verhält ſich zur Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6. Schon das Ausſehen des Bodens zwiſchen Valencia und Guigue, die Hügel, die auf der Ebene öſtlich vom Cano de Cambury ſteil aufſteigen und zum Teil (el Islote und la Isla de la Negra oder Caratapona) ſogar noch jetzt Inſeln heißen, beweiſen zur Genüge, daß ſeit Oviedos Zeit das Waſſer be- deutend zurückgewichen iſt. Was die Veränderung des Um- riſſes des Sees betrifft, ſo ſcheint es mir nicht ſehr wahr- ſcheinlich, daß er im 17. Jahrhundert beinahe zur Hälfte ſo breit als lang geweſen ſein ſollte. Die Lage der Granit- berge von Mariara und Guigue und der Fall des Bodens, der gegen Nord und Süd raſcher ſteigt als gegen Oſt und Weſt, ſtreiten gleichermaßen gegen dieſe Annahme.
Wenn das ſo vielfach beſprochene Problem von der Ab- nahme der Gewäſſer zur Sprache kommt, ſo hat man, denke ich, zwei Epochen zu unterſcheiden, in welchen das Sinken des Waſſerſpiegels ſtattgefunden.
Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau be- trachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender Entfernung. Niemand leugnet wohl jetzt mehr, daß unſere Flüſſe und Seen in ſehr bedeutendem Maße abgenommen haben; aber zahlreiche geologiſche Thatſachen weiſen auch dar- auf hin, daß dieſer große Wechſel in der Verteilung der Gewäſſer vor aller Geſchichte eingetreten iſt, und daß ſich ſeit mehreren Jahrtauſenden bei den meiſten Seen ein feſtes Gleichgewicht zwiſchen dem Betrage der Zuflüſſe einerſeits, und der Verdunſtung und Verſickerung andererſeits hergeſtellt hat. So oft dieſes Gleichgewicht geſtört iſt, thut man gut, ſich umzuſehen, ob ſolches nicht von rein örtlichen Verhältniſſen und aus jüngſter Zeit herrührt, ehe man eine beſtändige Ab- nahme des Waſſers annimmt. Ein ſolcher Gedankengang entſpricht dem vorſichtigeren Verfahren der heutigen Wiſſen- ſchaften. Zu einer Zeit, wo die phyſiſche Weltbeſchreibung das freie Geiſteserzeugnis einiger beredten Schriftſteller war und nur durch Phantaſiebilder wirkte, hätte man in der Er- ſcheinung, von der es ſich hier handelt, einen neuen Beweis
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[204/0212]
behauptet, die Stadt Nueva Valencia de el Rey ſei im Jahre
1555 2,25 km vom See erbaut worden, und daß ſich bei
ihm die Länge des Sees zur Breite verhält wie 7 zu 3.
Gegenwärtig liegt zwiſchen dem See und der Stadt ein
ebener Landſtrich von mehr als 5260 m, den Oviedo ſicher
zu 7 km angeſchlagen hätte, und die Länge des Seebeckens
verhält ſich zur Breite wie 10 zu 2,3 oder wie 7 zu 1,6.
Schon das Ausſehen des Bodens zwiſchen Valencia und
Guigue, die Hügel, die auf der Ebene öſtlich vom Cano de
Cambury ſteil aufſteigen und zum Teil (el Islote und la Isla de
la Negra oder Caratapona) ſogar noch jetzt Inſeln heißen,
beweiſen zur Genüge, daß ſeit Oviedos Zeit das Waſſer be-
deutend zurückgewichen iſt. Was die Veränderung des Um-
riſſes des Sees betrifft, ſo ſcheint es mir nicht ſehr wahr-
ſcheinlich, daß er im 17. Jahrhundert beinahe zur Hälfte ſo
breit als lang geweſen ſein ſollte. Die Lage der Granit-
berge von Mariara und Guigue und der Fall des Bodens,
der gegen Nord und Süd raſcher ſteigt als gegen Oſt und
Weſt, ſtreiten gleichermaßen gegen dieſe Annahme.
Wenn das ſo vielfach beſprochene Problem von der Ab-
nahme der Gewäſſer zur Sprache kommt, ſo hat man, denke
ich, zwei Epochen zu unterſcheiden, in welchen das Sinken
des Waſſerſpiegels ſtattgefunden.
Wenn man die Flußthäler und die Seebecken genau be-
trachtet, findet man überall das alte Ufer in bedeutender
Entfernung. Niemand leugnet wohl jetzt mehr, daß unſere
Flüſſe und Seen in ſehr bedeutendem Maße abgenommen
haben; aber zahlreiche geologiſche Thatſachen weiſen auch dar-
auf hin, daß dieſer große Wechſel in der Verteilung der
Gewäſſer vor aller Geſchichte eingetreten iſt, und daß ſich
ſeit mehreren Jahrtauſenden bei den meiſten Seen ein feſtes
Gleichgewicht zwiſchen dem Betrage der Zuflüſſe einerſeits,
und der Verdunſtung und Verſickerung andererſeits hergeſtellt
hat. So oft dieſes Gleichgewicht geſtört iſt, thut man gut,
ſich umzuſehen, ob ſolches nicht von rein örtlichen Verhältniſſen
und aus jüngſter Zeit herrührt, ehe man eine beſtändige Ab-
nahme des Waſſers annimmt. Ein ſolcher Gedankengang
entſpricht dem vorſichtigeren Verfahren der heutigen Wiſſen-
ſchaften. Zu einer Zeit, wo die phyſiſche Weltbeſchreibung
das freie Geiſteserzeugnis einiger beredten Schriftſteller war
und nur durch Phantaſiebilder wirkte, hätte man in der Er-
ſcheinung, von der es ſich hier handelt, einen neuen Beweis
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/212>, abgerufen am 16.02.2025.
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