100 Seelen, also beinahe so viel wie in den bevölkertsten Teilen Frankreichs. Das Dorf oder vielmehr der Flecken Maracay war früher, als der Indigobau in höchster Blüte stand, der Hauptort für diesen Zweig der Kolonialindustrie. Im Jahre 1795 zählte man daselbst bei einer Bevölkerung von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Läden. Die Häuser sind alle von Stein; in jedem Hofe stehen Kokosbäume, deren Krone über die Gebäude emporragt. Der allgemeine Wohlstand macht sich in Maracay noch bemerklicher als in Turmero. Der hiesige Anil oder Indigo wurde im Handel immer dem von Guatemala gleich, manchmal sogar höher ge- schätzt. Seit 1772 schloß sich dieser Kulturzweig dem Kakao- bau an, und jener ist wieder älter als der Baumwollen- und Kaffeebau. Die Kolonisten warfen sich auf jedes dieser vier Produkte der Reihe nach mit besonderer Vorliebe, aber nur Kakao und Kaffee sind Artikel von Belang im Handelsverkehr mit Europa geblieben. In den besten Zeiten konnte sich die hiesige Indigofabrikation fast mit der mexikanischen messen; sie stieg in Venezuela auf 40000 Arroben oder eine halbe Million Kilogramm, im Werte von mehr als 1250000 Piastern. Man bekommt einen Begriff von der außerordentlichen Er- tragsfähigkeit des Bodens in den spanischen Kolonieen, wenn wenn man einem sagt, daß der Indigo aus Caracas, der im Jahre 1794 einen Wert von mehr 6000000 Franken hatte, auf 80 bis 100 qkm gebaut ist. In den Jahren 1789 bis 1795 kamen jährlich 4000 bis 5000 Freie aus den Llanos in die Thäler von Aragua, um beim Bau und der Bereitung des Indigo zu helfen; sie arbeiteten 2 Monate im Tagelohn.
Der Anil erschöpft den Boden, auf dem man ihn viele Jahre hintereinander baut, mehr als jede andere Pflanze. In Maracay, Tapatapa und Turmero gilt der Boden für ausge- sogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend abgenom- men. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht und durch die starke Indigoeinfuhr aus Asien sind die Preise gesunken. Die Ostindische Compagnie verkauft jetzt in London über 2750000 kg Indigo, während sie im Jahre 1786 aus ihren weiten Besitzungen nur 125000 kg bezog. Je mehr der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen desto größeren Aufschwung nahm er in der Provinz Varinas und auf den heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte Boden am Rio Tachira ein äußerst farbreiches Produkt in Menge liefert.
100 Seelen, alſo beinahe ſo viel wie in den bevölkertſten Teilen Frankreichs. Das Dorf oder vielmehr der Flecken Maracay war früher, als der Indigobau in höchſter Blüte ſtand, der Hauptort für dieſen Zweig der Kolonialinduſtrie. Im Jahre 1795 zählte man daſelbſt bei einer Bevölkerung von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Läden. Die Häuſer ſind alle von Stein; in jedem Hofe ſtehen Kokosbäume, deren Krone über die Gebäude emporragt. Der allgemeine Wohlſtand macht ſich in Maracay noch bemerklicher als in Turmero. Der hieſige Anil oder Indigo wurde im Handel immer dem von Guatemala gleich, manchmal ſogar höher ge- ſchätzt. Seit 1772 ſchloß ſich dieſer Kulturzweig dem Kakao- bau an, und jener iſt wieder älter als der Baumwollen- und Kaffeebau. Die Koloniſten warfen ſich auf jedes dieſer vier Produkte der Reihe nach mit beſonderer Vorliebe, aber nur Kakao und Kaffee ſind Artikel von Belang im Handelsverkehr mit Europa geblieben. In den beſten Zeiten konnte ſich die hieſige Indigofabrikation faſt mit der mexikaniſchen meſſen; ſie ſtieg in Venezuela auf 40000 Arroben oder eine halbe Million Kilogramm, im Werte von mehr als 1250000 Piaſtern. Man bekommt einen Begriff von der außerordentlichen Er- tragsfähigkeit des Bodens in den ſpaniſchen Kolonieen, wenn wenn man einem ſagt, daß der Indigo aus Caracas, der im Jahre 1794 einen Wert von mehr 6000000 Franken hatte, auf 80 bis 100 qkm gebaut iſt. In den Jahren 1789 bis 1795 kamen jährlich 4000 bis 5000 Freie aus den Llanos in die Thäler von Aragua, um beim Bau und der Bereitung des Indigo zu helfen; ſie arbeiteten 2 Monate im Tagelohn.
Der Anil erſchöpft den Boden, auf dem man ihn viele Jahre hintereinander baut, mehr als jede andere Pflanze. In Maracay, Tapatapa und Turmero gilt der Boden für ausge- ſogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend abgenom- men. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht und durch die ſtarke Indigoeinfuhr aus Aſien ſind die Preiſe geſunken. Die Oſtindiſche Compagnie verkauft jetzt in London über 2750000 kg Indigo, während ſie im Jahre 1786 aus ihren weiten Beſitzungen nur 125000 kg bezog. Je mehr der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen deſto größeren Aufſchwung nahm er in der Provinz Varinas und auf den heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte Boden am Rio Tachira ein äußerſt farbreiches Produkt in Menge liefert.
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100 Seelen, alſo beinahe ſo viel wie in den bevölkertſten
Teilen Frankreichs. Das Dorf oder vielmehr der Flecken
Maracay war früher, als der Indigobau in höchſter Blüte
ſtand, der Hauptort für dieſen Zweig der Kolonialinduſtrie.
Im Jahre 1795 zählte man daſelbſt bei einer Bevölkerung
von 6000 Einwohnern 70 Kaufleute mit offenen Läden. Die
Häuſer ſind alle von Stein; in jedem Hofe ſtehen Kokosbäume,
deren Krone über die Gebäude emporragt. Der allgemeine
Wohlſtand macht ſich in Maracay noch bemerklicher als in
Turmero. Der hieſige Anil oder Indigo wurde im Handel
immer dem von Guatemala gleich, manchmal ſogar höher ge-
ſchätzt. Seit 1772 ſchloß ſich dieſer Kulturzweig dem Kakao-
bau an, und jener iſt wieder älter als der Baumwollen- und
Kaffeebau. Die Koloniſten warfen ſich auf jedes dieſer vier
Produkte der Reihe nach mit beſonderer Vorliebe, aber nur
Kakao und Kaffee ſind Artikel von Belang im Handelsverkehr
mit Europa geblieben. In den beſten Zeiten konnte ſich die
hieſige Indigofabrikation faſt mit der mexikaniſchen meſſen;
ſie ſtieg in Venezuela auf 40000 Arroben oder eine halbe
Million Kilogramm, im Werte von mehr als 1250000 Piaſtern.
Man bekommt einen Begriff von der außerordentlichen Er-
tragsfähigkeit des Bodens in den ſpaniſchen Kolonieen, wenn
wenn man einem ſagt, daß der Indigo aus Caracas, der im
Jahre 1794 einen Wert von mehr 6000000 Franken hatte,
auf 80 bis 100 qkm gebaut iſt. In den Jahren 1789 bis 1795
kamen jährlich 4000 bis 5000 Freie aus den Llanos in die
Thäler von Aragua, um beim Bau und der Bereitung des
Indigo zu helfen; ſie arbeiteten 2 Monate im Tagelohn.
Der Anil erſchöpft den Boden, auf dem man ihn viele
Jahre hintereinander baut, mehr als jede andere Pflanze. In
Maracay, Tapatapa und Turmero gilt der Boden für ausge-
ſogen; der Ertrag an Indigo hat auch fortwährend abgenom-
men. Die Seekriege haben den Handel ins Stocken gebracht
und durch die ſtarke Indigoeinfuhr aus Aſien ſind die Preiſe
geſunken. Die Oſtindiſche Compagnie verkauft jetzt in London
über 2750000 kg Indigo, während ſie im Jahre 1786 aus
ihren weiten Beſitzungen nur 125000 kg bezog. Je mehr
der Indigobau in den Araguathälern abnahm, einen deſto
größeren Aufſchwung nahm er in der Provinz Varinas und
auf den heißen Ebenen von Cucuta, wo der bis da unberührte
Boden am Rio Tachira ein äußerſt farbreiches Produkt in
Menge liefert.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/203>, abgerufen am 16.02.2025.
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