Gefäßen in diesen vegetabilischen Massen, in diesen Riesen- bäumen der heißen Zone, die vielleicht tausend Jahre lang in einem fort Nahrungssaft bereiten, der bis zu 58 m hoch aufsteigt und wieder zum Boden zurückfließt, und wo hinter einer rauhen, harten Rinde, unter dicken Schichten lebloser Holzfasern sich alle Regungen organischen Lebens bergen!
Ich benutzte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung am Tuy zwei Austritte des ersten und dritten Jupitertra- banten zu beobachten. Diese zwei Beobachtungen ergaben nach den Tafeln von Delambre 4h 39' 14" Länge; nach dem Chro- nometer fand ich 4h 39' 10". Dies waren die letzten Be- deckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoko beob- achtet; mittels derselben wurde das östliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge Las Cocuyzas ziemlich genau bestimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10° 16' 55", am 10. Februar 10° 16' 34". Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80° Höhe, was unter dieser Zone sehr selten vorkommt und jetzt viel- leicht das Ende der schönen Jahreszeit verkündete. Die In- klination der Magnetnadel war 41° 60', und 228 Schwingungen in 10 Minuten Zeit gaben die Intensität der magnetischen Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 4° 30' gegen Nordost.
Während meines Aufenthaltes in den Thälern des Tuy und von Aragua zeigte sich das Zodiakallicht fast jede Nacht in ungemeinem Glanze. Ich hatte es unter den Tropen zum erstenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr abends ge- sehen. Die Spitze der Pyramide stand 53° hoch. Der Schein verschwand fast ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach Sonnenuntergang, ohne daß der klare Himmel sich getrübt hätte. Schon La Caille war auf seiner Reise nach Rio de Janeiro und dem Kap auf- gefallen, wie schön sich das Zodiakallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht sowohl weil es weniger geneigt ist, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominik Cassini die Seefahrer, welche die Meere beider Indien besuchten, die gelehrte Welt Europas auf diesen Lichtschimmer von so be- stimmter Form und Bewegung aufmerksam gemacht haben, wenn man nicht wüßte, wie wenig sie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts sich um alles kümmerten, was nicht un-
Gefäßen in dieſen vegetabiliſchen Maſſen, in dieſen Rieſen- bäumen der heißen Zone, die vielleicht tauſend Jahre lang in einem fort Nahrungsſaft bereiten, der bis zu 58 m hoch aufſteigt und wieder zum Boden zurückfließt, und wo hinter einer rauhen, harten Rinde, unter dicken Schichten lebloſer Holzfaſern ſich alle Regungen organiſchen Lebens bergen!
Ich benutzte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung am Tuy zwei Austritte des erſten und dritten Jupitertra- banten zu beobachten. Dieſe zwei Beobachtungen ergaben nach den Tafeln von Delambre 4h 39′ 14″ Länge; nach dem Chro- nometer fand ich 4h 39′ 10″. Dies waren die letzten Be- deckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoko beob- achtet; mittels derſelben wurde das öſtliche Ende der Thäler von Aragua und der Fuß der Berge Las Cocuyzas ziemlich genau beſtimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10° 16′ 55″, am 10. Februar 10° 16′ 34″. Trotz der großen Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80° Höhe, was unter dieſer Zone ſehr ſelten vorkommt und jetzt viel- leicht das Ende der ſchönen Jahreszeit verkündete. Die In- klination der Magnetnadel war 41° 60′, und 228 Schwingungen in 10 Minuten Zeit gaben die Intenſität der magnetiſchen Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 4° 30′ gegen Nordoſt.
Während meines Aufenthaltes in den Thälern des Tuy und von Aragua zeigte ſich das Zodiakallicht faſt jede Nacht in ungemeinem Glanze. Ich hatte es unter den Tropen zum erſtenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr abends ge- ſehen. Die Spitze der Pyramide ſtand 53° hoch. Der Schein verſchwand faſt ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit), beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach Sonnenuntergang, ohne daß der klare Himmel ſich getrübt hätte. Schon La Caille war auf ſeiner Reiſe nach Rio de Janeiro und dem Kap auf- gefallen, wie ſchön ſich das Zodiakallicht unter den Tropen ausnimmt, nicht ſowohl weil es weniger geneigt iſt, als wegen der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominik Caſſini die Seefahrer, welche die Meere beider Indien beſuchten, die gelehrte Welt Europas auf dieſen Lichtſchimmer von ſo be- ſtimmter Form und Bewegung aufmerkſam gemacht haben, wenn man nicht wüßte, wie wenig ſie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ſich um alles kümmerten, was nicht un-
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[183/0191]
Gefäßen in dieſen vegetabiliſchen Maſſen, in dieſen Rieſen-
bäumen der heißen Zone, die vielleicht tauſend Jahre lang
in einem fort Nahrungsſaft bereiten, der bis zu 58 m hoch
aufſteigt und wieder zum Boden zurückfließt, und wo hinter
einer rauhen, harten Rinde, unter dicken Schichten lebloſer
Holzfaſern ſich alle Regungen organiſchen Lebens bergen!
Ich benutzte die hellen Nächte, um auf der Pflanzung
am Tuy zwei Austritte des erſten und dritten Jupitertra-
banten zu beobachten. Dieſe zwei Beobachtungen ergaben nach
den Tafeln von Delambre 4h 39′ 14″ Länge; nach dem Chro-
nometer fand ich 4h 39′ 10″. Dies waren die letzten Be-
deckungen, die ich bis zu meiner Rückkehr vom Orinoko beob-
achtet; mittels derſelben wurde das öſtliche Ende der Thäler
von Aragua und der Fuß der Berge Las Cocuyzas ziemlich
genau beſtimmt. Nach Meridianhöhen von Canopus fand ich
die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Februar 10°
16′ 55″, am 10. Februar 10° 16′ 34″. Trotz der großen
Trockenheit der Luft flimmerten die Sterne bis zu 80° Höhe,
was unter dieſer Zone ſehr ſelten vorkommt und jetzt viel-
leicht das Ende der ſchönen Jahreszeit verkündete. Die In-
klination der Magnetnadel war 41° 60′, und 228 Schwingungen
in 10 Minuten Zeit gaben die Intenſität der magnetiſchen
Kraft an. Die Abweichung der Nadel war 4° 30′ gegen
Nordoſt.
Während meines Aufenthaltes in den Thälern des Tuy
und von Aragua zeigte ſich das Zodiakallicht faſt jede Nacht
in ungemeinem Glanze. Ich hatte es unter den Tropen zum
erſtenmal in Caracas am 18. Januar um 7 Uhr abends ge-
ſehen. Die Spitze der Pyramide ſtand 53° hoch. Der Schein
verſchwand faſt ganz um 9 Uhr 35 Minuten (wahre Zeit),
beinahe 3 Stunden 50 Minuten nach Sonnenuntergang, ohne
daß der klare Himmel ſich getrübt hätte. Schon La Caille
war auf ſeiner Reiſe nach Rio de Janeiro und dem Kap auf-
gefallen, wie ſchön ſich das Zodiakallicht unter den Tropen
ausnimmt, nicht ſowohl weil es weniger geneigt iſt, als wegen
der großen Reinheit der Luft. Man müßte es auch auffallend
finden, daß nicht lange vor Childrey und Dominik Caſſini
die Seefahrer, welche die Meere beider Indien beſuchten, die
gelehrte Welt Europas auf dieſen Lichtſchimmer von ſo be-
ſtimmter Form und Bewegung aufmerkſam gemacht haben,
wenn man nicht wüßte, wie wenig ſie bis zur Mitte des
18. Jahrhunderts ſich um alles kümmerten, was nicht un-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/191>, abgerufen am 16.02.2025.
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