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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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fällt einem das fast winterliche Aussehen der Landschaft auf.
Die Luft ist so trocken, daß der Delucsche Hygrometer Tag
und Nacht auf 36 bis 40° steht. Weit ab vom Flusse sieht
man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges Pfeffer-
gewächs das entblätterte Buschwerk beschatten. Diese Erschei-
nung ist wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im
Februar ihr Maximum erreicht; sie rührt nicht, wie die Ko-
lonisten meinen, daher, daß die "Jahreszeiten, wie sie in
Spanien sind, bis in den heißen Erdstrich herüber wirken".
Nur die aus einer Halbkugel in die andere versetzten Gewächse
bleiben hinsichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter- und
Blütenentwickelung an einen fernen Himmelsstrich gebunden
und richten sich, treu dem gewohnten Lebensgange, noch lange
an die periodischen Witterungswechsel desselben. In der Pro-
vinz Venezuela fangen die kahlen Bäume fast einen Monat
vor der Regenzeit wieder an frisches Laub zu treiben. Wahr-
scheinlich ist um diese Zeit das elektrische Gleichgewicht in der
Luft bereits aufgehoben und dieselbe wird allmählich feuchter,
wenn sie auch noch wolkenlos ist. Das Himmelsblau wird
blässer und hoch oben in der Luft sammeln sich leichte, gleich-
förmig verbreitete Dünste. In diese Jahreszeit fällt hier
eigentlich das Erwachen der Natur; es ist ein Frühling, der,
nach dem Sprachgebrauch in den spanischen Kolonieen,1 Winters
Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt.

In der Quebrada seca wurde früher Indigo gebaut;
da aber der dichtbewachsene Boden nicht so viel Wärme ab-
geben kann, als die Niederungen oder der Thalgrund des
Tuy empfangen und durch Strahlung wieder von sich geben,
so baut man jetzt statt desselben Kaffee. Je weiter man in
der Schlucht hinaufkommt, desto feuchter wird sie. Beim
Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an
einen Bach, der über die fallenden Gneisschichten niederstürzt;
man arbeitete hier an einer Wasserleitung, die das Wasser in
die Ebene führen sollte; ohne Bewässerung ist in diesem Land-
striche kein Fortschritt in der Landwirtschaft möglich. Ein un-
geheuer dicker Baum (Hura crepitans) am Bergabhange, über

1 Winter heißt die Zeit im Jahre, wo es am meisten regnet,
daher in Terra Firma die mit der Winter-Tag- und Nachtgleiche
beginnende Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage
sagen hört, im Gebirge sei es Winter, während es in den benach-
barten Niederungen Sommer ist.

fällt einem das faſt winterliche Ausſehen der Landſchaft auf.
Die Luft iſt ſo trocken, daß der Delucſche Hygrometer Tag
und Nacht auf 36 bis 40° ſteht. Weit ab vom Fluſſe ſieht
man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges Pfeffer-
gewächs das entblätterte Buſchwerk beſchatten. Dieſe Erſchei-
nung iſt wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im
Februar ihr Maximum erreicht; ſie rührt nicht, wie die Ko-
loniſten meinen, daher, daß die „Jahreszeiten, wie ſie in
Spanien ſind, bis in den heißen Erdſtrich herüber wirken“.
Nur die aus einer Halbkugel in die andere verſetzten Gewächſe
bleiben hinſichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter- und
Blütenentwickelung an einen fernen Himmelsſtrich gebunden
und richten ſich, treu dem gewohnten Lebensgange, noch lange
an die periodiſchen Witterungswechſel desſelben. In der Pro-
vinz Venezuela fangen die kahlen Bäume faſt einen Monat
vor der Regenzeit wieder an friſches Laub zu treiben. Wahr-
ſcheinlich iſt um dieſe Zeit das elektriſche Gleichgewicht in der
Luft bereits aufgehoben und dieſelbe wird allmählich feuchter,
wenn ſie auch noch wolkenlos iſt. Das Himmelsblau wird
bläſſer und hoch oben in der Luft ſammeln ſich leichte, gleich-
förmig verbreitete Dünſte. In dieſe Jahreszeit fällt hier
eigentlich das Erwachen der Natur; es iſt ein Frühling, der,
nach dem Sprachgebrauch in den ſpaniſchen Kolonieen,1 Winters
Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt.

In der Quebrada seca wurde früher Indigo gebaut;
da aber der dichtbewachſene Boden nicht ſo viel Wärme ab-
geben kann, als die Niederungen oder der Thalgrund des
Tuy empfangen und durch Strahlung wieder von ſich geben,
ſo baut man jetzt ſtatt desſelben Kaffee. Je weiter man in
der Schlucht hinaufkommt, deſto feuchter wird ſie. Beim
Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an
einen Bach, der über die fallenden Gneisſchichten niederſtürzt;
man arbeitete hier an einer Waſſerleitung, die das Waſſer in
die Ebene führen ſollte; ohne Bewäſſerung iſt in dieſem Land-
ſtriche kein Fortſchritt in der Landwirtſchaft möglich. Ein un-
geheuer dicker Baum (Hura crepitans) am Bergabhange, über

1 Winter heißt die Zeit im Jahre, wo es am meiſten regnet,
daher in Terra Firma die mit der Winter-Tag- und Nachtgleiche
beginnende Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage
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barten Niederungen Sommer iſt.
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[181/0189] fällt einem das faſt winterliche Ausſehen der Landſchaft auf. Die Luft iſt ſo trocken, daß der Delucſche Hygrometer Tag und Nacht auf 36 bis 40° ſteht. Weit ab vom Fluſſe ſieht man kaum hie und da eine Hura oder ein baumartiges Pfeffer- gewächs das entblätterte Buſchwerk beſchatten. Dieſe Erſchei- nung iſt wohl eine Folge der Trockenheit der Luft, die im Februar ihr Maximum erreicht; ſie rührt nicht, wie die Ko- loniſten meinen, daher, daß die „Jahreszeiten, wie ſie in Spanien ſind, bis in den heißen Erdſtrich herüber wirken“. Nur die aus einer Halbkugel in die andere verſetzten Gewächſe bleiben hinſichtlich ihrer Lebensverrichtungen, der Blätter- und Blütenentwickelung an einen fernen Himmelsſtrich gebunden und richten ſich, treu dem gewohnten Lebensgange, noch lange an die periodiſchen Witterungswechſel desſelben. In der Pro- vinz Venezuela fangen die kahlen Bäume faſt einen Monat vor der Regenzeit wieder an friſches Laub zu treiben. Wahr- ſcheinlich iſt um dieſe Zeit das elektriſche Gleichgewicht in der Luft bereits aufgehoben und dieſelbe wird allmählich feuchter, wenn ſie auch noch wolkenlos iſt. Das Himmelsblau wird bläſſer und hoch oben in der Luft ſammeln ſich leichte, gleich- förmig verbreitete Dünſte. In dieſe Jahreszeit fällt hier eigentlich das Erwachen der Natur; es iſt ein Frühling, der, nach dem Sprachgebrauch in den ſpaniſchen Kolonieen, 1 Winters Anfang verkündigt und auf die Sommerhitze folgt. In der Quebrada seca wurde früher Indigo gebaut; da aber der dichtbewachſene Boden nicht ſo viel Wärme ab- geben kann, als die Niederungen oder der Thalgrund des Tuy empfangen und durch Strahlung wieder von ſich geben, ſo baut man jetzt ſtatt desſelben Kaffee. Je weiter man in der Schlucht hinaufkommt, deſto feuchter wird ſie. Beim Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, kamen wir an einen Bach, der über die fallenden Gneisſchichten niederſtürzt; man arbeitete hier an einer Waſſerleitung, die das Waſſer in die Ebene führen ſollte; ohne Bewäſſerung iſt in dieſem Land- ſtriche kein Fortſchritt in der Landwirtſchaft möglich. Ein un- geheuer dicker Baum (Hura crepitans) am Bergabhange, über 1 Winter heißt die Zeit im Jahre, wo es am meiſten regnet, daher in Terra Firma die mit der Winter-Tag- und Nachtgleiche beginnende Jahreszeit Sommer genannt wird und man alle Tage ſagen hört, im Gebirge ſei es Winter, während es in den benach- barten Niederungen Sommer iſt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/189>, abgerufen am 23.11.2024.